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23.05.2008 Olympia

Zebra-Journal: Das "Gehirn" denkt nicht mehr an Peking

Absage von Markus Baur bringt den Bundestrainer in Not

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 23.05.2008:

Wochen und Monate hatte er mit sich gerungen. "Ich hätte liebend gerne gespielt, aber dieses Problem habe ich nicht lösen können", sagt Markus Baur. Am Sonntag ist der große Traum geplatzt: Der 37-jährige Kapitän der Nationalmannschaft hat Bundestrainer Heiner Brand für das olympische Turnier in Peking (8.-24. August) absagen müssen. Mit dieser Absage steht fest, dass Baurs Karriere als Sportler endgültig beendet ist.
Er war Europameister 2004, Weltmeister 2007, Olympia-Zweiter 2004, Deutscher Meister 2003, der Aufbauspieler hat auf dem Handballfeld und in 228 Länderspielen die allermeisten Aufgaben brillant bewerkstelligen können. Doch für das Problem, seinen Job als verantwortlicher Klubtrainer des TBV Lemgo und Spieler miteinander in Einklang zu bringen, fand er keinen Ausweg. "Aus Sportlersicht hätte ich sehr gerne teilgenommen", teilte Baur mit. Aus Trainersicht aber müsse er sich mit dem TBV Lemgo auf die Bundesligasaison vorbereiten, die nur eine Woche nach dem Endspiel von Peking beginnt.

Baur, der derzeit im Urlaub weilt, dankte noch einmal dem Bundestrainer. "Das ist super von Heiner, dass er mir diese Möglichkeit so lange offen gehalten hat." Heiner Brand nahm diese Entscheidung dennoch extrem verärgert auf. Hatte er für Peking doch alles auf Baur gesetzt, hatte sogar hingenommen, dass der Regisseur ein halbes Jahr ohne Matchpraxis geblieben war. "Ich will in Peking gut abschneiden, da werde ich Markus gut brauchen", hatte das Gummersbacher Traineridol Ende Januar erklärt, nachdem der Weltmeister bei der EM beim Spiel um Platz drei gegen Frankreich untergegangen war. "Wer bisher Zweifel daran hatte, welche Bedeutung Markus Baur für die Mannschaft hat, sollte jetzt davon überzeugt sein", so Brand damals.

Ohne ihre Leitfigur sinken die Chancen auf den Olympiasieg, den Brand nach dem Gewinn des Weltmeistertitels 2007 mit aller Macht angestrebt hatte, drastisch. Baur war die Zentrale des deutschen Spiels, das Gehirn, und auch abseits des Feldes regelte er die Dinge im Sinne des Bundestrainers. Eine solche Persönlichkeit fehlt nun. Dass Brand mit dem 38-jährigen Kreisläufer Christian Schwarzer einen routinierten Profi nominiert, der Ruhe ins Geschehen bringt, scheint insofern unausweichlich. Für die Aufbauposition muss Brand aber ganz von vorne anfangen. Der logische Ersatzmann wäre Daniel Stephan gewesen. Der 34-jährige Lemgoer, der nach Saisonende auch einen Strich unter seiner Karriere zog, war zweifellos der stärkste deutsche Aufbauspieler der Bundesliga-Rückserie. Trotz dem kann er, der alle Angriffskonzepte Brands im Traum nachspielen kann, nicht einspringen. Weil er dem 30er-Kader des Deutschen Handball-Bundes (DHB) nicht angehört. Unglaublich, aber wahr.

Problem zwei: Mittelmann Michael Kraus spielte in Lemgo, da Stephan so stark agierte, zumeist auf der halblinken Position. Auch bei der WM 2007 in Deutschland, als er endgültig in die internationale Spitze durchbrach, hatte der 24-Jährige hier seine stärksten Szenen. Zudem hat er mit dem Image eines Hallodris zu kämpfen. Als die EM in Norwegen vorbei war, sprach Bundestrainer Brand dem 59-fachen Internationalen mehr oder weniger die nötige Einstellung zum Spitzensport ab und suspendierte ihn sogar. In Peking ist Kraus indes für die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) unverzichtbar.

Noch unerfahrener schließlich sind die zwei potenziellen Nachfolger, die als Kraus-Backup in Frage kommen: Der 21-jährige Martin Strobel (Balingen) verbucht erst elf Länderspiele, und wie Kraus hat auch er zuletzt kaum auf seiner Stammposition in der Mitte, sondern auf halbrechts gespielt. Erst fünf Einsätze auf dem Konto hat der 24-jährige Timo Salzer (Wetzlar). Dass der Kieler Christian Zeitz auf der Aufbauposition als Notlösung einspringt, wie er es überzeugend im Champions League-Finale 2007 tat, ist unwahrscheinlich. Denn mit Zeitz, Holger Glandorf (Nordhorn) und dem Lemgoer Flügelspieler Florian Kehrmann hat Brand nur drei Linkshänder mit Weltniveau zur Verfügung. Oleg Velyky (HSV Hamburg) laboriert an einem Kreuzbandriss und kuriert zudem eine Hautkrebserkrankung aus. Und die Mindener Aufbauspieler Frank von Behren und Michael Haaß drängten sich in der Rückrunde nicht gerade auf.

Dass Baur in dieser Lage verzichtet, ist bitter für den Bundestrainer, der "Kommunikationsprobleme" beklagte. Zumal in DHB-Kreisen kolportiert wurde, dass nicht TBV-Geschäftsführer Volker Zerbe oder der künftige Sportdirektor Daniel Stephan und Baur die Entscheidung getroffen haben. Sondern angeblich die einflussreichen Großsponsoren, die Gerry Weber AG und noch mehr die Heristo AG, die im vergangenen Jahr mit einem Millionenbetrag in den Klub eingestiegen war. Wie auch immer: Heiner Brand muss hinnehmen, dass die Klubinteressen in diesem Fall höher bewertet werden als seine.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 23.05.2008)


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