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26./28.01.2008 - Letzte Aktualisierung: 28.01.2008 EM 2008 / Nationalmannschaft

Deutschland verliert gegen Dänemark in letzter Sekunde

Update #3 KN-Bericht, weitere Stimmen, Spielbericht und weitere Fotos ergänzt...

Christian Zeitz am Boden - Pascal Hens tröstet.
Klicken Sie zum Vergrößern! Christian Zeitz am Boden - Pascal Hens tröstet.
Es hat nicht sollen sein: Die durch Verletzungen arg dezimierte deutsche Nationalmannschaft hat den Einzug ins Finale der Europameisterschaft hauchdünn verpasst. Im Halbfinale gegen Dänemark gab das Brand-Team noch einmal alles, doch ein von Lars Christiansen in der letzten Sekunde verwandelter Siebenmeter riss das DHB-Team aus allen Goldträumen. Am Ende gewannen die Dänen mit 26:25 (10:13) und zogen damit erstmals in ein Finale bei einer kontinentalten Meisterschaft ein, wo sie am Sonntag auf Kroatien treffen. Die Kroaten besiegten zuvor den haushohen Favoriten Frankreich mit 24:23. Deutschland spielt nun am Sonntag um 13.30 Uhr gegen Frankreich um die Bronzemedaille.
Mit großen personellen Sorgen startet die deutsche Auswahl in die Partie gegen einen Gegner, der nicht nur Bestbesetzung, sondern auch mit viel Selbstvertrauen antrat. In der Abwehr sollte der kurzfristig nachnomminierte Frank von Behren das Loch stopfen, das Oliver Roggisch durch sein verletzungsbedingtes Fehlen riss. In der Anfangsphase fehlte deshalb noch ein bisschen die Abstimmung in der DHB-Abwehr, die mit viel Kampf und noch größerem Einsatzwillen aber kompensiert werden konnte.

Erneute eine starke Leistung: Markus Baur.
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Die ersten Minuten gehörten im Angriff ganz klar Holger Glandorf, der drei seiner Treffer bis zur neunten Minute erzielte. Da war noch nicht viel passiert, die Führung hatte gewechselt. Auch, als es nach Hens 5:4 (11.) in der Offensive sieben Minuten lang hakte, wurde man auf Seiten des Weltmeisters nicht nervös - auch wenn die Dänen durch Knudsen und ein Geschoss von Jensen mittlerweile mit 7:5 in Führung gegangen waren (18.). Was folgte war die unglaubliche Johannes-Bitter-Show: Die Riese im Tor schwang sich zu eben solchem auf, vereitelte reihenweise klarste Chancen der Dänen und leitet damit ein ums andere Mal schnelle Gegenstöße ein. Glandorf aus dem Stand, Kraus mit einem Alleingang, Kehrmann mit einem Heber über den starken Hvidt, Kehrmann per Tempogegenstoß: Aus dem Zwei-Tore-Rückstand hatte die deutsche Mannschaft innerhalb von vier Minuten einen Zwei-Tore-Führung gemacht, ließ sich in ihrem Vorwärtsdrang auch durch eine von Dänen-Coach Wilbek genommene Auszeit nicht beirren. Bitter hielt - und das DHB-Team zog davon. 12:7 hieß es nach 26 Minuten, sieben Treffer in Folge sorgten für Unruhe bei den Dänen. Doch durch Fehler im Angriff und einigen Löchern in der Defensive baute das deutsche Team den Gegner wieder auf. Ganze 30 Sekunden benötigten die, um durch Boldsen und Nöddesbo den Anschluss wieder herzustellen. Auch Jansens toller Dreher schockte die Skandinavier nicht, mit dem 10:13 zur Pause konnten sie gut leben.

Frust auf der deutschen Bank: Dominik Klein und Christian Zeitz.
Klicken Sie zum Vergrößern! Frust auf der deutschen Bank: Dominik Klein und Christian Zeitz.
Kehrmanns 14:10 aus nahezu unmöglichem Winkel sollte den Auftakt zu dramatischen 30 Minuten bilden. Dänemark hatte trotz des Treffers den besseren Start, zwei Minuten - drei Treffer - nur noch 14:13 für die deutsche Mannschaft (34.), weitere vier Minuten später glichen die Dänen, bei den Hvidt nun zum immer stärkeren Rückhalt seiner Verteidigung wurde, aus. Ein offener Schlagabtausch entwickelte sich, in dem sich die Waagschale jedoch zusehends in Richtung der Skandinavier neigte. Den deutschen Rückraum, durch eine Verletzung von Zeitz und den Blessuren von Kraus früh seiner Alternativen beraubt, wurde nun immer öfter Opfer der dänischen Abwehr-Jagd. Vor allem Pascal Hens hatte einmal mehr keinen guten Tag erwischt, Holger Glandorf verließen zusehends die Kräfte. Vom Kreis kam wenig Unterstützung, sowohl Klimovets als auch Preiß waren vollkommen abgemeldet. Aber immer, wenn man glaubte, Dänemark könne sich absetzen, kehrte die deutsche Mannschaft wieder in die Partie zurück. Zumeist war es Bitter, der nach der sensationellenv ersten Hälfte abbaute, der mit einigen schönen Paraden seine Vorderleute zur Energiefreimachung antrieb. Als Kehrmann jedoch beim Tempogegenstoß zum 19:20 endgültig seinem Körper Tribut zollen und zur Behandlung in die Kabine musste, war es um das Angriffsspiel nicht mehr gut bestellt - zumal das DHB-Team kurz darauf eine doppelte Unterzahl zu überstehen hatte.

Lars Christiansen dreht nach seinem finalen Siebenmeter jubeln ab.
Klicken Sie zum Vergrößern! Lars Christiansen dreht nach seinem finalen Siebenmeter jubeln ab.
Aber auch die nutzten die Dänen nicht für eine Vorentscheidung, auch wenn sie in dieser Phase aus einem 21:22-Rückstand eine 23:22-Führung machen konnten. Spätestens als Christansen zum 25:23 traf (58.), schien die Partie endgültig entscheiden. Doch der Handball-Gott hatte noch einen finalen Akt im Ärmel: Preiß verkürzte, Dänemark beging ein Stürmerfoul und 23 Sekunden vor Schluss tankte sich Kraus einmal mehr durch die Abwehr - 25:25! Die Sekunden verrannen, doch in die Verlängerung konnten sich Brands Mannen nicht mehr retten. Preiß wusste sich gegen Knudsen nur mit einem Foul zu behelfen, die Schiedsrichter pfiffen Siebenmeter. Drei Sekunden vor dem Ende beorderte Brand Henning Fritz ins Tor, hoffte mit dem ehemaligen Magier ein Wunder herauf beschwören zu können. Doch es half nichts: Christansen verwandelte den Strafwurf ungewohnt kaltschnäuzig - der Rest war dänischer Final-Jubel!

Riesenjubel: Dänemark erreichte zum ersten Mal überhaupt ein EM-Finale.
Klicken Sie zum Vergrößern! Riesenjubel: Dänemark erreichte zum ersten Mal überhaupt ein EM-Finale.
Für die deutsche Mannschaft geht es nun im kleinen Finale gegen den entthronten Europameister Frankreich um die Bronze-Medaille. Anpfiff ist um 13.30 Uhr am Sonntag, das ZDF überträgt die spannungsgeladene Partie live.

(Christian Robohm)

Im ersten Spiel Halbfinale unterlag Frankreich gegen Kroatien mit 23:24 (9:11) (siehe Spielbericht).

Lesen Sie bitte auch den ausführlichen Spielbericht der KN.

Stimmen zum Spiel:

Bundestrainer Heiner Brand gegenüber der ARD:
Die Verletzungen waren bitter, weil wir keine Alternativen hatten und unsere Kräfte in der Schlussphase schwanden. Pascal Hens und Holger Glandorf mussten heute wieder durchspielen. Von der Einstellung her war das heute aber in Ordnung, das Team hat gefightet. Bei 12:7 in der ersten Hälfte haben wir wieder zu früh abgeschlossen und Dänemark rankommen lassen, wenngleich man in solch einer frühen Phase sich mit Sicherheit nicht vorentscheidend hätte absetzen können. In der zweiten Hälfte hatten wir dann Schwierigkeiten, zum Torerfolg zu kommen: Der Angriff war nicht mehr dynamisch, nicht präzise und ein wenig zu ungeduldig - das nutzen die Dänen, sie sind eine Spitzenmannschaft. Unsere Kräfte haben am Ende einfach nicht mehr gereicht.

gegenüber den KN:
Heute hat uns am Ende die Frische gefehlt, der Gegner hatte auf den zentralen Positionen aber auch mehr Wechselmöglichkeiten.

Johannes Bitter gegenüber der ARD:
Unser Kräfteverschließ war enorm, am Ende konnten wir einfach nicht mehr gegenhalten, weshalb der Sieg der Dänen gerechtfertigt ist. Aber wir haben einmal mehr das Herz in beide Hände genommen und gekämpft - das kann aber nicht immer klappen. Natürlich tut dies auch ein bisschen weh.
Markus Baur gegenüber der ARD:
Es war ein spannendes Spiel, dass Dänemark ein bisschen verdient gewonnen hat. Aber wir haben uns nichts vorzuwerfen, haben ein gutes Spiel gemacht. Am Ende hat es halt nicht gereicht, unsere vielen Verletzten sollten dafür auch nicht als Entschuldigung herhalten. Aber was soll man machen: Lars Christiansen verwandelt zum ersten Mal in seinem Leben einen Siebenmeter in einer wichtigen Phase eines wichtigen Spiels - und das ausgerechnet gegen uns (lacht). Morgen werden wir noch einmal alles geben und alles versuchen: Bronze ist ja schließlich auch etwas!
Frank von Behren gegenüber der ARD:
Wir haben in der zweiten Hälfte abgebaut und zu wenig Tore erzielt. Zugleich ist Dänemark stärker geworden, letztlich geht deren Sieg in Ordnung - sie haben es auch einmal verdient. Nun können wir morgen mit einer Medaille noch einen krönenden Abschluss dieser Titelkämpfe feiern.
Lars Christiansen gegenüber den KN:
Ich habe oft gegen Fritz an der Strafwurflinie gestanden. Ich wusste, dass ich dieses letzte Tor machen werde. Es ist ein Traum für einen Handballer, in solchen Momenten zu treffen. Der Sieg war verdient.

26.01.08, Sa., 18.00: Dänemark - Deutschland: 26:25 (10:13)

Dänemark:
Hvidt (1.-60., 15 Paraden), Henriksen (n.e.); Boesen (3), Joergensen (1), Jensen (2), Christiansen (5/3), Spellerberg (2), Knudsen (4), Nöddesbo (1), Jeppesen, Sondergaard (1), Boldsen (3), Lindberg, Nielsen (3); Trainer: Wilbek
Deutschland:
Fritz (1 Siebenmeter, 0 Paraden), Bitter (1.-60., 18 Paraden); Hens (3), v. Behren, Klein, Preiß (1), Glandorf (4), Baur (4), Zeitz (1), Jansen (2), Klimovets (1), Kraus (3), Kehrmann (6), Kaufmann (n.e.); Trainer: Brand
Schiedsrichter:
Poladenko / Chernega (RUS)
Zeitstrafen:
Dänemark: 2 (Boesen (26.), Knudsen (49.)) ;
Deutschland: 4 (v. Behren (49.), Zeitz (52.), Klimovets (54.), Preiß (60.))
Siebenmeter:
Dänemark: 3/3 ;
Deutschland: 1/0 (Hvidt hält Baur (8.))
Spielfilm:
1. Hz.: 1:0, 1:2 (3.), 3:3, 5:5 (12.), 7:5 (18.), 7:7 (19.), 7:12 (26.), 9:12 (28.), 10:13;
2. Hz.: 10:14, 13:14 (34.), 15:15 (38.), 18:18 (44.), 20:18 (46.), 20:20 (48.), 22:22, 24:22 (57.), 25:23, 25:25 (60.), 26:25.
Zuschauer:
6012 (Hakons Hall, Lillehammer (NOR))

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2008:

Weltmeister mit leeren Händen

Peinlicher Auftritt beim 26:36 im Bronzespiel gegen Frankreich - Halbfinal-Niederlage gegen Dänemark saß tief
Lillehammer - Mit großen Hoffnungen war der Weltmeister in Norwegen an den Start gegangen. Nach der peinlichen 26:36 (9:18)-Niederlage gegen Frankreich im Spiel um Platz drei standen die Schützlinge von Heiner Brand gestern Nachmittag in der Hakonshall von Lillehammer am Ende allerdings mit leeren Händen da.

In einem dramatischen Halbfinale hatten die Deutschen tags zuvor gegen Dänemark (25:26) den Traum von der Goldmedaille platzen lassen. Die Entscheidung fiel einmal mehr in den letzten Sekunden, als Sebastian Preiß den dänischen Kreisläufer Michael Knudsen umklammerte und mit ihm in den Kreis stürzte. Die Entscheidung war eindeutig: Siebenmeter. Lars Christiansen sollte werfen, der in einem spannenden Spiel bis dato mehr Schatten als Licht erlebt hatte. Brand wechselte Henning Fritz ein, der sich zu Kieler Zeiten viele Duelle mit dem Linksaußen der SG Flensburg-Handewitt geliefert hatte. Doch Christiansen traf, raste quer durch die Halle und verschwand unter einer rot-weißen Spielertraube.

Dass der 35-Jährige sicher vollstreckte, war symptomatisch für eine dänische Mannschaft, die die Selbstzweifel der Vergangenheit endlich abgelegt hat. "Das war der erste entscheidende Siebenmeter, den er verwandelt hat", meinte ein geknickter Markus Baur, dessen Team zuvor einen 5:7-Rückstand (18.) in eine 12:7-Führung (26.) umgedreht hatte und wie ein Sieger aussah. Johannes Bitter hatte wie ein Titan gehalten, der nachnominierte Frank von Behren im Mittelblock ein starkes Spiel abgeliefert und Florian Kehrmann, der Mann ohne Nerven, gewohnt zuverlässig getroffen. Doch der Rechtsaußen zog sich beim Stand von 9:7 eine Oberschenkelzerrung zu, biss auf die Zähne, pendelte ständig zwischen Bank und Spielfeld hinterher, bis er nach seinem sechsten Tor zum 19:20 die weiße Fahne hissen musste. "Da hat der Muskel endgültig zugemacht." Sebastian Preiß quälte sich mit einem entzündenden Knie über die Ziellinie, Christian Zeitz mit Rückenschmerzen, Michael Kraus mit einer Prellung im linken Unterarm. Das Lazarett glich durch zwei Tore von Kraus und Preiß noch einmal auf 25:25 aus, als Bo Spellerberg mit seinem finalen Pass Knudsen fand. "So einen Ball spielt er sonst nie. Das hat er sich bei mir abgeschaut", lobte ein feixender Joachim Boldsen.

Entsprechend frustriert schlichen die Deutschen in die Kabine und trugen den Kopf auch noch unter der Schulter, als sie gestern um Bronze spielen sollten. "Die Verletzten haben auf der Tribüne alles gegeben", lobte Pascal Hens. "Aber denen, die auf dem Platz standen, wollte einfach einfach nichts gelingen. Es war eine einzige Katastrophe." Wie Auszubildende, die dem Meister ehrfürchtig über die Schulter blicken, erlebte das Brand-Team seinen Untergang. 2:10 nach elf Minuten - was wie Grönland klingt, war tatsächlich der Weltmeister. Brand hatte zu diesem Zeitpunkt schon Fritz vom Feld genommen, der dies entsprechend angefressen aufnahm.

So blieb er demonstrativ auf seinem Stuhl kleben, als sich die Kollegen bei einer Auszeit neuen Mut zusprechen wollten. Ein wütender Fritz war eines der wenigen Lebenszeichen einer Mannschaft, die es der Gnade des Gegners zu verdanken hatte, nicht noch stärker unter die Räder gekommen zu sein. Ohne Baur, der in der 12. Minute umgeknickt war und mit Verdacht auf eine starke Stauchung im Knöchel das Feld räumen musste, ergaben sich die Deutschen, die in ihrer Not Lars Kaufmann als Kreisläufer aufboten, gänzlich ihrem Schicksal. Die Stimmung besserte sich erst eine Stunde nach dem Abpfiff in der Kabine, als sie sich den Frust mit Bier wegspülten.

(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2008)


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