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17.03.2004 Interview

Mein Knie wird mich nicht kaputt machen - Nikolaj Jacobsen im großen Zebra-Interview

Nikolaj Jacobsen über seine Knieverletzung, Familie und neue Lebensansichten

Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:

Nikolaj Jacobsen.
Klicken Sie für weitere Infos! Nikolaj Jacobsen.

Einst galt Nikolaj Jacobsen als der beste Linksaußen der Welt, unglaubliche Trickwürfe sein unverwechselbares Markenzeichen. Vor sechs Jahren wechselte der Däne aus Dormagen zum THW Kiel, gewann drei Deutsche Meisterschaften, zweimal den DHB-Pokal, einmal den EHF-Cup - und im Sturm die Herzen des Kieler Publikums. Erst ein schwerer Knorpelschaden im linken Knie und die daraus resultierenden Folgen stoppten vor rund anderthalb Jahren den Höhenflug von Nikolaj Jacobsen. Vier Operationen sind bis heute die Folge und machten die Comeback-Hoffnungen des 32-jährigen immer wieder zunichte. Doch Nikolaj Jacobsen hat die Lust auf Handball noch nicht verloren. Im Zebra-Interview spricht er über seine Verletzung, seine Familie und neue Lebensansichten.
Zebra:
Nikolaj, vor gut drei Wochen wurdest Du erneut an Deinem lädierten linken Knie operiert. Wie stehen die Aussichten auf ein Comeback?
Nikolaj Jacobsen:
Es ist schwer zu sagen, wann ich wieder spielen darf. Eventuell kann ich in der Rückrunde kein Spiel mehr bestreiten. Das wäre natürlich bitter. Die bitterste Geschichte von allen ist allerdings, dass für mich die Möglichkeit besteht, nie wieder in der Ostseehalle zu spielen. Ich bin allerdings froh, dass die Ärzte nun endlich etwas nachgewiesen und entsprechend behoben haben, was meine großen Schmerzen verursacht hatte.
Zebra:
Also keine Spur von Resignation?
Nikolaj Jacobsen:
Nein, denn so will ich nicht aufhören. Ich möchte für die Zuschauer spielen und meiner Mannschaft helfen.
Zebra:
Die zurückliegenden anderthalb Jahre waren für Dich von permanenten Rückschlägen geprägt. Hast Du während dieser Zeit ans Aufhören gedacht?
Nikolaj Jacobsen:
Ja, oft (lacht)! Die Schmerzen waren groß und es ging permanent auf und ab: immer ein Schritt nach vorn und zwei zurück. Nach der vergangenen Sommerpause war ich schon wieder richtig gut davor, habe in der Saisonvorbereitung alles mitmachen können. Als ich im Herbst zu zwei Länderspielen fuhr, hatte ich plötzlich wieder Schmerzen und es ging bergab.
Zebra:
Erinnerst Du Dich noch an die Situation, in der Du Dich so tragisch verletzt hast?
Nikolaj Jacobsen:
Es war ein durchaus nicht ungewöhnlicher Zusammenstoß mit dem gegnerischen Torhüter. Es war kein Foul oder ähnliches, mein Gegenspieler Zoran Djordjic war schuldlos. Ich bin bei diesem Unfall einfach zu weit in den Kreis hineingesprungen und dabei falsch gelandet.
Zebra:
Woher nimmst Du bei jedem weiteren Comeback-Versuch aufs Neue die nötige Motivation?
Nikolaj Jacobsen:
Wenn man so lange wie ich nichts anderes gemacht hat außer Handball zu spielen, dann kann man nicht einfach aufhören. Für mich gibt es nichts schöneres als vor vollen Rängen wie zum Beispiel in der Ostseehalle einzulaufen. Einfach aufzugeben, ohne nicht wirklich alles probiert zu haben, wäre halbherzig. Und das will ich nicht sein!
Zebra:
Bei Nachmittags-Spielen des THW Kiel tummeln sich Deine beiden Töchter nach dem Schlusspfiff auch auf dem Parkett der Ostseehalle und spielen immer wieder selbst begeistert Ball. Würde es Dich stolz machen, wenn sie irgendwann einmal in Deine Fußstapfen treten würden?
Nikolaj Jacobsen:
Ich denke, es wäre merkwürdig, wenn die beiden bei den Eltern nicht sportbegeistert wären. Schließlich gibt es bei uns auch nur Sport im Fernsehen... (lacht). Sie wachsen mit dem Ball auf, welchen Sport sie am Ende aber mal ausüben werden, ist ihnen selbst überlassen. Freja (6) will tanzen und anfangen Golf zu spielen, Sille (3) möchte offensichtlich gern Handball spielen.
Zebra:
Hast Du Dich in den vergangenen Monaten und Jahren zu einem Familienmenschen gewandelt?
Nikolaj Jacobsen:
Ich werde besser und besser. Ich glaube, ich bin kein typischer Familienmensch. Denn ich mag es, mit der Mannschaft unterwegs zu sein, loszufliegen und den Zusammenhalt des Teams zu spüren. Ich mag es allerdings auch, vom Training nach Hause zu kommen, mit meiner Familie am Abendbrottisch zu sitzen, den Kindern Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen oder gemeinsam Gute-Nacht-Lieder zu singen. Das ist ein tolles Gefühl, es gibt kein besseres. Trotzdem würde ich nicht unbedingt behaupten, die ganze Zeit zuhause sein zu müssen. Mit den Jahren ist es allerdings schwerer geworden, mal 14 Tage allein in Sachen Handball unterwegs zu sein. Ohne Familie unterwegs zu sein, hat nur einen Vorteil: in Ruhe schlafen zu können (lacht).
Zebra:
Welche Bedeutung hat Familie für Dich?
Nikolaj Jacobsen:
Eine sehr große. Ich habe leider nicht mehr sehr viel Familie. Wir passen aufeinander auf und sind füreinander da. Klar, dass Lenette, Freja und Sille alles für mich bedeuten.
Zebra:
Wie wichtig ist Dir Deine Heimat Dänemark?
Nikolaj Jacobsen:
Die ist mir natürlich sehr wichtig. Die Großeltern leben dort, ich habe dort viele Freunde. Doch ich muss nicht unbedingt permanent dorthin zurück. Natürlich fahren wir oft nach Dänemark, um Lenettes Familie, meine beiden Brüder oder unsere Freunde zu sehen. In den sieben Jahren, die ich inzwischen hier in Deutschland verbracht habe, haben wir immer eine enge Beziehung zu Dänemark behalten. In den kommenden zwei Jahren haben meine Familie und ich uns zunächst einmal für Viborg entschieden.
Zebra:
Die Stadt, in der Du geboren wurdest.
Nikolaj Jacobsen:
Das stimmt, aber das hat bei der Auswahl keine Rolle gespielt. Ich habe dort auch nur die ersten anderthalb Jahre meines Lebens verbracht. Vielmehr gehe ich nun dorthin, wo meine Familie und ich die besten Möglichkeiten haben, eine gute und glückliche Familie zu sein.
Zebra:
Was für Möglichkeiten?
Nikolaj Jacobsen:
Dort bieten sich in den kommenden zwei Jahren für mich die besten Chancen, neben dem professionellen Handball zukunftsorientiert beruflich Fuß zu fassen. Ich werde in einer neuen, jungen und guten Mannschaft spielen, in der ich hoffentlich mit meiner Erfahrung etwas Positives bewegen und das, was ich in Kiel gelernt habe, weitergeben kann. Parallel dazu werde ich zwei Jahre lang eine Ausbildung zum Sport- und Deutsch-Lehrer absolvieren und am dortigen Handball-Gymnasium unterrichten. In zwei bis drei Jahren werden rund 330 Schüler an diese Schule kommen, um in erster Linie Handball zu trainieren.
Zebra:
Dein Traumjob?
Nikolaj Jacobsen:
Sein Wissen weiterzugeben und zugleich soziales Engagement zu fördern, reizt mich. Es ist ein gutes Gefühl, andere Menschen in ihrer Entwicklung zu stärken. Zudem macht es mir Spaß, mit solch jungen Menschen zusammen zu arbeiten. Ich werde in dieser Schule übrigens keine Mannschaften betreuen, sondern Handball ist ein ganz normales Schulfach mit entsprechenden Trainingseinheiten.
Zebra:
Woher nimmst Du die Sicherheit, dass dies Dein zukünftiger Beruf sein wird?
Nikolaj Jacobsen:
Ich habe bereits früher schon in Oure an der Sportschule eine einjährige Ausbildung gemacht und für zwei bis drei Jahre selbst unterrichtet. Ich habe also ein bisschen Erfahrung und weiß, dass mir dieser Job Spaß macht.
Zebra:
Du wirkst sehr gefestigt in Dir selbst, auf eine Zukunft nach der Profi-Karriere vorbereitet. Wie sehr bist Du durch Deine Verletzungen geprägt worden und in weit hat Dich das als Typ verändert?
Nikolaj Jacobsen:
Ich glaube nicht, dass mich die Verletzungen verändert haben. Was mich verändert hat, war der Tod meiner Mutter. Ich bin ruhiger geworden. Ich ärgere mich nicht über mein Knie, denn ich weiß, es gibt Schlimmeres im Leben. Ich will nicht, dass mich mein Knie kaputt macht! Ich glaube, dass auch andere glauben: Ich bin ein positiver Mensch.
Zebra:
Wie äußert sich das?
Nikolaj Jacobsen:
Ich versuche, in allen Dingen etwas Positives zu sehen. In der jetzigen Phase muss ich zwar noch immer viel Reha machen, kann aber auch öfter mal zwischendurch nach Hause fahren, wenn die Mannschaft auswärts spielt. Zudem war ich gezwungen, mir Gedanken über die Zukunft zu machen.
Zebra:
Welche Gedanken gehen Dir durch den Kopf, wenn Du an den Abschied aus Kiel denkst?
Nikolaj Jacobsen:
Es tut weh wegzugehen. Ich hätte gern noch für zwei bis drei weitere Jahre für den THW Kiel gespielt, denn für mich gibt es keinen besseren Verein auf der Welt. Trotz meines Knies hatte ich sechs unglaublich tolle Jahre in Kiel. Lenette und ich haben zwei klasse Kinder und eine tolle Familie bekommen. Wir haben viel in Deutschland gelernt. Kiel ist für uns ein Teil der Heimat geworden, wir haben uns hier immer sehr wohl gefühlt. Hätte ich nicht solche Probleme mit meinem Knie - keine Ahnung, wie lange wir geblieben wären.
Zebra:
Haben sich Deine Erwartungen an den THW Kiel erfüllt?
Nikolaj Jacobsen:
Ich bin gekommen, um Erfolg zu haben. Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte, bin dreimal Deutscher Meister geworden, einmal Europapokal-Sieger, zweimal DHB-Pokalsieger - und das Champions-League-Finale 2000 haben wir nur äußerst unglücklich verloren. Ich durfte mit Weltklassespielern zusammen in einem Team spielen und hatte einen richtig guten Trainer. Alles war perfekt: nette Leute in der Mannschaft, im Verein und im Umfeld. Und wir haben immer Hilfe bekommen, wenn es nötig war. Für uns hat alles gepasst.
Zebra:
Du hast dem THW Kiel und insbesondere den Zuschauern in der Ostseehalle sehr viel zurückgeben. Für die Fans bist Du wegen Deiner unglaublichen Trickwürfe ihre "Zaubermaus". Ein guter Spitzname?
Nikolaj Jacobsen:
Es macht mich stolz, dass die Leute mich so sehen. Es hätte mich durchaus schlimmer treffen können. Für mich ist es am Handball das Beste, vor vielen Zuschauern zu spielen und schöne Tore zu machen. Und ich glaube, ich habe den Fans etwas gezeigt, was die meisten von ihnen zuvor noch nie gesehen hatten.
(Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)


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