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16.12.2008 Interview

Zebra-Interview mit Marcus Ahlm: Gibt es den Geist von Kiel?

Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:

Marcus Ahlm: "Der Erfolgshunger dieses Teams ist nie gestillt".
Klicken Sie für weitere Infos! Marcus Ahlm: "Der Erfolgshunger dieses Teams ist nie gestillt".

Schon seit fünf Jahren trägt Marcus Ahlm Schwarz-Weiß. Warum die letzten Monate trotzdem die vielleicht schwersten seiner bisherigen Karriere gewesen sind und wieso es den Schweden noch mindestens bis 2011 in Kiel hält, verrät er im großen ZEBRA-Interview.
Zebra:
Im Sommer sind Sie 30 Jahre alt geworden. Eine magische Grenze?
Marcus Ahlm:
Nein, ich hatte keine Angst vor meinem 30. Geburtstag. Doch viele machen sich einen Spaß daraus und scherzen. Für mich ist die Drei am Anfang jedoch kein Problem.
Zebra:
Seit langer Zeit plagen Sie sich mit Schmerzen herum...
Marcus Ahlm:
Ich hatte und habe Probleme mit der Bandscheibe. Sie drückt auf den Wirbelsäulenkanal und verursacht Schmerzen. Ich habe deshalb auf vieles verzichten und oft aussetzen müssen. Zurzeit bin ich bei den Spezialisten unserer medizinischen Abteilung in Behandlung. Dort lerne ich verschiedene Stabilisations-übungen für den Rückenbereich.
Zebra:
Haben Sie schon einmal ans Aufhören gedacht?
Marcus Ahlm:
Nein, nicht so direkt. Obwohl ich gerade in den letzten Monaten nach der Schulter-OP und den Rücken-Problemen erleben musste, wie es ist, sich neu heranzukämpfen. Nach solchen Einschnitten fällt man in ein kleines Loch und macht sich Gedanken darüber, wie es wäre, wenn nicht alles wieder so gut wird wie vorher. Und man kommt natürlich auch zu der Einsicht, dass der Sport, den wir betreiben, mit täglichen und chronischen Schmerzen keinen Spaß macht. Bei mir war allerdings nie der Punkt gekommen, wo ich hätte sagen müssen, dass ich aufhöre. Das Gespenst geistert einem trotzdem im Kopf herum.
Zebra:
Im Sommer haben Sie pausiert. Gab es Urlaub für Sie?
Marcus Ahlm:
Ich habe nicht wirklich Urlaub gemacht, sondern ein umfangreiches Reha-Training in Schweden absolviert. Natürlich haben wir dort auch Freunde besucht und die Familie gesehen. Aber vieles war harte Arbeit, um überhaupt so spielen zu können, wie ich es jetzt tue.
Zebra:
Fällt es schwer, für die Gesundheit auf viele Dinge zu verzichten?
Marcus Ahlm:
Ja und nein. Mit dem Alter ist es sicherlich etwas einfacher geworden. Ich sehe es jetzt entspannter und kann mich selbst aus dem Geschehen herausnehmen - also auch sagen, dass ich auf die Nationalmannschaft verzichte. Ich wollte mich auf die Reha konzentrieren, zunächst diese Aufgabe lösen und nicht alles auf einmal machen. Ich glaube, das war vernünftig. Denn man sieht, woher meine Probleme kommen: Wenn man so lange auf diesem Niveau Handball spielt, ist da ein natürlicher Verschleiß. Dann muss man auch mal Prioritäten setzen und sagen, dass der Körper, aber auch die Familie wichtiger sind.
Zebra:
Ist es schwer, nach einer langen Zeit in Schweden wieder nach Kiel zurück zu kommen?
Marcus Ahlm:
Ein klares Nein. Wir wohnen und leben hier, deswegen ist das hier unser Zuhause. Schweden ist momentan "nur" Urlaub.
Zebra:
Trotz Ihrer Rückenprobleme wurden sie zeitweilig von den Rhein-Neckar-Löwen heftig umworben.
Marcus Ahlm:
Ich begegne solchen Anfragen und Angeboten mit Respekt und der nötigen Ernsthaftigkeit. Natürlich war das Angebot ein Thema. Wir haben darüber alle diskutiert. Am Ende sind meine Familie und ich uns einig gewesen: Wir wollen in Kiel bleiben.
Zebra:
Was waren die Gründe dafür?
Marcus Ahlm:
Ich denke, die Mannschaft und der gesamte Verein waren entscheidend. Der Erfolgshunger dieses Teams ist nie gestillt, so klar gesetzte Ziele gibt es nirgendwo anders. Was hier in Kiel jeden Tag aufs Neue passiert und was ich hier erlebe, ist schwer in Worte zu fassen. Vielleicht gibt es ihn, den Geist von Kiel. Diese spezielle Atmosphäre und das Umfeld, diesen besonderen Siegeswillen.
Zebra:
Sie haben bis 2011 verlängert...
Marcus Ahlm:
Meine Frau und ich haben kein Ziel, bei dem wir sehen, dass wir in einem bestimmten Jahr irgendwo angekommen sein müssen. Wir lassen alles auf uns zukommen, das Leben entspricht dabei durchaus einer Reise. Und während dieser "Reise" hat es sich so ergeben, dass wir immer länger hier geblieben sind.
Zebra:
Inzwischen dauert der "Reisestopp" schon fünf Jahre.
Marcus Ahlm:
In Kiel haben wir unsere Heimat gefunden. Wir wohnen schon so lange hier, meine Tochter Ines ist hier geboren, und Kiel ist ein großer Abschnitt meines Lebens. Fast die Hälfte meines erwachsenen Lebens habe ich hier verbracht und mich früh dem professionellen Handball verschrieben.
Zebra:
War Handball früher Spaß, und ist daraus jetzt Ernst geworden?
Marcus Ahlm:
Mit Spaß am Sport hat es angefangen - und diesen Spaß habe ich immer noch. Ziemlich früh ist jedoch aus dem Hobby ein Beruf geworden, zudem dann auch die nötige Ernsthaftigkeit gehört. So hat sich schon früh einiges "verändert". Mich treibt der Wille an, Fortschritte zu machen. Seitdem ich 15 oder 16 Jahre alt bin, betreibe ich Leistungssport. Ohne Spaß daran hätte ich das nicht durchhalten können.
Zebra:
Hat sich Ihre Einstellung zum Handball mit der Zeit verändert?
Marcus Ahlm:
Nein. Ich gebe mir jeden Tag Mühe, mich weiterzuentwickeln, immer besser zu werden.
Zebra:
Sind Sie ehrgeizig?
Marcus Ahlm:
Ja! Schon in der Schule war ich ehrgeizig. Und das ist mir wohl auch schon in vielen Lebenslagen zugute gekommen. Vielleicht zeichnet mich mein Ehrgeiz auch in einigen anderen Bereichen aus. Doch es gibt ebensoviele Dinge, bei denen ich nicht so verbissen bin. Zum Beispiel beim Aufräumen, da muss nicht immer alles tiptop in Ordnung sein (lacht).
Zebra:
Mussten Sie sich viel erkämpfen?
Marcus Ahlm:
Ich musste mir viel erarbeiten. Aber ich denke, das ist bei allen Leistungssportlern so. Es gehört eine Portion Talent dazu, doch vieles geht nur über harte Arbeit und viel Schweiß.
Zebra:
Was bedeuten Ihnen deshalb Auszeichnungen?
Marcus Ahlm:
Eigentlich ist der Moment, in dem wir als Mannschaft etwas zusammen gewinnen, der schönste in der Karriere. Medaillen sind nur dazu da, um mich an diese Momente und das, was wir erreicht haben, zu erinnern. Im Nachhinein sind sie aber nicht so wichtig. Bei mir hängen die Medaillen auch nirgendwo an der Wand, sondern liegen in einer Schublade.
Zebra:
Warum weiß man nicht soviel über Sie?
Marcus Ahlm:
Es kann sein, dass ich manchmal nicht so viel über mich preisgeben möchte. Es gibt einige Dinge, die gehören zu meinem "öffentlichen Leben" als Handballer. Es gibt aber auch Themen, die privat sind. Und die will ich nicht in der Zeitung lesen.
Zebra:
Was interessiert Sie neben dem Handball?
Marcus Ahlm:
An Wirtschaft und den Naturwissenschaften bin ich sehr interessiert. Ich schaue Dokumentationen im Fernsehen und verfolge auch die derzeitige Finanzkrise aufmerksam. Gerade auch bei solchen Themen entwickele ich Ehrgeiz. Ich bin neugierig und möchte gerne wissen, wie etwas passiert ist oder wie etwas zustande gekommen ist.
Zebra:
Haben Sie eine Sympathie für einen anderen Sportverein?
Marcus Ahlm:
Nein. Manchmal habe ich Viktor Szilagyi (HSV-Fan, Anm. d. Red.) geärgert und gesagt, ich sei FC-Bayern-Fan. Aber eine wirkliche Sympathie habe ich für keinen Sportverein. Nebenbei habe ich früher Golf gespielt, doch durch meine Rückenbeschwerden ist das momentan nicht möglich. Ich studiere gerne oder lese. Ich suche eben neben dem Sport einen Ausgleich, etwas, was mit anderen Dingen zu tun hat. Meine Familie gehört natürlich auch dazu.
Zebra:
Auf Autogrammkarten sieht man Sie selten lächeln. Haben Sie keinen Humor?
Marcus Ahlm:
Ach, da bin ich eher ernst. Wir haben aber auch schon die "Anweisung" bekommen, etwas böse zu gucken. Da war es Mode, ein ernstes Gesicht auf Fotos zu machen. Ich kann aber über einige Dinge lachen. Es gibt gute Comedyserien oder Komödien. Aber auch meine Familie und besonders meine Tochter Ines bringen mich immer wieder zum Lachen.
Zebra:
Basteln Sie schon an einem Leben nach dem Handball?
Marcus Ahlm:
Natürlich mache ich mir über die Zukunft Gedanken. Doch darüber erzählen möchte ich nicht. Noch ist nichts sicher, und es dauert hoffentlich noch lange, bis die sportliche Karriere vorbei ist. Aber Gedanken über die Zeit nach dem Sport sollte sich jeder machen.
(Das Gespräch führte Annika Stöllger, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)


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