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16.01.2012 Verein

Kieler Nachrichten: In Kiel steht der Handball vor Gericht

Vor dem Urteil: Was im Prozess geschah

Aus den Kieler Nachrichten vom 16.01.2012:

Kiel. Der 1. März 2009 gilt als Geburtstag der Manipulationsaffäre im deutschen Handball. An jenem Sonntag wurde publik, dass sich der THW Kiel seinen ersten Triumph in der Champions League erkauft haben soll: Am 29. April 2007 gegen die SG Flensburg-Handewitt. Seit dem 21. September 2011 sitzen der damalige THW-Manager Uwe Schwenker und Ex-Trainer Noka Serdarusic auf der Anklagebank. Während bisher 16 Verhandlungstagen hat die 5. Große Strafkammer des Kieler Landgerichts versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Bevor Oberstaatsanwalt Axel Goos sowie die Verteidiger ab Mittwoch ihre Plädoyers halten und am 26. oder 27. Januar das Urteil gesprochen wird, fassen wir die sieben wichtigsten Aspekte des Prozessverlaufs zusammen.

Das Finale 2007

Mit dem 28:28 im Hinspiel am 22. April in Flensburg und dem 29:27-Sieg am 29. April in Kiel schrieb sich der THW erstmals in die Siegerliste der Champions League ein. Niemand hatte damals den Verdacht, das Rückspiel hätte manipuliert sein können. Es gab zwar bereits in der 19. Minute eine Rote Karte für Joachim Boldsen nach einem Foul an Christian Zeitz, doch für spielentscheidend hielt selbst der Däne diese Strafe der polnischen Schiedsrichter Miroslaw Baum und Marek Goralczyk nicht. Beim Stand von 28:27 spielte der THW sogar in doppelter Unterzahl (Zeitstrafen für Dominik Klein und Zeitz), ehe Kim Andersson den letzten Treffer erzielte. Die berechtigten Strafen gegen die Kieler sprechen gegen "gekaufte" Schiedsrichter, zumal bei einem möglichen 28:28 ein sofortiges Siebenmeter-Werfen erfolgt wäre, in dem die Unparteiischen keinen Einfluss mehr hätten nehmen können. Mit den "Zebras" feierte am selben Abend ein Mann, über den noch zu reden sein wird: Nenad Volarevic.
Das sagt die Anklage
Vier Tage vor dem Finalrückspiel überwies der Angeklagte Schwenker 56 400 Euro an Volarevic. Der Kroate flog dann mit 45 000 Euro in bar nach Warschau, wo er am 27. April das Geld an Schiedsrichter Baum übergab. Zum Zwecke der Verschleierung schrieb Volarevic am 20. Juni 2007 eine Scheinrechnung in Höhe von 92 000 Euro, worauf Schwenker weitere 35 600 Euro auf dessen Konto in Zagreb überweisen ließ.
Das sagen die Zeugen
Miroslaw Baum: Der Schiedsrichter sagte am 29. Oktober in Saal 232 des Landgerichts aus. Er bestritt jeglichen Kontakt mit dem angeblichen Geldboten Volarevic: "Es gab keinen SMS-Kontakt, keine Mails, kein Telefonat und auch kein Treffen in Warschau." Auch mit Schwenker oder Serdarusic habe es unmittelbar vor dem Finalrückspiel keine Kontaktaufnahme gegeben. Zumindest konnte der 52 Jahre alte Hochschullehrer sich daran nicht erinnern.

Marek Goralczyk: Auch der zweite polnische "Schiri" bestritt am 4. November, an einer Manipulation beteiligt gewesen zu sein: "Mir hat niemand Geld angeboten, ich würde wegen einer solchen Sache niemals meine Reputation gefährden."

Jesus Guerrero: Am 21. Dezember versicherte der 65-jährige Spanier, das Final-Rückspiel sei korrekt geleitet worden, er habe als Delegierter der Europäischen Handball-Föderation (EHF) die Leistung der Unparteiischen mit überdurchschnittlichen 81 von 100 möglichen Punkten bewertet. Fazit des ehemaligen Nationalspielers: "Das war ein ganz normales Finale."

Das sagt Uwe Schwenker
Der Ex-Manager und Noka Serdarusic schweigen während des Prozesses. Schwenker hatte aber am 6. und 13. November 2009 gegenüber der Staatsanwaltschaft eine ausführliche Aussage gemacht. Er erklärte die 92 000 Euro an Volarevic ("Ein Intimkenner der Handballszene und Intimus von Noka Serdarusic") mit dem Aufbau eines Scouting-Systems: "Damit hatten wir einen endgültigen Zugang zum Balkan gefunden."

Zur Rolle von Nenad Volarevic

Viel weiß das Gericht nicht über den Mann aus Zagreb, der in der kroatischen Hauptstadt einmal Manager des Vereins Badel war und für eine Versicherung tätig ist. Klar ist, dass Nenad Volarevic ein alter Freund von Serdarusic ist. Doch geht diese Freundschaft so weit, dass der Kroate als Geldbote fungiert? Von Volarevic soll eine bei dem Berliner Anwalt Björn Sendke verfasste, aber nicht unterschriebene Selbstanzeige existieren, die bei einer Durchsuchung von Sendkes Kanzlei am 3. Januar gefunden worden sein soll. Eine Kopie wurde und von Mirjana Serdarusic nach dem Treffen mit Vertretern der Rhein-Neckar Löwen (siehe 11. Februar 2009) nach eigener Aussage im heimischen Waschbecken verbrannt. Am 16. Dezember macht Oberstaatsanwalt Axel Goos ein in einem beschlagnahmten THW-Computer entdecktes Schreiben von Schwenker an Volarevic bekannt - aus dem Jahr 2003. In diesem vor den Viertelfinalspielen in der Champions League gegen Prule Ljubljana verfassten Text übermittelt Schwenker die Telefonnummern der für beide Begegnungen nominierten Schiedsrichter. Die Zeugin Sabine Holdorf-Schust gibt zu, den Text geschrieben zu haben, konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern, warum sie das getan hatte. Goos stellte damit in den Raum, dass der THW womöglich schon 2003 mit Hilfe von Volarevic versucht hat, Schiedsrichter zu bestechen. Sollte das zutreffen, muss aber etwas schief gegangen sein: Die "Zebras" schieden nach dem 33:33 in Ljubljana im Rückspiel in Kiel überraschend mit 26:28 aus.
Das sagt die Anklage
Für die Staatsanwaltschaft ist Volarevic der Geldbote. Der Kieler Behörde liegen seine Flugdaten am 27. April 2009 vor. Zwei Tage vor dem Final-Rückspiel flog er von Zagreb nach München, von München nach Warschau und von dort schließlich nach Kiel. Volarevic erhielt am 26. April 2007 vom THW 56 400 Euro und am 28. Juni 2007 weitere 35 600 Euro. Kurz nach der Zahlung am 26. April sei eine Barabhebung an einem Schalter der Nava-Bank in Zagreb in Höhe von 45 000 Euro erfolgt.
Das sagen die Zeugen
Zeljko Anic: In einer schriftlichen Stellungnahme hat der Vater des im Sommer 2007 vom THW verpflichteten Kreisläufers Igor Anic ausgesagt, dass er einen Herrn Volarevic damals gar nicht gekannt habe, dieser habe ihn erst im März 2009 einmal angerufen. Bhakti Ong: Auch der eigentliche Berater von Anic kennt Volarevic nicht. Ong erhielt vom THW als Vermittlungsgebühr für den Transfer des jungen Franzosen 15 000 Euro.
Das sagt Noka Serdarusic
Der frühere Trainer schweigt zwar im Gerichtssaal, hat aber gegenüber den Kieler Nachrichten am 4. November die Version Schwenkers, mit dem er ansonsten kaum ein Wort wechselt, bestätigt: "Ich habe Nenad Volarevic im Mai 2007 angerufen, nachdem der Transfer von Igor Vori aus Barcelona nicht zustande gekommen war. Nenad hat mir gesagt, dann hol' doch den Kleinen aus Montpellier, der spielt in der französischen Juniorenauswahl und kann kein schlechter sein." Daraufhin habe er, Serdarusic, den in Montpellier wohnenden Vater von Nikola Karabatic angerufen und sich über Igor Anic erkundigt. Der damals 19-Jährige bestand anschließend ein Probetraining in Kiel.

Der Mallorca-Komplex

Die Rahmenbedingungen für den 30. Juli 2007 sind unbestritten. Andreas Rudolph, Präsident des Handball-Bundesligisten HSV Hamburg, lud an jenem Tag u.a. das Ehepaar Schwenker, die Eheleute Holdorf, das Ehepaar Pooshoff, Schwiegereltern seines Bruders Matthias, den Handball-Funktionär Gerd Butzeck nebst Freundin und Thorsten Storm, den Vater des Handball-Managers Thorsten Storm (RN Löwen) auf seine Finca in Camp de Mar (Mallorca) ein. Die Gruppe fuhr mit seinem im Hafen von Andratx liegenden Boot in eine idyllische Bucht, verbrachte den Nachmittag in einem Fischrestaurant und beendete den Tag auf der Terrasse der Finca. Bis zum späten Abend sind die Aussagen der Beteiligten deckungsgleich. Es soll ein entspannter Tag gewesen sein, an dem viel Alkohol geflossen ist. Einer, in dem sich Uwe Schwenker in einem HSV-Trikot ablichten ließ, das am nächsten Tag in der Bildzeitung erschien. Kurz vor Mitternacht wurden Whiskey ("Gentleman Jack") und viele Geschichten aufgetischt, die später als "Mallorca-Komplex" Schlagzeilen machten.
Das sagt die Anklage
Auf der Finca hat Schwenker gegenüber Dritten die Bestechung von Schiedsrichtern in der Champions League zugegeben. Die Staatsanwaltschaft bezieht sich dabei in erster Linie auf die Aussagen von Rudolph und Butzeck. Letzterer soll später gegenüber Jesper Nielsen (Löwen-Gesellschafter) und Manfred Werner (Ehrenvorsitzender der SG Flensburg) bestätigt haben, dass Schwenker an diesem Abend die Bestechungen zugegeben hat. Werner, der für seine detailgenaue Notizen bekannt ist, bestätigte dies in einem Schreiben an die Polizei.
Das sagen die Zeugen
Andreas Rudolph: Zu ihm soll Schwenker sinngemäß folgenden Satz gesagt haben: "Andreas, die Champions League kannst Du nie gewinnen. Ich habe lange gebraucht, um zu erfahren, dass man die Schiedsrichter braucht, um sie zu gewinnen." Nach seinen Angaben hätte Butzeck sich intensiv bemüht, Schwenker ("Sei still, Du redest Dich um Kopf und Kragen") zu stoppen.

Karin Pooshoff: Sie kann sich an folgenden Satz des "ziemlich betrunkenen" Schwenkers erinnern: "Andreas, Du machst irgendetwas verkehrt. Ich habe das alles im Griff, wir haben mit 90 000 Euro die Schiedsrichter bestochen, so läuft das halt."

Bernd Pooshoff: Auszug aus seiner polizeilichen Vernehmung: "Andreas, Du musst noch viel lernen, wenn Du etwas erreichen möchtest. Wir oder ich haben diese Saison Schiedsrichter bestochen und es ging um einen Betrag von über 90 000 Euro."

Jesper Nielsen: In einem Interview mit der Hamburger "Morgenpost" bestätigte der Däne, dass Butzeck ihm im VIP-Raum der Mannheimer SAP-Arena davon berichtete, dass Schwenker auf der Rudolph-Terrasse die Bestechungen zugegeben hätte. Kurz bevor Butzeck als Zeuge aussagte, entschuldigte Nielsen sich ihm gegenüber dafür, sprach von einem Missverständnis und kündigte an, "im nächsten Interview ganz anders auszusagen".

Gerd Butzeck: Der Geschäftsführer der Vereinigung europäischer Spitzenclubs bestritt, sich Nielsen und Werner ("das ist lächerlich") anvertraut zu haben. An den Mallorca-Abend habe er, der neben Schwenker gesessen hat, nur ungenaue Erinnerungen. "Uwe hat viel Mist erzählt und das Champions-League-Finale war nur eines von hundert Themen", sagte Butzeck, der sich auch nicht mehr erinnern konnte, mit Hose in den Pool gesprungen zu sein.

Morgen lesen Sie: Was passierte am 1. Februar 2009, dem Abend nach dem WM-Finale in Zagreb? Wie verlief das denkwürdige Treffen der Eheleute Serdarusic eine Woche später mit Vertretern der Rhein-Neckar Löwen? Warum wurden im Frühjahr 2008 60 000 Euro vom THW-Konto abgebucht, und welche Rolle spielte Mirjana Serdarusic in der Manipulationsaffäre?

(von Gerhard Müller und Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 16.01.2012)


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