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27.01.2011 WM 2011

Kieler Nachrichten: Kein Wille, kein Charisma

Von gescheiterten Popstars, traurigen Kapitänen und guten Handball-Fossilen

Die Weltmeisterschaft 2011 findet vom 13. bis 30. Januar in Schweden statt.
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Aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2011:

Kristianstad. Die deutsche Nationalmannschaft hat sich in Schweden blamiert und fahrlässig Platz sieben verspielt. Aber nicht nur das: Der Kader ist bis zuletzt den Beweis schuldig geblieben, den Kraft und den Willen zu besitzen, bei dieser WM ein Team werden zu können. Warum? Eine Spurensuche.
  • Defensive (Teil 1):
  • Die Torhüter gehören zu den besten Gespannen. In Erinnerung blieb die überragende Leistung von Johannes Bitter gegen Spanien. Der Hamburger war lange ein Motivationszentrum, am Ende ließ auch er den Kopf hängen. Silvio Heinevetter bewies sein außergewöhnliches Talent, als Mannschaftssportler präsentiert er sich nicht. Auf nahezu jedes Tor folgt eine Geste des Jammerns: Der arme Berliner gegen den Rest der Welt.

  • Europameisterschaft:
  • Noch führen zwei Wege nach London. Im Januar 2012 werden bei der Europameisterschaft in Serbien voraussichtlich noch zwei Plätze für eines der drei Qualifikationsturniere vergeben. Diese Hürde bleibt nur dem Europameister erspart. Er löst das Ticket für die Olympischen Spiele, die im Sommer 2012 ausgetragen werden, direkt. Allerdings: Noch sind die Deutschen nicht einmal für die EM qualifiziert. Einziger Hoffnungsschimmer ist, dass das mit zwei Siegen gegen Island gelingen könnte. Island? Richtig. Gegen die "Isis" lieferten sie ihr mit Abstand bestes WM-Spiel ab.

  • Uwe Gensheimer:
  • Der Popstar der Rhein-Neckar Löwen erwischte einen unglaublichen Start. In der 21. Minute stand es zwischen ihm und Ägypten noch 7:7. Doch der 24-Jährige verschwand anschließend im Keller, war nicht in der Lage, das Vakuum an Führungsfiguren zu füllen. Dominik Klein, einst Linksaußen Nummer drei, lief ihm den Rang ab. Der Kieler versuchte bis zuletzt, seine positive Energie auf die Kollegen zu übertragen.

  • Trainer:
  • Heiner Brand gelang es nicht, eine Mannschaft zu formen. Es war ein Fehler, Pascal Hens zum Kapitän zu machen. Zudem verstand er es nicht, die Ich-AG Michael Kraus einzubinden. Taktisch blieb er den Beweis schuldig, noch auf der Höhe der Zeit zu sein.

  • Spielzüge:
  • Es fehlt ein grundlegendes Spielsystem. Eine Basis, auf der sich die Spieler auch in schwierigen Phasen zurückziehen können. Im Angriff wird oft der Weg durch die Mitte gewählt, die Außen völlig vernachlässigt. Wer gegen Deutschland verteidigt, muss sich kaum bewegen.

  • Charisma:
  • Während der Franzose Nikola Karabatic in vier Sprachen sinnvolle Interviews gibt, stolpert Holger Glandorf bei dem Versuch, auf Englisch zu antworten. Um in der Bundesliga, dem Handball-Mekka, spielen zu können, müssen Ausländer ihre Heimat verlassen, eine Sprache lernen, sich neu orientieren. Die Deutschen können bleiben. Der einfachere Weg. Aber einer, der die Persönlichkeit auch weniger prägt.

  • Hens:
  • Der Hamburger gibt ein ganz trauriges Bild ab. Die Rolle des Kapitäns, in Deutschland wahrscheinlich grundsätzlich zu hoch aufgehängt, überfordert ihn völlig. Große Töne, kleine Leistungen - die Binde sollte er schnell wieder abgegeben. An Michael Haaß oder Bitter.

  • Lamentieren:
  • War wirklich jede Zwei-Minuten-Strafe unberechtigt? Der Eindruck entstand, verließ doch kaum einer das Feld, ohne mit den Schiedsrichtern zu diskutieren. Stärke sieht anders aus.

  • Aussprache:
  • Nach dem fürchterlichen 23:30 gegen Frankreich hatten sich, von Brand angeordnet, die Verlierer zu einer mitternächtlichen Runde getroffen. Nein, es wäre nicht laut geworden. Eine Aussprache sei es gar nicht gewesen, eher ein Gedankenaustausch. Die Befindlichkeiten Einzelner seien thematisiert worden. Damit war schon am Morgen danach klar, dass sich hier kein Team mehr bilden würde.

  • Norwegen:
  • Spätestens die Zehn-Tore-Niederlage gegen die Mittelmacht Norwegen machte deutlich, dass einigen Nationalspielern der nötigte Charakter fehlt. Einen Tag nach dem unglaublichen Fehlerfestival gegen Ungarn (38 Fehlwürfe) hätten sie eine Reaktion zeigen müssen, schließlich war es noch immer möglich, Siebter zu werden. Aber es kam nichts.

  • Defensive (Teil zwei):
  • Die 6:0-Deckung war ein Lichtblick. Aber weil Spieler wie Sebastian Preiß (Innenblock) bei der Begegnung mit der Weltklasse an Grenzen stoßen, wollte Brand nicht auf Oliver Roggisch verzichten. Der ehemalige Abwehrchef mühte sich redlich, kam aber oft zu spät und kassierte Zeitstrafen am Fließband. Im Zeitalter des Tempohandballs ist er ein Dinosaurier. Allerdings - ein richtig gutes Fossil, wie der Franzose Didier Dinart, überlebt auch in der Gegenwart.

(Von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 27.01.2011)


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