Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:
Einst galt
Nikolaj Jacobsen als der beste
Linksaußen der Welt, unglaubliche Trickwürfe sein
unverwechselbares Markenzeichen. Vor sechs Jahren wechselte der Däne aus Dormagen zum THW
Kiel, gewann drei Deutsche Meisterschaften, zweimal den DHB-Pokal, einmal den EHF-Cup - und im
Sturm die Herzen des Kieler Publikums. Erst ein schwerer Knorpelschaden im linken Knie und die
daraus resultierenden Folgen stoppten vor rund anderthalb Jahren den Höhenflug von
Nikolaj Jacobsen.
Vier Operationen sind bis heute die Folge und machten die Comeback-Hoffnungen des
32-jährigen immer wieder zunichte. Doch
Nikolaj Jacobsen
hat die Lust auf Handball noch nicht
verloren. Im Zebra-Interview spricht er über seine Verletzung, seine Familie und neue
Lebensansichten.
- Zebra:
-
Nikolaj, vor gut drei Wochen wurdest Du
erneut an Deinem lädierten linken Knie operiert. Wie
stehen die Aussichten auf ein Comeback?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Es ist schwer zu sagen, wann ich wieder spielen darf. Eventuell kann ich in der Rückrunde kein
Spiel mehr bestreiten. Das wäre natürlich bitter. Die bitterste Geschichte von allen ist
allerdings, dass für mich die Möglichkeit besteht, nie wieder in der Ostseehalle zu spielen.
Ich bin allerdings froh, dass die Ärzte nun endlich etwas nachgewiesen und entsprechend
behoben haben, was meine großen Schmerzen verursacht hatte.
- Zebra:
-
Also keine Spur von Resignation?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Nein, denn so will ich nicht aufhören. Ich möchte für die Zuschauer spielen und meiner
Mannschaft helfen.
- Zebra:
-
Die zurückliegenden anderthalb Jahre waren für Dich von permanenten Rückschlägen geprägt.
Hast Du während dieser Zeit ans Aufhören gedacht?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ja, oft (lacht)! Die Schmerzen waren groß und es ging permanent auf und ab: immer ein Schritt
nach vorn und zwei zurück. Nach der vergangenen Sommerpause war ich schon wieder richtig gut
davor, habe in der Saisonvorbereitung alles mitmachen können. Als ich im Herbst zu zwei
Länderspielen fuhr, hatte ich plötzlich wieder Schmerzen und es ging bergab.
- Zebra:
-
Erinnerst Du Dich noch an die Situation, in der Du Dich so tragisch verletzt hast?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Es war ein durchaus nicht ungewöhnlicher Zusammenstoß mit dem gegnerischen Torhüter. Es war
kein Foul oder ähnliches, mein Gegenspieler Zoran Djordjic war schuldlos. Ich bin bei diesem
Unfall einfach zu weit in den Kreis hineingesprungen und dabei falsch gelandet.
- Zebra:
-
Woher nimmst Du bei jedem weiteren Comeback-Versuch aufs Neue die nötige Motivation?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Wenn man so lange wie ich nichts anderes gemacht hat außer Handball zu spielen, dann kann man
nicht einfach aufhören. Für mich gibt es nichts schöneres als vor vollen Rängen wie zum
Beispiel in der Ostseehalle einzulaufen. Einfach aufzugeben, ohne nicht wirklich alles
probiert zu haben, wäre halbherzig. Und das will ich nicht sein!
- Zebra:
-
Bei Nachmittags-Spielen des THW Kiel tummeln sich Deine beiden Töchter nach dem Schlusspfiff
auch auf dem Parkett der Ostseehalle und spielen immer wieder selbst begeistert Ball. Würde
es Dich stolz machen, wenn sie irgendwann einmal in Deine Fußstapfen treten würden?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ich denke, es wäre merkwürdig, wenn die beiden bei den Eltern nicht sportbegeistert wären.
Schließlich gibt es bei uns auch nur Sport im Fernsehen... (lacht). Sie wachsen mit dem Ball
auf, welchen Sport sie am Ende aber mal ausüben werden, ist ihnen selbst überlassen. Freja (6)
will tanzen und anfangen Golf zu spielen, Sille (3) möchte offensichtlich gern Handball
spielen.
- Zebra:
-
Hast Du Dich in den vergangenen Monaten und Jahren zu einem Familienmenschen gewandelt?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ich werde besser und besser. Ich glaube, ich bin kein typischer Familienmensch. Denn ich mag
es, mit der Mannschaft unterwegs zu sein, loszufliegen und den Zusammenhalt des Teams zu
spüren. Ich mag es allerdings auch, vom Training nach Hause zu kommen, mit meiner Familie am
Abendbrottisch zu sitzen, den Kindern Gute-Nacht-Geschichten vorzulesen oder gemeinsam Gute-Nacht-Lieder
zu singen. Das ist ein tolles Gefühl, es gibt kein besseres. Trotzdem würde ich
nicht unbedingt behaupten, die ganze Zeit zuhause sein zu müssen. Mit den Jahren ist es
allerdings schwerer geworden, mal 14 Tage allein in Sachen Handball unterwegs zu sein. Ohne
Familie unterwegs zu sein, hat nur einen Vorteil: in Ruhe schlafen zu können (lacht).
- Zebra:
-
Welche Bedeutung hat Familie für Dich?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Eine sehr große. Ich habe leider nicht mehr sehr viel Familie. Wir passen aufeinander auf und
sind füreinander da. Klar, dass Lenette, Freja und Sille alles für mich bedeuten.
- Zebra:
-
Wie wichtig ist Dir Deine Heimat Dänemark?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Die ist mir natürlich sehr wichtig. Die Großeltern leben dort, ich habe dort viele Freunde.
Doch ich muss nicht unbedingt permanent dorthin zurück. Natürlich fahren wir oft nach
Dänemark, um Lenettes Familie, meine beiden Brüder oder unsere Freunde zu sehen. In den sieben
Jahren, die ich inzwischen hier in Deutschland verbracht habe, haben wir immer eine enge
Beziehung zu Dänemark behalten. In den kommenden zwei Jahren haben meine Familie und ich uns
zunächst einmal für Viborg entschieden.
- Zebra:
-
Die Stadt, in der Du geboren wurdest.
- Nikolaj Jacobsen:
-
Das stimmt, aber das hat bei der Auswahl keine Rolle gespielt. Ich habe dort auch nur die
ersten anderthalb Jahre meines Lebens verbracht. Vielmehr gehe ich nun dorthin, wo meine
Familie und ich die besten Möglichkeiten haben, eine gute und glückliche Familie zu sein.
- Zebra:
-
Was für Möglichkeiten?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Dort bieten sich in den kommenden zwei Jahren für mich die besten Chancen, neben dem
professionellen Handball zukunftsorientiert beruflich Fuß zu fassen. Ich werde in einer neuen,
jungen und guten Mannschaft spielen, in der ich hoffentlich mit meiner Erfahrung etwas
Positives bewegen und das, was ich in Kiel gelernt habe, weitergeben kann. Parallel dazu werde
ich zwei Jahre lang eine Ausbildung zum Sport- und Deutsch-Lehrer absolvieren und am dortigen
Handball-Gymnasium unterrichten. In zwei bis drei Jahren werden rund 330 Schüler an diese
Schule kommen, um in erster Linie Handball zu trainieren.
- Zebra:
-
Dein Traumjob?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Sein Wissen weiterzugeben und zugleich soziales Engagement zu fördern, reizt mich. Es ist ein
gutes Gefühl, andere Menschen in ihrer Entwicklung zu stärken. Zudem macht es mir Spaß, mit
solch jungen Menschen zusammen zu arbeiten. Ich werde in dieser Schule übrigens keine
Mannschaften betreuen, sondern Handball ist ein ganz normales Schulfach mit entsprechenden
Trainingseinheiten.
- Zebra:
-
Woher nimmst Du die Sicherheit, dass dies Dein zukünftiger Beruf sein wird?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ich habe bereits früher schon in Oure an der Sportschule eine einjährige Ausbildung gemacht
und für zwei bis drei Jahre selbst unterrichtet. Ich habe also ein bisschen Erfahrung und
weiß, dass mir dieser Job Spaß macht.
- Zebra:
-
Du wirkst sehr gefestigt in Dir selbst, auf eine Zukunft nach der Profi-Karriere vorbereitet.
Wie sehr bist Du durch Deine Verletzungen geprägt worden und in weit hat Dich das als Typ
verändert?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ich glaube nicht, dass mich die Verletzungen verändert haben. Was mich verändert hat, war der
Tod meiner Mutter. Ich bin ruhiger geworden. Ich ärgere mich nicht über mein Knie, denn ich
weiß, es gibt Schlimmeres im Leben. Ich will nicht, dass mich mein Knie kaputt macht! Ich
glaube, dass auch andere glauben: Ich bin ein positiver Mensch.
- Zebra:
-
Wie äußert sich das?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ich versuche, in allen Dingen etwas Positives zu sehen. In der jetzigen Phase muss ich zwar
noch immer viel Reha machen, kann aber auch öfter mal zwischendurch nach Hause fahren, wenn
die Mannschaft auswärts spielt. Zudem war ich gezwungen, mir Gedanken über die Zukunft zu
machen.
- Zebra:
-
Welche Gedanken gehen Dir durch den Kopf, wenn Du an den Abschied aus Kiel denkst?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Es tut weh wegzugehen. Ich hätte gern noch für zwei bis drei weitere Jahre für den THW Kiel
gespielt, denn für mich gibt es keinen besseren Verein auf der Welt. Trotz meines Knies hatte
ich sechs unglaublich tolle Jahre in Kiel. Lenette und ich haben zwei klasse Kinder und eine
tolle Familie bekommen. Wir haben viel in Deutschland gelernt. Kiel ist für uns ein Teil der
Heimat geworden, wir haben uns hier immer sehr wohl gefühlt. Hätte ich nicht solche Probleme
mit meinem Knie - keine Ahnung, wie lange wir geblieben wären.
- Zebra:
-
Haben sich Deine Erwartungen an den THW Kiel erfüllt?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Ich bin gekommen, um Erfolg zu haben. Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte, bin
dreimal Deutscher Meister geworden, einmal Europapokal-Sieger, zweimal DHB-Pokalsieger - und
das Champions-League-Finale 2000 haben wir nur äußerst unglücklich verloren. Ich durfte mit
Weltklassespielern zusammen in einem Team spielen und hatte einen richtig guten Trainer. Alles
war perfekt: nette Leute in der Mannschaft, im Verein und im Umfeld. Und wir haben immer Hilfe
bekommen, wenn es nötig war. Für uns hat alles gepasst.
- Zebra:
-
Du hast dem THW Kiel und insbesondere den Zuschauern in der Ostseehalle sehr viel
zurückgeben. Für die Fans bist Du wegen Deiner unglaublichen Trickwürfe ihre "Zaubermaus".
Ein guter Spitzname?
- Nikolaj Jacobsen:
-
Es macht mich stolz, dass die Leute mich so sehen. Es hätte mich durchaus schlimmer treffen
können. Für mich ist es am Handball das Beste, vor vielen Zuschauern zu spielen und schöne
Tore zu machen. Und ich glaube, ich habe den Fans etwas gezeigt, was die meisten von ihnen
zuvor noch nie gesehen hatten.
(Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)