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25.12.2010 Mannschaft / Medien

"Handball-Magazin": Projekt Pekeler

Wie der hochbegabte Kreisläufer Hendrik Pekeler nach vertaner Chance in Kiel beim Bergischen HC wieder auf Kurs kommt

Aus dem "Handball-Magazin" 12/2010, von Tim Oliver Kalle:

Die Geschichte hätte so geschrieben werden müssen: Talent wird mit 15 vom THW Kiel entdeckt, mit 18 für vier Jahre unter Vertrag genommen und ist 2012 mit dann 22 der neue Star am Kreis. Weltklasse und prächtige Perspektiven. Doch dann wäre die Geschichte ein Märchen gewesen und viel schöner als die Realität. Hendrik Pekeler sitzt nämlich nicht in einem Cafe an der Kieler Förde, sondern im Kaffeehaus am Gräfrather Markt in Solingen, und erzählt, was ihm zum Märchenprinzen gefehlt hat. "Ich habe in Kiel nicht profihaft gelebt und viele Fehler gemacht", sagt der 19-Jährige.
Im vergangenen Sommer war er nach einer Aufwärmsaison bei Zweitligist TSV Altenholz in den Kader des Rekordmeisters befördert worden; der Kieler Trainer Alfred Gislason schwärmte vom Potenzial des 2,03 Meter großen Jungen. Doch inzwischen spricht Pekeler von einem "Jahr, das man in die Tonne treten kann. Ich habe nicht begriffen, dass ich im besten Verein der Welt spielen konnte." Inzwischen ist er beim Bergischen HC in der 2. Liga Süd gelandet.

Rückblende: Pekeler kommt dank seiner älteren Schwester Jenny zum ETSV Glückstadt, dort entdeckt ihn Gert Adamski. Durch den schleswig-holsteinischen Landestrainer gerät der begabte Junge früh in den Nachwuchskader des DHB. Klaus-Dieter Petersen, damals auch Jugendtrainer des Verbandes und noch in Kiel engagiert, schult das Talent vom Rückraumspieler zum Kreisläufer um und stellt seinen Schüler auch Noka Serdarusic vor - Pekeler, der über Herzhorn nach Bramstedt gekommen ist, darf mit Kieler Stars wie Nikola Karabatic trainieren. 2008 bekommt er einen Vertrag. Der damalige THW-Manager Uwe Schwenker sagt: "Wir haben gegenüber Pekeler eine große Verantwortung. Wir haben ihm auch deshalb einen Vier-Jahres-Vertrag gegeben, damit er seine Berufsausbildung beenden kann." Auf Vermittlung des Vereins beginnt Pekeler eine Ausbildung zum Bankkaufmann.

Juli 2010: Der THW Kiel hat vor wenigen Wochen zum zweiten Mal die Champions League gewonnen und bereitet sich seit einigen Stunden wieder auf die neue Saison vor. Hendrik Pekeler ist nicht mehr dabei. "Talent", sagt Alfred Gislason, "hat Hendrik ohne Ende, aber er hat bei uns keine Einstellung gezeigt und ist nur selten zum Training erschienen. Es ist zum Heulen - dieser Junge hat eigentlich alles, um ein super Kreisläufer zu werden." Was ist nur schiefgegangen?

17. Oktober 2009: Die Zebras bestreiten gegen Vardar Skopje ein Gruppenspiel der Champions League. Auf der Bank sitzt Pekeler - doch die Chance auf einen Einsatz hat er am Vortag vertan: Der 18-Jährige verschlief den Abflug der Mannschaft. Die Episode fügt sich ein ins Bild des disziplinscheuen Partylöwen. Gislason und THW-Kapitän Marcus Ahlm reden nach der Rückkehr aus Mazedonien mit dem jungen Mann, doch die ernsten Worte verlieren nach einigen Monaten wieder ihre Kraft.

"Es lag an den falschen Freunden", sagt Pekeler heute. "Ich war nur feiern und konnte nicht nein sagen." Der Ernst der Lage entgeht den Eltern Heike und Hein, denn "ich habe ihnen nicht die ganze Wahrheit gesagt und wollte sie nicht unnötig belasten". Nach anderthalb Jahren bricht er seine Ausbildung als Bankkaufmann ab, erhält einen Platz in der Sportförderkompanie der Bundeswehr - auf Kurs kommt er jedoch erst, als er im April erstmals mit Martin Heuberger zusammentrifft. Der Junioren-Bundestrainer erklärt ihm Rahmenbedingungen und zeigt auf, "wie Leistungssport funktioniert". Es ist Pekelers letzte Chance.

Aus dem Nichts spielt er im August in der Slowakei eine überragende U20-Europameisterschaft und steht im All-Star-Team. Heuberger hat ein geläutertes Talent kennengelernt. "Er war ja sehr schwierig, aber ich kann nur über eine positive Entwicklung sprechen", sagt er. "Eigentlich verstehe ich es nicht, warum man es in Kiel nicht geschafft hat, ihn in die Spur zu bekommen."

Ob dem hochbegabten Jungen, der bereits 2008 U18-Europameister war, vielleicht auch die Perspektive abhanden gekommen ist? Der Schwede Ahlm steht wie ein Fels vor ihm, der Zugang des Serben Milutin Dragicevic ist seit langem beschlossen und der Wechsel von Igor Anic nach Gummersbach damit auch keine Hilfe - Pekeler hätte mit den Stars trainieren können, aber vor allem in der 3. Liga spielen müssen. Die Klasse empfand er als "zu schwach", die Lage als "frustrierend". Er sagt inzwischen, er sei dem THW dankbar für das Auflösen des Vertrages und Öffnen eines neuen Weges.

Pekeler lebt nun in Solingen. Sein neuer Trainer HaDe Schmitz trainierte in den achtziger Jahren bei TUSEM Essen auch den jungen Isländer Gislason; dass die beiden ein enges Verhältnis pflegen, ebnete den Weg aus dem Norden ins Bergische Land. Schmitz, 63-jähriger Sportlehrer, hat den Transfer zu einem umfassenden Projekt gemacht und sagt: "Wenn man so einen jungen Mann holt, dann nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch. Ich weiß, welche Gefahren da drohen. Und wir haben alles versucht, Hendrik hier einzupflanzen." Die norwegischen Mitspieler Kristoffer Moen und Kenneth Klev sind Pekelers Paten; sie tragen dafür Sorge, dass der Neue im Alltagsbetrieb nicht verloren geht.

Pekeler empfindet die neue Situation mit maximaler Konzentration auf den Sport als kompletten Wandel. "Jetzt", sagt er, "bin ich nur noch Handballer. Mein Ziel ist es, bester Kreisläufer in Deutschland zu werden. Und ich setze alles daran, dass ich das schaffe." Sein Potenzial ist riesig: Trotz seiner Größe ist er sehr schnell auf den Beinen, fängt Bälle mit einer Hand, nutzt gnadenlos seine Höhe aus, kann in der Abwehr sowohl im Innenblock stehen als auch auf der Spitze decken. "Für mich ist Hendrik mit Patrick Wiencek einer der größten Hoffnungsträger am Kreis", sagt Heuberger. Beim Bergischen HC spielt Pekeler als erster Mann und lernt, sich auf dem Feld zu beweisen. Der Klub plant - auch passend für Pekelers Karriere - den Aufstieg, hat aber bereits einige Verluste erlitten und muss ausgerechnet wegen Pekeler Punktabzüge befürchten.

"Natürlich ist mein Ziel die Nationalmannschaft. Da", sagt er, "möchte ich so schnell wie möglich Anschluss finden." Das klingt nach großen Worten, doch Pekeler wirkt nicht wie ein übermütiger Emporkömmling - seine Vergangenheit hat ihn geprägt und Demut gelehrt: "Ich kann den THW verstehen, und ich hoffe, dass ich dort noch mal eine Chance bekomme. Es ist schon traurig, dass ich den Schalter nicht gefunden habe." Mittlerweile gestaltet er aktiv seine eigene Geschichte; er weiß jetzt, wie ein Profi lebt.

Info: Drohende Punktabzüge
Wie einige andere jüngere Akteure des Zweitliga-Kaders half Hendrik Pekeler am 12. September beim Saisonstart in der Oberliga Niederrhein in der dezimierten Reserve der Bergischen Löwen aus. Beim 33:33 gegen den TuS Jahn Hiesfeld kassierte er in der Schlussminute eine berechtigte rote Karte. Diese zog für die Oberliga eine zweiwöchige Sperre nach sich - nicht jedoch für die 2. Liga, wie die Verantwortlichen des Bergischen HC glaubten und HBL-Justiziar Andreas Thiel bestätigte: Da sollte nach einer Vereinbarung aller Vereine bei der Ligatagung im Juni eine Sperre für ein Spiel reichen. Der BHC ließ Pekeler also gegen Bittenfeld (34:27), in Coburg (28:26) und gegen Frankfurt (35:30) wieder ran. Das sportlich geschlagene Trio formulierte Einsprüche, die vor dem Bundessportgericht des Deutschen Handballbundes verhandelt werden. Dem BHC droht im schlimmsten Fall der Verlust von sechs Punkten.

(Von Tim Oliver Kalle, aus dem "Handball-Magazin" 12/2010)


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