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03.02.2004 EM 2004 / Nationalmannschaft

Kieler Nachrichten: Der abergläubische Arbeiter

Wenn Bundestrainer Heiner Brand, der Mann, der Handball lebt, zum Spaziergang bittet, wird es ernst

Aus den Kieler Nachrichten vom 03.02.2004:

Ljubljana - Wer sich die großen Erfolge des deutschen Handballs der vergangenen drei Jahrzehnte ins Gedächtnis ruft, stößt wie von selbst auf das markante Gesicht von Heiner Brand. Die Karriere des Mannes aus Gummersbach ist so beispiellos wie sein Schnauzbart, den er am Sonntag Abend für den Europameister-Triumph nach 26 Jahren opfern musste.
Sein schlurfender Gang, seine schwingenden Hüften und sein großer Ehrgeiz haben ihn durch seine Karriere begleitet, die im Juni 1974 mit dem Debüt im Nationalteam begann. Vier Jahre später gehörte er zu der legendären Mannschaft, die in Kopenhagen Weltmeister wurde. Geschichte - für den 51-Jährigen nicht der Rede wert. Er könne sich kaum noch an die Ereignisse von damals erinnern, sagt er, "nur dass wir vor dem Finale spazieren waren." Für Brand, der am 10. Februar in München wegen eines eingeengten Nervenkanals am Rücken operiert werden muss, zählt nur das Hier und Jetzt. Und dennoch hält er, abergläubisch wie er ist, an Bewährtem fest. Vor jedem wichtigen Spiel schickt er seine Mannen zu einem Spaziergang. So auch vor dem Finale gegen Slowenien am Sonntag Morgen durch die Straßen von Ljubljana.

Dem "Brand-Meister" ist der Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Der einst weltbeste Abwehrspieler ist ein akribischer Arbeiter. Er lebt Handball, rund um die Uhr, kann sich mit nichts anderem beschäftigen. "Der Druck ist enorm", gesteht er. Zur Ruhe kommt er erst zu Hause bei seiner Frau und den Kindern: "Es dauert Wochen, bis ich wieder runter bin." Die "Droge Handball" wird den selbstständigen Versicherungskaufmann nie loslassen.

Früh hat er die Laufbahn als Trainer eingeschlagen. Als Assistent von Simon Schobel sammelte er erste praktische Erfahrung während der Olympischen Spiele 1984 und gewann Silber. Für die EM-Medaillen 1998 in Südtirol, 2002 in Stockholm, WM-Silber in Lissabon und dem Triumph von Ljubljana zeichnete er als Cheftrainer selbst verantwortlich.

Der Aufstieg des bis dahin bereits in der Bundesliga erfolgreichen Handball-Pädagogen zum Nationaltrainer begann im Herbst 1996. Arno Ehret war in der WM-Qualifikation gescheitert, ein Remis gegen die Slowakei ebnete den Portugiesen den Weg ins japanische Kumamoto. "Ich fange bei Null an", sagte Brand damals. Und er startete durch. Nicht wie eine Rakete. Vielmehr ähnelte die Fahrt der deutschen Handballer eher der einer Achterbahn. Bronze in Südtirol folgten Enttäuschungen in Kroatien und Frankreich. In Stockholm meldete sich der deutsche Handball in der Weltspitze zurück. Dort musste er hilflos zusehen, wie ein mazedonisches Schiedsrichtergespann seine Mannschaft mit einer fragwürdigen Entscheidung um den EM-Titel brachte. Es ist sein trockener Humor, der ihn über derart schwierige Situationen hinweg hilft: "Immerhin waren wir wenigstens für ein paar Sekunden Europameister."

Er sei ruhiger geworden, sagt Brand über Brand. Das verdanke er auch seiner Mannschaft, die er auch nach charakterlichen Gesichtspunkten zusammengestellt habe. Das Zwischenmenschliche stimme total, dieses Team sei in der Lage, sich selbst zu führen: "Ein Rad greift ins andere, die erfahrenen Spieler führen die jungen.

Brand, der kürzlich seinen Vertrag bis 2008 verlängerte, hat nächste große Ziel bereits fest im Visier. Der Druck nach dem Gewinn der EM-Goldmedaille sei vor den Olympischen Spielen zwar riesig, "aber als Europameister fahre ich gerne als Topfavorit nach Athen." Vielleicht folgt am 29. August, dem Tag des Endspiels, die nächste Rasur. Brands prachtvoller "Schnäuzer" ist bis dahin jedenfalls längst wieder nachgewachsen.

(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 03.02.2004)


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