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03.11.2003 Medien / Mannschaft

Handball-Magazin: Sachlicher Spieler

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Das Handball-Magazin berichtete in seiner Ausgabe 10/2003 über den THW-Neuzugang Adrian Wagner. Hier der Artikel mit freundlicher Genehmigung des Handball-Magazins.
Der Besuch schleicht sich heran, schaut mit großen Augen umher, steht einen Moment lang still da und trottet schließlich lautlos von dannen. Adrian Wagner schaut dem Reh, das da gerade die Terrasse passiert hat, verdutzt hinterher und staunt wieder über seine neue Welt. "Unbeschreiblich ist das hier", sagt der 25-Jährige, der die Großstadt Hamburg verließ und nun in der holsteinischen Provinz sein Glück sucht. Im Kieler Vorort Mönkeberg bezog er vor einigen Wochen mit Freundin Nici eine Doppelhaushälfte. Stunden nach dem morgendlichen Schauspiel findet sich Wagner an seinem Arbeitsplatz wieder: statt ländlicher Idylle tosende Emotionen in der Ostseehalle. Das erste Heimspiel des THW Kiel, seine Premiere im Kreis der Zebras. Ein wenig muss er aufpassen, nicht auf die gegnerische Seite zu laufen, denn bisher kannte er sich hier nur als Gast aus. Beim 30:28 gegen TUSEM Essen stellt sich der Linksaußen seinem neuen Publikum mit vier Toren vor, eine Woche zuvor hatte er dem THW mit einem Treffer Sekunden vor Schluss ein 24:24-Unentschieden in Großwallstadt gerettet.

Trainer Serdarusic erfüllte sich einen lang gehegten Wunsch

Wagner ist angekommen in Kiel, und damit erfüllte sich auch Trainer Zvonimir Serdarusic einen lang gehegten Wunsch. "Adrian ist Nokas und mein Wunschspieler", sagt THW-Manager Uwe Schwenker, der früher selbst ein Linksaußen war und 72 Mal für die deutsche Nationalmannschaft spielte. Wagner beobachteten Schwenker und Serdarusic schon, als der noch in der Jugend des AMTV Hamburg spielte. Mit 17 wechselte der hoch gelobte Rechtshänder nach Bad Schwartau in die 2. Liga, um sich dort unter dem Trainer Milomir Mijatovic zu beweisen. Der Schritt vom Talent zum Spieler dauerte allerdings sehr lange - so lange, dass der junge Mann bereits ans Aufgeben dachte. Erst Schwartaus Manager Manfred Diebitz und der schwedische Trainer Anders Fältnäs gaben Wagner eine wirkliche Chance. Fortan lernte er an der Seite des Polen Marek Kordowiecki das Handwerk eines Linksaußen - und schoss in der Saison 1999/2000 "kerzengerade nach oben" (Wagner). Damals stieg er sogar zum Kapitän auf, der eine Mannschaft mit Stars wie dem Weltklassetorwart Goran Stojanovic führte.

Doch vor ihm türmten sich immer mehr Hindernisse auf. Weil er wegen ausbleibender Zahlungen gegen seinen in finanziellen Wirren verlorenen Verein klagte, wurde er noch vor dem Pokalsieg 2001 degradiert. Im Jahr darauf bremste ihn Pfeiffersches Drüsenfieber. Und der Wandel der SG VfL Bad Schwartau zum HSV Hamburg, verbunden mit dem Umzug des Klubs in seine Heimatstadt, verlor auch nach und nach den Glanz - obwohl er sich mit der Bundesliga vor der eigenen Haustür eigentlich einen Kindheitstraum erfüllt hatte. "Es gab zu viel zu tun für jeden Einzelnen", sagt Wagner. Termine hier, Termine da - alles nur, um den Hamburgern die Ballwerfer des HSV nahe zu bringen. Wagner verlor seine ursprüngliche Profession aus dem Auge, dabei "hängt in meiner Situation alles nur vom Sportlichen ab". Der Wechsel nach Kiel war für ihn die logische Konsequenz und der Ausweg aus einer verfahrenen Situation.

Beim zehnmaligen deutschen Meister muss er sich auf dem linken Flügel mit dem spektakulären Dänen Nikolaj Jacobsen messen. Wagner der schnelle und geradlinige Mann, Jacobsen als unberechenbare Zaubermaus. Zwei Typen, die sich ideal ergänzen. Noka Serdarusic hat sich längst vom sachlichen Spiel seines neuen Außen begeistern lassen. Das liegt auch an dessen defensiven Qualitäten. Wagner deckt nicht nur auf der linken Seite, sondern auch auf der halben Position. "Tierischen Spaß" empfindet Wagner bei der Plackerei in der Defensive. "Ich bin froh, dass Noka mich da einsetzt." Eine Stärke übrigens, die er mit Torsten Jansen, seinem Nachfolger in Hamburg, teilt. Mit Jansen sei wieder mehr Tempo möglich, soll der HSV-Trainer Bob Hanning gesagt haben. Wagner kommentiert das nicht. In den ersten Spielen für den THW Kiel traf er vor allem aus dem Gegenstoß. Das sei doch ein Zeichen, sagt er ruhig. "Auch mit mir kann man schnellen Angriffshandball spielen."

Das macht ihn auch für die Nationalmannschaft interessant. 23 Einsätze ermöglichte ihm Bundestrainer Heiner Brand bisher. Wagner fügt sich nach der verpassten WM-Teilnahme bescheiden in seine Rolle als Wartender. "Ich kann nur durch noch bessere Leistungen zeigen, dass ich auch in der Lage wäre, einen guten Part zu übernehmen. Das", sagt er, "das bin ich schuldig geblieben." Noch. Wagner brennt jedenfalls auf seine Chance, denn die Olympischen Spielen in Athen sind "immer noch mein Ziel. Darauf bin ich heiß."

Selbst Addi sammelt Meilen

Adrian Wagner lächelt, wenn er über seine große Schwäche spricht. Sich in einen Flieger zu begeben, bereitet ihm schlicht und ergreifend Angst. So wie dem niederländischen Fußballer Dennis Bergkamp, der zu den Europapokalspielen seines Vereins Arsenal London immer mit dem Auto fährt, während seine Mitspieler aus der Luft einschweben. Zum World-Cup in Schweden ließ sich Wagner im vergangenen Jahr von einem Betreuer des HSV Hamburg fahren, um den Flug zu vermeiden. Als er im Januar mit dem Großwallstädter Heiko Grimm um den letzten freien Platz im WM-Kader kämpfte, frotzelte die BILD-Zeitung: "Fliegen oder fliegen!" Mit dem Flugzeug nach Portugal oder aus dem Kader. Wagner hat seine Angst längst in den Griff bekommen. Dass Fliegen zu seinen Pflichten zählt, findet sich sogar in seinem Vertrag wieder. Der erste lange Flug steht ihm zum Start des EHF-Cups bevor - nach Bosnien-Herzegowina zu RK Izvidac Ljubuski. Wagner sieht es gelassen: "Ich habe mittlerweile sogar eine Miles-and-More-Karte."

Zitat:

"Addi ist einer der schnellsten und sprungstärksten Spieler der Liga und weiß selbst noch gar nicht, dass er sogar im Mittelblock decken kann."
Klaus-Dieter Petersen, Abwehrchef und Co-Trainer des THW Kiel

(Von Tim Oliver Kalle, Handball-Magazin)


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