Aus den Kieler Nachrichten vom 14.02.2006:
Angesichts des engen Terminplanes für Handball-Spieler
beklagen sich seit längerer Zeit einige Aktive über
die hohen Belastungen. Im KN-Interview spricht THW-Mannschaftsarzt
Dr. Detlev Brandecker sogar von einer
Gesundheitsgefährdung.
- Kieler Nachrichten:
-
Acht Spiele in elf Tagen. War die Belastung für die
Sportler während der Handball-EM zu hoch?
- Dr. Brandecker:
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Sicherlich ist die Belastung während eines solchen Turniers
als zu hoch anzusehen. Bei derartigen Belastungsformen
stehen die Abbauvorgänge im Körper im Vordergrund, es
kommt zum Verlust von Mineralstoffen, Kohlenhydraten und
Eiweiß und damit auch zum Abbau von Muskulatur. Die Zeit
zwischen den Spielen ist zu kurz, um diesen Verlust zu
kompensieren.
- Kieler Nachrichten:
-
Wie lange müsste ein Handballer wie Nikola Karabatic
pausieren, um sich von so einem Turnier komplett zu erholen?
- Dr. Brandecker:
-
Ich würde hier nicht von Pause sprechen. Die Regenerationszeit
kann man durchaus als aktiven Teil des Trainings betrachten,
die Intensitäten müssen niedriger angesetzt sein. Wenn man
als Ziel der Regeneration die Erneuerung der physischen,
psychischen und mentalen Leistungsfähigkeit versteht, wird
es letztendlich der Sportler selber sein, der den Zeitpunkt
benennt, zu dem er sich wieder "fit" fühlt.
- Kieler Nachrichten:
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Jedes Jahr eine WM oder EM, dazu der pralle Spielplan für
Spitzenteams. Bleibt den Aktiven noch ausreichend Zeit
zur Regeneration?
- Dr. Brandecker:
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Sicherlich nicht. Wer diesen eng gesteckten Terminkalender zu
vertreten hat, betreibt Raubbau an der Gesundheit der Spieler.
Die Mannschaftsärzte der HBL treffen sich regelmäßig unter
der Leitung von Nationalmannschaftsarzt Dr. Hallmeier. Wir
haben mehrfach unsere Kritik aus sportmedizinischer Sicht
an diesem Missstand zum Ausdruck gebracht - bewirkt hat
dies bisher noch nichts.
- Kieler Nachrichten:
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Sie sind seit 14 Jahren Mannschaftsarzt des THW Kiel. Hat
die Belastung in dieser Zeit für die Spieler zugenommen
und welche Möglichkeiten haben Spieler und Ärzte, um sich
darauf einzustellen?
- Dr. Brandecker:
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Verglichen mit dem heutigen Belastungsprofil könnte man
die Anfangsjahre als "Hobby-Handball" sehen. Speziell
der THW tanzt seit über einem Jahrzehnt regelmäßig auf
drei Hochzeiten, die Athletik und die Rasanz haben immer
weiter zugenommen. Als Ärzte bewegen wir uns ständig im
Spannungsfeld zwischen immer höherem Leistungsanspruch
und aktuellem Wohl und langfristiger Gesunderhaltung
des Sportlers. Das heutige Leistungsniveau ist nur
zu halten, indem alle Bereiche professionell angegangen
werden. Das fängt mit der Eigenverantwortung der Spieler
an wie Einstellung zum Profisport, Ernährung sowie
Lebenswandel und geht über optimale ärztliche und
physiotherapeutische Betreuung, bis hin zur
Trainingslehre- und -gestaltung.
- Kieler Nachrichten:
-
Mit welchen Folgeschäden müssen Spieler angesichts
dieser Belastungen rechnen, und wie lange hält ein
Körper Sport auf diesem Niveau durch?
- Dr. Brandecker:
-
Diese Frage ist sicher nicht im Allgemeinen zu beantworten.
Ich kann nur an jeden unserer Spieler appellieren, auf
den eigenen Körper zu hören und genug Raum für notwendige
Regeneration zu lassen, um die wunderbare Sportart Handball
möglichst lange ausüben zu können.
- Kieler Nachrichten:
-
Wie ließe sich die Belastung reduzieren?
- Dr. Brandecker:
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Es wäre sicherlich schon viel gewonnen, wenn die großen
Turniere wie EM und WM wieder nur alle vier Jahre
ausgetragen würden. Dadurch ließe sich der Spielplan
nicht unwesentlich entzerren. Gedanken an weitere
Qualifikationsturniere, etwa für die Olympischen Spiele,
sollten erst gar nicht weiter verfolgt werden.
(Das Gespräch führte Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 14.02.2006)