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09.09.2009 Mannschaft

Zebra-Journal: Palmarsson lebt einen Traum

19-jähriger Isländer spielt für das "Manchester United des Handballs"

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.09.2009:

Im Kreis der großen Namen sieht sich Aron Palmarsson bescheiden als "little name".
Klicken Sie zum Vergrößern! Im Kreis der großen Namen sieht sich Aron Palmarsson bescheiden als "little name".

Eigentlich wollte er Fußball-Profi werden. Das Talent liegt in der Familie, Aron Palmarsson ist der Neffe von Eidur Gudjohnsen, einem isländischen Helden. Der Nationalspieler stürmte einst für den FC Chelsea, gewann zuletzt mit dem FC Barcelona gar die Champions League. Irgendwann, so Palmarsson, hätte er aber erkennen müssen, dass seine Chancen, als Handballer ein Profi zu werden, deutlich größer sind.
Der 1,92 Meter große Blondschopf hat nicht nur einen berühmten Onkel. Auch der Vater, Palmar Sigurdsson (46), ist eine lebende Legende. "Er ist der beste Basketballspieler, den Island je hatte", sagt Sohn Aron über Vater Palmar. Der 19-Jährige spielt selbst gerne Basketball, im Sommer ist er in jeder freien Minute unter dem Korb zu finden. Der Fan von Kobe Bryant, dem Star der Los Angeles Lakers, hätte sich auch eine Karriere als Basketballer vorstellen können. "Ich habe es versucht, aber das Training war zu langweilig", sagt Palmarsson, der aus dem Basketball seine Nummer, die "24", mitgenommen hat. Bryant trägt die auch.

"Aron ist der beste junge Spieler, den ich je gesehen habe", lobte die Handball-Ikone Olafur Stefansson jüngst den neuen Mittelmann des THW. "In dieser Altersgruppe steht höchstens Nikola Karabatic mit ihm auf einer Stufe." Als 18-Jähriger wurde er vom FC Barcelona zum Probetraining eingeladen. Er musste absagen, weil ihn Gudmundur Gudmundsson im November 2008 in die isländische Auswahl berief. "Er verfügt trotz seiner Jugend über ein gutes Spielverständnis", sagt der Nationaltrainer. "Er hat alle Voraussetzungen, die man braucht."

Kurz zuvor hatte Landsmann Alfred Gislason bei ihm angerufen. Die Hinrunde der lediglich mit sieben Teams bestückten isländischen Liga war gerade abgelaufen, und der Spielmacher von FH Hafnarfjördur mit Lob überschüttet worden. Gislason bot ihm einen Vertrag an, wollte ihn aber zunächst ein, zwei Jahre in der dänischen Liga reifen lassen. Zu groß schien dem THW-Trainer der Sprung von der Insel in die Bundesliga. Als Palmarsson bei zwei Testspielen gegen Deutschland einige Wochen später einen furiosen Einstand gab, rief Gislason erneut an. "Diesmal hat er mich gefragt, ob ich nicht sofort kommen möchte." Er mochte.

Palmarsson ist Realist. An die Existenz von Trollen, für die ältere Generation Islands ein Fakt, glaubt er nicht. Und bereits als 15-Jähriger war ihm klar, dass er als Sportprofi seine Heimat früh verlassen muss. Sicher, vor dem Wechsel in die Bundesliga hätte er auch seine Bedenken gehabt. Schließlich wird in Island nur einmal am Tag trainiert. Wer sich am Saisonende nicht für die Playoffs der vier besten Mannschaften qualifiziert, hat nur 21 Ligaspiele absolviert. Palmarsson war Fünfter geworden, für ihn endete die Pflicht Anfang April, Handball auf der Insel ist ein Hobby. Die Besten verdienen umgerechnet 1500 Euro im Monat. Nach dem Bankencrash hat die Inflation die Spitzengehälter noch einmal halbiert. Zu den Auswärtsspielen reiste Palmarsson im Privatauto an, nur Akureyi wurde angeflogen.

Trotzdem - Härte hat Palmarsson erfahren. Wenn er mit seiner Mannschaft beim Stadtrivalen Haukar antrat, dann spielten große Emotionen mit. "Auf dem Feld herrschte Krieg", sagt der Rechtshänder, der vielleicht auch Abschied vom Basketball nahm, weil er dann in der Halle des Erzrivalen hätte spielen müssen. Verlaufen sich sonst bei Ligaspielen lediglich 800 bis 1000 Zuschauer in den Arenen, ist das Derby mit 2700 Fans stets ausverkauft. Zweimal hat er mit FH den großen Stadtrivalen in der vergangenen Saison besiegen können. Ein Grund, warum die Auszeichnungen für ihn kein Ende nahmen: bester Mittelmann, bester Angriffsspieler, viel versprechendster Spieler der isländischen Liga 2009.

Mit Extraschichten im Kraftraum hat sich Palmarsson, der sich im April an der Patellasehne im rechten Knie operieren lassen musste, auf die Bundesliga vorbereitet. "Aber als ich hier zum ersten Mal trainiert habe, war klar, dass das nicht gereicht hatte." Wer alleine Gewichte stemmt, der findet eben schnell Ausreden.

Der Umzug aus der 25.000-Einwohner-Stadt Hafnarfjördur ist ihm dagegen leichter gefallen. Klar, Kiel sei viel größer. "Aber das sieht hier ähnlich aus. Beide Städte haben einen Hafen, das gefällt mir." Er lebt in einem Appartement in Melsdorf, das er sich in den ersten Augustwochen mit dem Vater und seiner Mutter Heida Einarsdottir teilte. Seitdem lebt er allein, zum ersten Mal. "Ich muss jetzt zwar selbst aufräumen, aber ich genieße es, für mich sein zu können."

Der Junggeselle ist ein gelassener, unbekümmerter Typ. Einer, der mit voller Begeisterung ein Abenteuer lebt. Auf dem Feld kennt er keine Angst, übernimmt Verantwortung und spielt mit der Frechheit der Jugend auf. Druck, in Kiel das Erbe von Stefan Lövgren und Nikola Karabatic antreten zu müssen, verspürt er nicht. "Ich verstehe ja noch kein Wort, lese also keine Zeitungen", sagt Palmarsson, der fließend Englisch spricht und nun Deutsch büffelt. "Die taktischen Ansagen auf dem Feld verstehe ich, mehr nicht." Das soll sich ändern, er will die nächsten Jahre hier verbringen und sich einen Namen machen. In Island sei er zuletzt "the man" gewesen. Beim THW würde er jetzt als "little name" wieder unten anfangen. Als Fußballer hat er den Sprung zu seinem Lieblingsclub FC Chelsea zwar nicht geschafft. "Aber dafür spiele ich jetzt für das Manchester United des Handballs."

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 07.09.2009)


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