THW-Logo
23.05.2008 Verein

Zebra-Journal: Verborgene Schätze

Das "Westheider-Archiv" zeigt die Stationen des THW auf dem Weg zum Erfolg

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 23.05.2008:

Weihnachten stand vor der Tür. Zeit für eine schöne Geschenkidee. Unter der Überschrift "Für den Weihnachtstisch" pries die Vereinszeitung des Turnvereins Hassee-Winterbek den Kauf des Trikots der Handball-Abteilung an. Das setzte sich mit dem schwarz-weißen Zebrastreifen doch stark von den weißgrauen Turnerhemden ab!
"Die kurze schwarze Hose haben wir schon fürs Turnen angeschafft", hieß es. "Das Handballhemd ist schwarz-weiß längs gestreift mit langen Ärmeln - in Hassee wohl zu Genüge bekannt." Der Artikel erschien im Dezember 1928. Noch 1925 hatten die THW-Handballer die weißen Trikots getragen. Irgendwann dazwischen ist der "Zebra"-Look entstanden, das später so berühmte Markenzeichen.

Wann genau das war und wer diese Streifen erfand, das gibt auch das Vereinsarchiv im THW-Vereinsheim am Krummbogen in Hassee nicht preis. Aber dafür bieten die Archivalien aus der nun 85-jährigen Geschichte der THW-Handballabteilung einen sagenhaften Querschnitt durch die deutsche Handballhistorie, der vielleicht sogar einzigartig in Deutschland ist. Unzählige Artikel und Fotos zieren die chronologisch angelegten Aktenordner in zwei Schränken, welche die THW-Mitglieder schlicht "Westheider-Archiv" nennen. Denn es war Fritz Westheider, der diese Sammlung anlegte und dessen systematisches Training die THW-Mannschaften erst zu den großen Erfolgen in den 1950er Jahren führten. An den beiden Deutschen Feldhandball-Meisterschaften der Jahre 1948 und 1950 wirkte Westheider als Spielertrainer mit. Bei der ersten Hallen-Meisterschaft 1957 war er verantwortlicher Trainer.

Westheider - der Jahrgang 1909 geboren wurde, 1926 in den THW eintrat und 1938 erster THWer in der Nationalmannschaft wurde - lebte den Verein wie kaum ein anderer. Als er nicht mehr in Funktion war, fing er an, alles Greifbare über die THW-Geschichte zu sammeln. Material bekam er reichlich. Viele Vereinsmitglieder schickten ihm Fotos, Briefe und Zeitungsausschnitte zu. Er hatte diesen Traum: Einst eine "THW-Chronik" in eine Buchform zu gießen. "Ich brauche noch zwei Jahre", versicherte er an seinem 75. Geburtstag. Aber es gelang ihm nicht. Vielleicht scheiterte er einfach an der Masse der Informationen. Als er am 10. August 1998 im Alter von 89 Jahren starb und ihn Hein Dahlinger als große Gründerfigur würdigte ("Er war der THW Kiel. Wer ist nicht durch seine Hände gegan gen"), hatte er dennoch mit dem Archiv gewissermaßen das Gedächtnis dieses Vereins hinterlassen.

Danach erweiterte Klaus Jungen das Archiv mit weiteren Zeitungsausschnitten und Programmheften der Heimspiele. "Ich war damals Handballobmann, deswegen bekam ich ja immer alle Artikel über den THW auf den Tisch", erzählt er. "Da habe ich gedacht: Einer muss das ja weitermachen, damit da keine Lücke entsteht." Er füttert das Archiv auch heute noch, obwohl er seit 2006 nicht mehr in Funktion ist. "Einer muss sich ja darum kümmern", sagt er lapidar.

Das Archiv birgt manchen Schatz, erzählt manche lustige Anekdote. Zum Beispiel, dass sich der THW Kiel mit den Flensburgern bereits in den 1930er Jahren körperlich recht handfeste Auseinandersetzungen lieferte. Als der Mittelläufer Möbius von Flensburg 08 im September 1938 die 2:10-Niederlage gegen die "Zebras" offenbar nicht verkraftete und nacheinander die Kieler Verteidiger Illing (Gehirnerschütterung) und Lohse (doppelter Kiefer bruch) verletzte und sogar ins Krankenhaus kamen, schlugen die Wellen hoch. Es kam sogar zu einem Schadensersatzprozess vor dem Flensburger Landgericht.

Den Beginn der großen Rivalität mit den Mannschaften an der anderen Förde hatte ein Spiel der 1. Jugendmannschaft am 15. August 1926 zur Flensburger Turnerschaft markiert. Der THW verlor 1:5. "Es soll nicht geleugnet werden, dass die Flensburger Knaben in der Ballbehandlung, durch ihre Kniffe beim Abgeben und vor allem durch den allen Flensburgern eigentümlichen Schuss, den unsern überlegen waren", anerkannte die Vereinszeitung neidlos die Vorteile beim Gegner. Nach der "Ehrenrunde im Kringelbeißen und Ponyreiten" auf einem Kinderfest war die Niederlage bald vergessen.

Abgesehen von diesen Anekdoten erzählt das Archiv aber vor allem eines: den sportlichen Aufstieg des THW von einer lokalen Größe bis hin zu einer der besten Klubmannschaften der Handball-Welt. Dabei baute der Verein in den ersten vier Jahrzehnten vor allem auf die hervorragende Nachwuchsarbeit von Trainern wie Westheider auf. Dieser bildete sich häufig auf Lehrgängen des ersten Handball-Reichtrainers Kaundynia weiter. Sehr gut nachvollziehbar ist auch die interessante Metamorphose des Klubs von einem reinen Hasseer Amateur-Verein hin zu einer Profi-Mannschaft mit internationaler Besetzung. Eingeleitet wurde diese Entwicklung, nachdem mit Hein Dahlinger einer der letzten lupenreinen Amateurverfechter des Klubs im November 1972 das Traineramt aufgab. Der erste Ausländer, den der THW im Sommer 1974 nach dem Wiederaufstieg in die noch zweigeteilte Bundesliga verpflichtete, war der 19-jährige Däne Lars Bock. Er war THW-Obmann Gert Reese aufgefallen, als er die DHB-Auswahl bei der WM in der DDR aus dem Wettbewerb geschossen hatte. Bock aber blieb nur ein paar Monate, das Heimweh zog ihn zurück in die Heimat.

Der mühsame Prozess vom Amateurismus hin zu einem professionell geführten Klub bildet der THW gewissermaßen als Fallbeispiel deutscher Handballentwicklung ab. Die Einführung der Bundesliga im Jahr 1977 beschleunigte den Verlauf und die Abnabelung vom Gesamtverein in eine GmbH & Co. KG im Jahr 1992 unterstrich ihn. Schließlich erfolgte die totale Internationalisierung des Handballs nach dem Bosman-Urteil im Jahre 1995.

Spätestens seit der Klub unter dem neuen Duo Noka Serdarusic/Uwe Schwenker 1994 die erste Meisterschaft einfuhr und eine neue Ära im deutschen Handball einläutete, stand der Klub stets im Zentrum der deutschen Handballdebatten. So forderte Klublobbyist Schwenker im Jahr 1996, als die Nationalmannschaft just die Qualifikation für die WM 1997 in Japan verpasst hatte, die Abschaffung der Auswahlmannschaften. "Ich könnte mir durchaus ein Leben ohne Nationalmannschaft und Europacup vorstellen", sagte der Manager und provozierte damit den frischgebackenen Bundestrainer Heiner Brand. Auftakt einer Diskussion, die im Grunde heute noch anhält und im Detail in diesem spektakulären Archiv nachzulesen ist.

Weitere Informationen zur THW-Geschichte lassen sich ab Herbst im Buch "Schwarz und Weiß" von Erik Eggers, Göttinger Werkstatt-Verlag, nachlesen.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 23.05.2008)


(23.05.2008) Ihre Meinung im Fan-Forum? Zur Newsübersicht Zur Hauptseite