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09.06.2006 Interview

Zebra-Journal: Interview mit Noka Serdarusic: "Ich möchte mit noch mehr Power spielen lassen"

THW-Trainer verspricht sich von Neuzugang Lars Krogh Jeppesen mehr Alternativen

Noka Serdarusic: "In Kiel neigt keiner zur Unvernunft."
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Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 08.06.2006:

Seit dreizehn Jahren ist Noka Serdarusic nun Trainer des THW. In dieser Zeit gewannen seine Mannschaften neun Meisterschaften. Was der 55-Jährige, der gerade zum Trainer der Saison gewählt wurde, von seinem aktuellen Team hält, erzählt er im Zebra-Journal.
Kieler Nachrichten:
Ihre Mannschaft ist mit nur sechs Minuspunkten Meister geworden, in der Champions League im Viertelfinale und im Final Four gegen die SG Kronau ausgeschieden. Sind Sie mit der Saisonbilanz zufrieden?
Noka Serdarusic:
Es ist wohl Utopie zu glauben, dass in einer Saison alles klappen kann. Das, was schief gelaufen ist, bleibt hängen. Wir haben dreimal schlecht gespielt. In Minden, im DHB-Pokal gegen Kronau und im Heimspiel der Champions League gegen Flensburg. Drei schlechte Spiele - das wird sich wohl auch in Zukunft nicht vermeiden lassen. Ich bin auf jeden Fall zufrieden mit der Art und Weise, wie meine Mannschaft gespielt hat. Schließlich haben wir fünf neue Spieler integriert und drei davon standen oft gleichzeitig zusammen auf der Platte.
Kieler Nachrichten:
Drei der fünf Neuzugänge sprachen kaum ein Wort Deutsch als sie zum THW kamen. Darunter hat auch die Vorbereitung gelitten. Hätten Sie gedacht, dass sich die Mannschaft so schnell findet?
Noka Serdarusic:
Ich war überrascht, wie schnell es geklappt hat. Die meisten der Jungs waren zum ersten Mal von zu Hause weg, mussten eine neue Sprache lernen. Dabei haben wir allerdings auch Druck ausgeübt und kontrolliert, ob die Jungs tatsächlich den Sprachunterricht besucht haben. Wenn nicht, dann gab es auch eine Reaktion von unserer Seite.
Kieler Nachrichten:
Lässt sich diese Meistermannschaft mit dem Team vergleichen, das 1994 erstmals nach 30 Jahren wieder die Schale gewann?
Noka Serdarusic:
Nein. Inzwischen hat sich die ganze Handball-Welt geändert. Die Art und Weise des Spiels, das Tempo - das lässt sich nicht vergleichen. Damals haben wir mit unserer überlegenen Fitness Mannschaften geschlagen, die einen besseren Handball spielten als wir. Als ich damals das Training übernahm, mussten die Jungs so hart arbeiten wie noch nie zuvor in ihrer Karriere. Inzwischen haben die anderen Klubs in diesem Bereich aufgeholt. Einige haben sogar ein noch umfangreicheres Pensum als wir. Eindeutig ist, dass die aktuelle Mannschaft eine deutlich höhere Qualität hat als das Team von 1994.
Kieler Nachrichten:
Was zeichnet die Zebras im Jahr 2006 aus?
Noka Serdarusic:
Das ist eine junge und hungrige Truppe mit einer intakten Kameradschaft. Die suchen sich auch im Privatleben. Bis auf wenige Ausnahmen war während meiner Amtszeit beim THW die Kameradschaft allerdings immer intakt. Besonders imponiert mir, dass die Jungs immer bis zum Umfallen kämpfen und bis zum Schlusspfiff ein unglaubliches Tempo gehen. Es gab THW-Mannschaften, die bei einer Zehn-Tore-Führung gleich zwei Gänge rausgenommen haben. Die Lust, einen Gegner richtig unter die Räder zu nehmen, war nur selten da. Das ist jetzt anders. Außerdem ist die aktuelle Mannschaft nur schwer auszurechnen. Wir spielen zwei Spiele mit hohem Tempo und ein drittes dann wieder ganz anders.
Kieler Nachrichten:
Welche Spieler haben den größten Sprung gemacht?
Noka Serdarusic:
Auf jeden Fall Nikola Karabatic. Ich hätte nie gedacht, dass er in Angriff und Abwehr so schnell eine solche Rolle spielen könnte. Eigentlich dauert es Jahre, um gerade auf der Mittelposition in der Abwehr so zu spielen wie er es macht. Positiv überrascht haben mich auch Viktor Szilagyi und Kim Andersson. Szilagyi hat einige Male überzeugend gespielt und unseren Tempohandball noch einmal um einige Prozentpunkte gesteigert. Andersson hat gezeigt, was er einmal für diese Mannschaft wert sein könnte.
Kieler Nachrichten:
Was fehlt einem Kim Andersson noch?
Noka Serdarusic:
Er ist noch nicht so weit wie Nikola. Manchmal spielt er zu wild, dann fehlt ihm in anderen Spielen die nötige Aggressivität. Aber er hat in dieser Saison einen großen Schritt gemacht und wird, davon bin ich überzeugt, sich in der nächsten Saison noch einmal deutlich verbessern. Ich habe ihn in seinen letzten beiden Jahren, die er in Schweden gespielt hat, beobachtet. Da hatte ich fast den Eindruck gewonnen, er wollte sich nicht mehr quälen. Aber er will.
Kieler Nachrichten:
Wird Nikola Karabatic eines Tages Stefan Lövgren als Mittelmann beim THW Kiel beerben?
Noka Serdarusic:
Wenn ihn die Mannschaft auf dieser Position braucht, wird er dort auch spielen. Er kann diese Rolle sicherlich problemlos ausfüllen. Aber durch seinen starken Willen, seine Kämpfernatur und die Fähigkeit, Unerwartetes zu machen, ist er eigentlich als Halblinker für die Mannschaft noch wertvoller. Da ist er schon jetzt, obwohl erst 22 Jahre alt, einer der besten der Welt.
Kieler Nachrichten:
Mit Lars Krogh Jeppesen vom FC Barcelona verstärkt sich der THW in der nächsten Saison mit einem weiteren Weltklasse-Spieler. Was erwarten Sie von ihm?
Noka Serdarusic:
Das Problem ist, dass er seit einem halben Jahr verletzungsbedingt kaum gespielt hat. Es ist also fraglich, in welcher Verfassung er sein wird. Geholt haben wir ihn, weil er im Mittelblock stehen kann. Dann muss ich nicht mehr zittern, wenn Marcus Ahlm oder Nikola Karabatic einmal ausfallen. Außerdem kann ich Nikola so einige Pausen gönnen, um mit noch mehr Power spielen zu lassen. Er hat in der letzten Saison einige Male zu lange auf dem Feld gestanden. Außerdem werden wir im Angriff mit Jeppesen noch variabler.
Kieler Nachrichten:
Weil Sie in der Abwehr auf Ahlm setzen mussten, gab es für Pelle Linders in dieser Saison nur wenig Spielanteile. Wird sich daran etwas ändern?
Noka Serdarusic:
Die Chance besteht. In der Abwehr hat Pelle nicht das Niveau eines Marcus Ahlm. Aber wenn Jeppesen und Karabatic im Mittelblock stehen, kann ich ihn hier auch auf einer anderen Position "verstecken". Im Angriff kommt er fast an ihn heran. Dabei muss man aber bedenken, dass Ahlm von vielen meiner Kollegen als bester Kreisläufer der Welt bezeichnet wird. Außerdem hat Pelle in der dänischen Liga die Rolle als Kreisläufer ganz anders ausgeübt. Er war immer in Bewegung, ist viel gelaufen. In Kiel ist das taktische Konzept aber so ausgerichtet, dass jeder immer genau weiß, an welcher Stelle der Kreisläufer steht. Noch ist Pelle dafür zu zappelig, aber langsam fügt er sich in diese Rolle ein.
Kieler Nachrichten:
Auf der Zielgeraden erwies sich die Torhüterposition als Sorgenkind. Was müsste passieren, um hier Abhilfe zu schaffen?
Noka Serdarusic:
Wir müssen über einen weiteren Torhüter nachdenken. Das muss nicht der dritte Mann hinter Henning Fritz und Mattias Andersson sein. Das kann auch die Nummer eins oder zwei sein. Mattias hat in dieser Saison sicherlich gut gehalten. Aber nach seiner jüngsten Verletzung haben wir alle gezittert, dass er zum dritten Mal einen Bandscheibenvorfall hat. Die Verletzungen, die er bereits hatte, waren schwer. Hinzu kam, dass Henning in dieser Phase nicht in Form war. Unsere Ziele sollten nicht an den Torhütern scheitern. Aber beim THW Kiel wird nach dem Motto verfahren, lieber Zweiter zu werden und schwarze Zahlen schreiben, als Erster mit roten Zahlen. Da beide Torhüter laufende Verträge haben, wird es also schwierig, einen weiteren zu verpflichten, der uns auch wirklich hilft.
Kieler Nachrichten:
Sie werden in den nächsten Tagen einen neuen Drei-Jahres-Vertrag beim THW Kiel unterzeichen. Wenn der abgelaufen ist, sind sie fast 59 Jahre alt. Ist das ein Alter, um das Traineramt an den Nagel zu hängen?
Noka Serdarusic:
Klar ist bis jetzt nur, dass ich nicht von Hartz IV leben möchte. Wenn sich keine anderen Optionen ergeben, arbeite ich eben weiter als Trainer. Ob mir das gefällt oder nicht, spielt gar keine Rolle. Ich habe schließlich eine Familie, und die muss ich ernähren. Die Idee, einmal als Sportdirektor beim THW zu arbeiten, ist Spekulation. Es heißt ja, Direktoren haben nichts zu tun. Das wäre nichts für mich.
Kieler Nachrichten:
Sie haben mit dem THW Kiel inzwischen 15 Titel gewonnen. Wäre Ihre Karriere dennoch unvollendet, wenn Sie nie die Champions League gewonnen hätten?
Noka Serdarusic:
Der Gedanke, diesen Titel nicht gewonnen zu haben, obwohl ich die richtige Mannschaft dafür gehabt habe, würde mich sicherlich ewig ärgern. Das Leben ginge aber trotzdem weiter.
Kieler Nachrichten:
Die härtesten Konkurrenten in der Königsklasse kommen aus Spanien. Die Klubs haben den Vorteil, sich im Ligaalltag schonen zu können, weil die Gegner dort deutlich schwächer sind als hier. Wäre es deshalb eine Strategie, die Meisterschaft zu "verschenken", um sich ganz auf die Champions League zu konzentrieren?
Noka Serdarusic:
Das geht nicht. Ich kann mich nicht als Trainer vor junge Sportler stellen und erzählen, dass das nächste Spiel unwichtig ist, sie in drei Tagen aber unbedingt gewinnen müssen. Hätte mir ein Trainer in meiner aktiven Zeit als Spieler so etwas erzählt, hätte ich ihm nichts mehr geglaubt. Eine solche Strategie wird es mit mir als Trainer nicht geben.
Kieler Nachrichten:
Die meisten Ihrer Spieler sind bereits an diesem Wochenende schon wieder mit ihren Nationalmannschaften gefordert. Ist die Belastung zu hoch?
Noka Serdarusic:
Ja. Ich hätte sie gerne noch bis Mitte Juli betreut. In den nächsten beiden Wochen hätte ich sie nach dieser langen Saison vernünftig abtrainiert, danach für vier Wochen in den Urlaub geschickt. Mit einem Fitnessplan, den sie in dieser Zeit einhalten müssen. Das ist leider nicht möglich. Die Regenerationsphase für die Nationalspieler ist viel zu kurz.
Kieler Nachrichten:
Morgen beginnt die Fußball-WM. Interessiert Sie als Handballer dieses Ereignis?
Noka Serdarusic:
Sicher. Aber mir ist inzwischen der Trubel bei solchen Spielen zu viel geworden. In ein Stadion gehe ich deshalb nicht. Aber zu Hause werde ich die Spiele verfolgen. Ich denke, Brasilien, Deutschland und Italien haben die besten Chancen, Weltmeister zu werden. Die Brasilianer sind uns zwar in technischer Hinsicht überlegen. Aber es gewinnt nicht immer das Team mit der besten Technik. Zumal, wenn die WM im eigenen Land stattfindet. Die Deutschen werden so noch einmal 100 Prozent mehr geben und dann ist alles möglich.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 08.06.2006)


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