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20.-29.01.2010 - Letzte Aktualisierung: 29.01.2010 EM 2010

Kieler Nachrichten: EM-Tagebuch

KN-Redakteur Reimer Plöhn berichtet aus Österreich

Update #8 Update vom 29.01.

Für die Kieler Nachrichten berichtet Redakteur Reimer Plöhn von der Handball-Europameisterschaft in Österreich. Täglich berichtet er in seinem EM-Tagebuch aus der Alpenrepublik.
Aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2010:

Pleiten Start
Nicht gerade ein Start nach Maß: Wegen des schlechten Wetters sollte es mit dem Bus zum Flughafen Hamburg gehen. Der aber fuhr gerade vor der Nase weg, also nichts wie hinterher. Auf halbem Weg klappte es mit dem Zusteigen. Dann der Schock beim Einchecken: Ausweis vergessen! War die Handball-EM also vorbei, bevor sie begonnen hatte?

Nein, die Polizei half aus der Not. Der "Reiseausweis als Passersatz" kostete acht Euro und machte den Weg ins Abflug-Gate frei. Glücklich - nach einem atemberaubenden Anflug quer über die Bergwelt und einer Vollbremsung auf der kurzen Landebahn - in Innsbruck angekommen, ging die Brille beim Einstieg ins Taxi zu Bruch. Jetzt muss die Aushilfs-Sehhilfe durchhalten. Der nächste Schock folgte an der Hotel-Rezeption: Buchung? Lag nicht vor, Name unbekannt. Das Reisebüro hatte einen Fehler gemacht - kein Zimmer frei. Hier kam der Zufall zur Hilfe. Die Absage eines anderen Gastes just in diesem Moment half aus der Klemme. Puh, das EM-Turnier kann beginnen.

Ein Trottel, dieser Plöhn, denkt jetzt wohl der erstaunte Leser. Aber Pustekuchen, die obige Pleiten-Pech-und-Pannen-Serie erwischte den Kollegen J.K. aus L. Auch N.W. aus H. war beteiligt. Der Verfasser dieser Zeilen hatte alles dabei, genoss die Reise nach Tirol, freut sich bei Plusgraden über die sonnenüberflutete Alpen-Schnee-Märchenlandschaft und hofft auf eine tolle Europameisterschaft. Und natürlich darauf, dass sich bei der Verteilung von Glück und Pech auch weiterhin garantiert nichts ändert.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 20.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2010:

Prima Idee
Grau soll es gestern Morgen in Kiel gewesen sein, ein wenig Schnee sei auch gefallen, lautete die telefonische Botschaft aus der Heimat. Innsbruck hatte ein großartiges Kontrastprogramm zu bieten. Geweckt durch kesse Sonnenstrahlen, die aus einem tiefblauen Himmel ins Hotelzimmer drangen, war die Entscheidung schnell gefallen: Gleich nach dem Frühstück geht's rauf auf den Berg.

Eine prima Idee. In nur 20 Minuten gelangt man auf hochalpines Gelände. Gut gelaunte Skiläufer und aufgeregte Kinderstimmen sind die Begleiter in der von Stararchitektin Zaha Hadid entworfenen hochmodernen Nordkettenbahn. Zweimal umsteigen und schon ist die prachtvolle Winter-Märchenwelt erreicht. Das Wetter: ein Traum. Kein Windhauch stört die wohltuende, fast fühlbare Stille zwischen den majestätischen Bergriesen, die den zweifachen Olympiaort säumen. Innsbruck breitet sich aus auf 570 Metern Meereshöhe in einem Tal zwischen dem Karwendelgebirge, Stubaier und Ötztaler Alpen. Der Blick aus 2334 Metern Höhe von der Hafelekarspitze auf den EM-Ort ist einfach nur prachtvoll. Der grüne Inn, die Kirchen, die Skischanze, dahinter der Hausberg der Stadt, der Patscherkofel.

An der Geierwallyhütte vorbei ist schließlich das Gipfelkreuz erreicht. Auf dem Weg durch tiefen Schnee fällt der Blick dann auf einen Felsen mit der Inschrift "In Gedenken an unseren Bergfreund Erwin Reinhard". Der Mann sei bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen, erzählt jemand. Das wirkt wie ein 30-Kilometerschild in einem Wohnbezirk. Sehr vorsichtig geht es zurück zur Gondel. Dann ist der kleine Ausflug vorüber, ein Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 22.01.2010:

Park-Abkommen
Ein Pole, der nur wenig gebrochenes Englisch spricht, kaum ein Wort Deutsch und für den Austriazismen (Österreichisch auf Deutsch) Sprachelemente aus einer fremden Milchstraße darstellen, dem kann nur mit knappen, klaren Aussagen geholfen werden.

Gestern vor der Rezeption des Journalisten-Hotels Alpinpark: Der oben erwähnte Herr hatte Probleme mit seinem Auto - das wurde nach ungefähr fünf Minuten deutlich. Die geduldige Dame hinter dem Tresen lauschte aufmerksam, behielt auch nach zehn Minuten die Ruhe, als der Mann sie drängte, mit vor die Tür zu kommen. Sie gab nach. Das Palaver ging weiter, die Dame war ein wenig genervt. Der Lautstärkepegel stieg, die Dame war sehr genervt. Immerhin wurde jetzt klar, wo der Schuh drückte. Der laute Herr wollte sein Auto abstellen, fand rundherum aber keinen Parkplatz: Besetzt oder Halteverbotsschilder. Aber erklären, wo der nächste Parkplatz zu finden sei? Wegen der Sprachprobleme ein hoffnungsloses Unterfangen, das hatte die tapfere Frau erkannt.

Also griff sie zum einfachsten Mittel. Er möge seinen Wagen einfach im Halteverbot abstellen, riet sie. Die Knöllchen der kommenden Tage könne er getrost wegwerfen, schließlich gebe es kein Abkommen zwischen Polen und Österreich. Die Lage entspannte sich, der Herr dankte, der Finanzminister wird's verkraften.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 22.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 23.01.2010:

In die Böschung
Innsbruck hat als Eldorado des Wintersports immer Programm. Seit gestern finden im olympischen Eiskanal die Europameisterschaften im Skeleton (bäuchlings auf dem Renn-Schlitten) und Bobfahren statt. Da kam die Einladung von der heimischen Fremdenverkehrszentrale zu einer Rodelpartie für Journalisten gerade recht. Nicht zuschauen, selber machen.

Zugegeben, es ging weitaus gemütlicher zu als in der Eisrinne, in der die Profis Geschwindigkeiten bis zu 130 km/h erreichen. Sogar die Schlitten waren oben auf der Hütte abgeliefert worden. Bei Kasknödelsuppe, wahlweise Frittaten, Hirschgulasch mit Knödel und Blaukraut sowie Kaiserschmarrn aus der Eisenpfanne sorgte ein Zwei-Mann-Duo an Gitarre und Schifferklavier für zünftigen Hütten-Spaß. Mit einigen Mutmachern (Beschleunigern) in der Geschmackslage Obstler im Blut ging es dann gegen Mitternacht hinaus auf die Natur-Rodelbahn, ein großartiger Sternenhimmel bildete den prächtigen Rahmen.

Und die Bilanz nach fünf viel zu kurzen Minuten ohne Bremsen: Gefühlte 20-mal in die weiße Böschung gerast, einen slowenischen Kollegen, der den Ausflug per Videokamera festhalten wollte, samt Ausrüstung in den Tiefschnee gerammt, ein verlorener Schal und sehr, sehr viele blaue Flecken.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 23.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2010:

Betroffenheit
Schon vor Beginn der Pressekonferenz im Mannschaftshotel des deutschen Teams herrschte eine beklemmende Atmosphäre. Der Tod von Oleg Velyky hatte sich längst herumgesprochen, als DHB-Präsident Uli Strombach die traurige Nachricht bestätigte. Man werde gegen Frankreich mit Trauerflor spielen, schloss der DHB-Präsident seine kurze Rede. Danach bat Pressechef Charly Hühnergarth um Fragen. Aber: Die Runde schwieg, Handball geriet zur Nebensache. Fast jeder in diesem Raum hatte auf irgendeine Weise Kontakt mit dem Verstorbenen gehabt, hatte Velyky als großartigen Menschen kennengelernt. Die Trauer erzeugte eine Stille, die niemand der annähernd 100 Journalisten störte. Sie trug den Charakter einer sehr ehrlichen Schweigeminute.

Die Pflicht verlange es, mitzuteilen, dass er den Lemgoer Strobel nachnominiert habe, löste Heiner Brand die Situation auf. Der Bundestrainer sprach mit ungewohnt brüchiger Stimme. Auch als die Spieler hinzukamen, gab es nur ein Thema. HSV-Ass Pascal Hens berichtete von letzten Kontakten zu seinem Vereinskollegen, schilderte, was er empfunden habe, als Velyky Anfang Januar in seine Heimat nach Kiew geflogen sei. "In diesem Moment ist wohl allen klar gewesen, was passieren könnte."

Velyky sei ein ruhiger, aber auch lebensfroher Mensch gewesen, ergänzte der Kieler Christian Sprenger. Und: Obwohl mit dem Schlimmsten gerechnet werden musste, habe er die Nachricht als großen Schock empfunden. "Das Geschehene wird nachwirken", sagte Heiner Brand noch, bevor er schleppenden Ganges den Saal verließ.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 25.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 26.01.2010:

Der stöhnende Koloss
Das Bemühen, objektiv von der Handball-EM zu berichten, ist bei den meisten Kollegen Grundlage ihrer Arbeit. Dabei dürfte nachvollziehbar sein, dass die Deutschen ihrem Team die Daumen (im Verborgenen) drücken, die Franzosen machen es, die Spanier, die Tschechen und die Polen sowieso.

In der zweiten Reihe der Pressetribüne wird dagegen täglich ein auffälliger, bunter Schrein aufgebaut. Der Klein-Computer ist umrahmt von einem hellblauen Mannschaftsschal, daneben liegen Portraitfotos inklusive Autogramme aller slowenischen Teammitglieder. Bewacht wird dieser Schatz von einem ca. 2,05 Meter großen Menschen, der meistens sehr grimmig guckt und seine 150 Kilogramm, wie auch immer, in ein viel zu kleines hellblaues Trikot gezwängt hat.

Kaum ist ein Spiel seiner Slowenen angepfiffen, kommt Bewegung in den Koloss. Er stöhnt, schreit, springt auf und feuert an. Zweifel, dass es sich um einen Journalisten handelt, gibt es nicht. Die Akkreditierung, die vor seiner breiten Brust hin und her schaukelt, weist ihn als solchen aus.

Gegen Tschechien lief Sloweniens größter Fan zur Höchstform auf. Nach einem "schrägen" Schiri-Pfiff war es dann nur dem Mut einiger Landsleute zu verdanken, dass der Eklat ausblieb. Mit vereinten Kräften gelang es schließlich, den ausrastenden Riesen zu stoppen und den Schiedsrichtern das Leben zu retten.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 26.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2010:

Auf die Ohren
Die Handball-EM rockt. Jodeln und Schlagermusik bleiben draußen, in den Handball-Arenen legt der Veranstalter angesagten Mainstream auf oder unterhält das in der Mehrzahl junge Publikum mit fetziger Musik. Auch Rammstein, die Deutsch-Rocker, die ihren Stil "Tanzmetall" nennen, dröhnen als Dauergäste aus den Lautsprechern. Das geht besonders Fernseh-Experte Stefan Kretzschmar in die Beine. Der Ex-Nationalspieler war mit der Berliner Band sogar für einige Tage auf Tour, "Kretzsche" ist Hardcore-Fan.

Bad boy Oliver Roggisch bekommt weichere Klänge auf die Ohren gespielt. Immer wenn der Rhein-Neckar Löwe Zwei-Minuten-Pausen verordnet bekommt, wird er von Annett Louisans chansonhaftem Poptext "Ich will doch nur spielen, ich tu' doch nichts" auf die Bank begleitet. Andere Übeltäter erhalten ihre Strafe durch "Junge, komm' bald wieder" vom legendären Freddy Quinn. Ebenfalls witzig: Geht es in ein Siebenmeterduell mit Torhüter Silvio Heinevetter, dem neuen Freund von Tatort-Kommissarin Simone Thomalla, erklingt die Erkennungsmelodie dieser kultigen deutschen Krimiserie. Wird der Jingle "Don't cry" von Guns N' Roses eingespielt, ist Schmerz im Spiel, dann liegt ein Spieler verletzt am Boden. War Oliver Roggisch beteiligt, singt auch wieder Annett Louisan.

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2010:

"Wuzler" & Co.
Wir nennen es Kempa-Trick, wenn ein Spieler den Ball im Flug annimmt und dann aufs Tor wirft. Brav umschrieben nach dem Erfinder dieses Handball-Kunststücks. "Flieger" sagen die Österreicher dazu. Das ist kurz, knapp und trefflich schön.

Schön ist die Handball-Sprache in unserem Nachbarland nicht grundsätzlich, meistens aber praktisch, sehr bildhaft und für unsere Ohren ein wenig verschroben. Der Kreisläufer heißt schlicht "Kreis", das Haftmittel aus Harz, das perfekte Ballkontrolle möglich macht, wurde im Land der Alpen "Pickerl" getauft. Wird der Ball auf direktem Wege von links nach rechts befördert, dann ist das ein "Schnur". Und der "Hüftler"? Na klar, gar nicht so schwer. Auf gut Hochdeutsch übersetzt der Fachmann das so: Wurf aus dem Stand auf Hüfthöhe, gefährlich, weil dem Tormann oft die Sicht verstellt ist.

Zum Schluss noch dieser. Der Werfer gibt dem Ball durch Verdrehen seines Handgelenks einen starken Drall, er macht den Dreher. Zelebrieren Viktor Szilagyi und seine österreichischen Handball-Kollegen diese Krönung der Wurftechnik - dann gelingt der famose "Wuzler".

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 28.01.2010)

 

Aus den Kieler Nachrichten vom 29.01.2010:

Servus Austria!
Endlich fiel Schnee, Innsbruck lag am letzten deutschen EM-Tag eingepackt in Watte, umsäumt von majestätischen Alpengipfeln. Zugleich legte Petrus den weißen Mantel des Schweigens über die Leistungen des deutschen Teams, das heute abreist und die Titelvergabe von Wien nur per TV erleben wird.

Unser Abschied fiel klassisch aus: Speisen und Trinken im Restaurant des Goldenen Adlers. Jener Herberge, die seit dem 14. Jahrhundert Ziel der Großen der Welt war. Eine edle Marmortafel vor dem Hoteleingang erinnert an illustre Gäste. Kaiser Joseph war hier, Kaiserin Sissi, Andreas Hofer, Mozart, Heinrich Heine, Gustav der III von Schweden und so weiter. Wir wählten die Goethe Stube, der Dichterfürst machte 1786 während einer Italien-Reise für sechs Tage Rast in Innsbruck.

Nach dem Vorspeisenteller "Mozart" servierten die piekfeinen Kellner Steierischen Feinschmeckersalat, es folgte die Klachlsuppe mit Heldensterz (sauer, mit gekochten Schweinehaxlscheibchen), dann der Steierische Rostbraten, der mit letzter Not Platz für Palatschinken mit Apfelmus übrig ließ. 64 Euro, Chardonnay Kaiserin Sissi inklusive.

Goethe wird aufwändiger, mit weitaus mehr Verbeugungen bedient worden sein. Neid ist Fehl am Platze. Johann Wolfgang quälte sich auf seiner Weiterreise tagelang in Pferde-Kutschen durch raues Gelände. Wir besteigen den Flieger und landen, so Gott will, gut eine Stunde später in Hamburg.

Servus Austria!

(von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 29.01.2010)


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