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29.08.2007 Handball-Geschichte

Zebra-Journal: Alles fing eines Tages mit dem Fußball an

Handball wurde als Frauenspiel geboren

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2007:

Nach knapp 90 Jahren schloss sich in Berlin der Kreis: Mit dem Eröffnungsspiel der XX. Weltmeisterschaften kehrte der Handball am 19. Januar 2007 an den Ort seiner Entstehung zurück. In der Alexanderstraße 41 verwandte der Turnfunktionär Max Heiser am 29. Oktober 1917 erstmals den Begriff "Handball" in einem offiziellen Regelwerk, fasste es dabei freilich noch als reines Frauenspiel auf. Danach trat das "deutsche Spiel" seinen Siegeszug an. Und die Grundlage all dessen war - der Fußball.
Die deutschen Funktionäre scheuen heute jeden Vergleich mit dem "großen Bruder" Fußball. Vor einem Jahrhundert war das noch anders. Im Kaiserreich rangen zwei völlig verschiedene ideologische Konzepte um die Vorherrschaft in Sachen Leibesübungen. Etabliert in den Schulen und im Militär war das Turnen, und die Deutsche Turnerschaft (DT) stellte mit über einer Million Mitgliedern die seinerzeit größte Organisation ihrer Art weltweit. Die Turn-Idee beruhte auf den Gedanken des "Turnvaters" Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852), der das Turnen in den Befreiungskriegen gegen Frankreich um 1810 als Form der Wehrertüchtigung entwickelt hatte. Das Gerät "Seitpferd" etwa sollte dazu dienen, die Kavallerie körperlich zu stählen.

Um 1900 wurde in Deutschland indes das Konzept des "englischen Sports" mit Sportarten wie Golf, Tennis, Leichtathletik und vor allem Fußball immer populärer. Anders als Turnen war der englische Sport Selbstzweck, verzeichnete "Rekorde", und die Zuschauer vergnügten sich, indem sie auf den Ausgang der Spiele wetteten. Vor allem der attraktive Fußball raubte der DT immer mehr jugendliche Mitglieder, weswegen die Funktionare eine vieizani von "lurn-spielen" entwickelte. Am Ende dieser Entwicklung, die vor allem in Berlin als Zentrum des Deutschen Reiches vorangetrieben wurde, sollte sich nur eine einzige dieser "geklonten Sportarten" durchsetzen: Handball.

Eine Pointe stellt dar, dass die Turner zwar den Handball erfanden, dass aber ausgerechnet das feindliche Lager des Sports es nach 1920 entscheidend weiterentwickelte und populär machte. Ausgangspunkt war die erste Sportuniversität der Welt, die Deutsche Hochschule für Leibesübungen (DHfL) in Berlin, deren Leiter, Carl Diem, den Leichtathleten Carl Schelenz aufforderte, das Turnspiel Handball gewissermaßen zu "versporten": Es schneller, athletischer und härter (und so zu einem Männersport) zu machen. An der DHfL fand danach laut Handballhistoriker Walfried Riekhoff "die erste Forschungsarbeit für die technische und taktische Gestaltung des Spiels" statt, die erste wissenschaftliche Durchdringung des Handballs. Ziel war es dabei möglichst schnell "ein Fußballspiel mit der Hand aui großem Felde zu schaffen" (Riekhoff). Schelenz, der sich später als "Vater des Handballs" feiern ließ, kupferte vom Fußball ab: Er ließ elf Spieler auf dem Fußballfeld antreten, benutzte sogar wenig später auch die Tore, modifizierte ein wenig die Abseitsregel, kopierte mit der 2-3-5-Formation das damals taktische Grundsystem des Fußballs - und übernahm ansonsten die Vorarbeiten Heisers: Das Feldhandballspiel war erfunden.

Zu den Leistungen Schelenz' und Diems gehört, dass so genannte "Wandersportlehrer" den Handball in der deutschen Provinz und (zunächst) bei den deutschen Minderheiten im Ausland bekannt machten - insofern stellte es kein Wunder dar, dass bei den Rumänen, die in den 1960er und 1970er Jahren den Welthandball dominierten, die meisten Spieler (wie etwa der später emigrierte Hansi Schmidt) aus Siebenbürgen stammten. Der parallel entwickelte Hallenhandball kam auf, als in den 1930er Jahren mit der Deutschlandhalle oder der Westfalenhalle erstmals größere Veranstaltungshallen gebaut wurden. Diese neue Form wurde maßgeblich beeinflusst von den Skandinaviern: Nicht zufällig fand das erste Hallen-Länderspiel am 8. März 1935 zwischen Dänemark und Schweden (12:18) in Kopenhagen statt.

Nur 19 Jahre nach seiner Erfindung fand 1936 erstmals ein olympisches Handballturnier statt, zwei Jahre später, in der Berliner Deutschlandhalle, die erste Hallen-WM. Vier Teams aus Schweden, Dänemark, Österreich und Deutschland ermittelten vor jeweils 9000 Zuschauern an zwei Tagen den ersten Champion: Deutschland. Die abschließende Partie gegen Schweden (7:2) deutete die Attraktivität des jungen Sports bereits an. Von Hallenhandball "in höchster Vollendung" schrieb das Fachblatt Handball, "mit allem Zierat an technischen Feinheiten, mit Elan und Tempo, mit blitzschnellen Wechseln der Spielhandlung, mit akrobatischen Leistungen der Torwächter und Torschüssen voll Kraft und Raffinesse".

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 24.08.2007)


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