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20.01.2007 WM 2007

KN-Interview mit Ulrik Wilbek: "Ab Platz zwei ist für uns alles möglich"

Dänen-Trainer Ulrik Wilbek will die "katastrophale" WM-Bilanz aufpolieren

Aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2007:

Kiel - Ulrik Wilbek (48) ist in seiner Heimat ein Star. Der Grundschullehrer (Dänisch und Englisch), der seit seinem 20. Lebensjahr als Trainer arbeitet, wurde mit den Frauen Olympiasieger 1996 und Weltmeister 1997. Vor zwei Jahren kandidierte er für den Bürgermeisterposten in der Kleinstadt Viborg, als das Angebot kam, Nationaltrainer der Männer zu werden. Dreimal gewannen die Dänen Bronze bei einer Europameisterschaft, doch bei Weltmeisterschaften gelang 1982 mit Platz vier der letzte große Erfolg.
Kieler Nachrichten:
Was hätten Sie als Bürgermeister von Viborg verändert?
Ulrik Wilbek:
Ich bin ein Mensch mit Visionen. Mich interessiert, was in 20 Jahren passiert. Wenn die Opposition eine gute Idee hat, dann freue ich mich darüber. Meine Parteikollegen sagen dann, dass es keine gute Idee ist, weil sie von der anderen Seite kommt. Viele Politiker denken bei ihren Entscheidungen an die eigene Wiederwahl, das ist mir nicht wichtig.
Kieler Nachrichten:
Herr Wilbek, Sie haben Männer und Frauen trainiert. Worin liegt der Unterschied?
Ulrik Wilbek:
Einen großen gibt es nicht. Frauen kann ich bei Übungen ohne Aufsicht lassen, Männer nicht. Dafür üben sie nach dem Training noch Würfe und entwickeln den Handball aus eigenem Antrieb. Frauen sitzen nach der letzten Einheit lieber auf der Bank und unterhalten sich.
Kieler Nachrichten:
Was haben Sie als Trainer verändert, als Sie Torben Winther beerbten, der bei der WM vor zwei Jahren in Tunesien nur Platz 13 belegte?
Ulrik Wilbek:
Die Mannschaft hat sich mehr Kommunikation gewünscht und bekommen. Wir arbeiten viel im mentalen Bereich. Mir war es wichtig, den Spieler klar zu machen, dass wir als Team gewinnen und verlieren. Deshalb habe ich den Kapitän abgeschafft, die Jüngeren müssen nicht mehr länger die Bälle tragen. Und ich sitze bei den Busfahrten nicht wie üblich in der ersten Reihe, sondern irgendwo in der Mitte. Bei den Mahlzeiten essen alle zusammen, es gibt keinen speziellen Tisch mehr für die Team-Verantwortlichen.
Kieler Nachrichten:
Wie kommunizieren Sie mit den Spielern? Stellen sie gemeinsam die Mannschaft auf?
Ulrik Wilbek:
Jeder hat in unserem Team seine Aufgabe. Lars Jörgensen ist der Chef in der Deckung, wir nennen ihn Arbeitsminister. Joachim Boldsen ist unser Angriffsminister, Sören Stryger als Energieminister für die Impulse auf dem Feld zuständig und Bo Spellerberg ist der Computerexperte - der Technikminister. Über die Aufstellung sprechen wir viel. Ich frage die Spieler in regelmäßigen Abständen, ob sie sich auf ihrer Position als Nummer eins, zwei oder drei fühlen. Fast immer stimmt ihre Einschätzung mit meiner überein. Jeder weiß bei uns, welche Rolle er spielt. So gibt es keine Unruhe.
Kieler Nachrichten:
Die männliche Jugend war dreimal Weltmeister, die Männer haben in den letzten 25 Jahren nie mehr als Platz acht erreicht. Warum sollte es diesmal besser laufen?
Ulrik Wilbek:
Wir werden nicht gegen Frankreich gewinnen. Die sind zu souverän. Aber ab Platz zwei können wir alles erreichen. Ich habe den Vorteil, 16 fast gleichwertige Spieler zu haben, die ich vom ersten Tag an auch bedingungslos einsetzen werde. Wer Weltmeister werden will, muss insgesamt zehn Spiele absolvieren. Da gewinnt die Mannschaft, die am Ende die meisten Reserven hat. Die Kroaten beispielsweise haben nur sieben oder acht Spieler gleicher Güte. Sie werden stark anfangen, später aber müde sein.
Kieler Nachrichten:
Welche Erwartungen haben Ihre Landsleute? Immerhin sind 50 Journalisten mitgereist, das Fernsehen überträgt live und in der Ostseehalle werden 5000 Dänen erwartet.
Ulrik Wilbek:
Die Fachleute rechnen damit, dass wir mindestens das Halbfinale erreichen. Die "normalen" Fans erwarten bei unserer katastrophalen WM-Bilanz nichts. Gewinnen wir gegen Norwegen und Ungarn, explodiert die Begeisterung in unserem Land. Die Stimmung in der Ostseehalle wird uns einen gewaltigen Schub geben. Die Dänen, die bei der SG Flensburg spielen, freuen sich darauf, zum ersten Mal in Kiel nicht ausgepfiffen zu werden.
Kieler Nachrichten:
Sie haben die schwerste Vorrundengruppe erwischt und könnten ab Mittwoch auch nur noch der Top-Favorit im Präsidenten-Cup sein.
Ulrik Wilbek:
Das stimmt. Aber eine Mannschaft kann sich in zwei Richtungen motivieren. Sie kann sich entweder ein hohes Ziel stecken oder sich vornehmen, ein Ereignis auf jeden Fall zu vermeiden. Für uns ist das der Präsidenten-Cup. Für ein Team, das um den Titel mitspielen will, gibt es nichts Schlimmeres, als am Ende in diesem Turnier zu landen. Wenn ich das Gefühl habe, einer meiner Spieler fängt an, überheblich zu werden, sage ich einfach nur "Präsidenten-Cup". Das reicht.
(Mit Ulrik Wilbek sprach in Kiel Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2007)


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