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17.12.2008 Bundesliga

Zebra: Liga unter Schock

Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:

Nordhorn, Essen, Stralsund, Magdeburg: Die Liste der Brennpunkte in der TOYOTA Handball-Bundesliga wird immer länger. Nun gerät auch das Lizenzierungsverfahren der HBL in die Kritik.
Nach dem Weltmeister-Titel im eigenen Land glaubte man, es würde für die Handball-Bundesliga nur noch bergauf gehen. Mit TOYOTA wurde ein Namenssponsor gefunden, die Vereine zogen in immer größere Arenen und schlossen im Vergleich zu früheren Zeiten hochdotierte Werbeverträge ab. Doch in dieser Saison zogen bereits früh dunkle Wolken über der stärksten Liga der Welt auf - und diese entwickelten sich zu einem wahren Gewitter, dessen Ausmaße noch gar nicht abzusehen sind. Es geht ums Geld - vielmehr um nicht vorhandenes Geld. Zuerst schreckten Steuerfahnder bei der HSG Nordhorn die Liga auf, nach und nach wurden auch bei Magdeburg und Gummersbach Etat-Löcher nach Fehlern und Missmanagement in der Vergangenheit bekannt. Die Finanzsorgen einiger Vereine entwickelten sich dann sogar zur größten Krise seit Gründung der Bundesliga im Jahr 1977: Ausgerechnet TuSEM Essen, vor drei Jahren erstmals von einem Insolvenzverfahren betroffen und zum Zwangsabstieg in die Regionalliga verurteilt, konnte erneut die Last der Schulden nicht mehr tragen. 1,5 Millionen Euro sollen es gewesen sein, die sich auf der Soll-Seite des Kontos in den letzten Monaten angesammelt hatten. 75 Gläubiger klopften regelmäßig an die Türen der TuSEM-Geschäftsstelle, ohne jedoch zufrieden wieder nach Hause zu gehen. Der Altmeister musste erneut Insolvenz anmelden, versucht aber, mit einer Rumpfmannschaft die Saison zu Ende zu spielen, um einem erneuten Zwangsabstieg in die dritte Liga zu verhindern.
"Der Imageverlust ist sehr groß." Frank Bohmann
Als ob die Situation nicht schon schwerig genug für die "stärkste Liga der Welt" wäre, meldete sich unlängst auch der Stralsunder HV mit negativen Schlagzeilen. Das eigentliche Sorgenkind der Liga, mit einem Mini-Etat von nicht einmal 1,2 Millionen Euro in das Abenteuer erste Liga gestartet, rückte in den Fokus der Öffentlichkeit. Kontoauszüge seien gefälscht worden, berichtete eine Tageszeitung, die Lage sei noch viel schlimmer als befürchtet - auch in Stralsund drohe demnach ein Insolvenzverfahren. "Der Imageverlust ist sehr groß", sprach HBL-Chef Frank Bohmann angesichts der immer neuen Hiobsbotschaften von einem "Schlag ins Kontor". Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass die bisher bekannt gewordenen Finanzprobleme bei einigen Vereinen noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten müssen. "Dass es noch mehr Sorgenkinder in der Liga gibt, kann man nicht ausschließen."

Fragen folgen den Schockwellen

Nach den ersten Schockwellen, die die Liga erfassten, kamen dann aber immer mehr Fragen auf. Vor allem die Frage nach der Verantwortung für die missliche Lage in den Vereinen wurde gestellt. Für THW-Manager Uwe Schwenker ist die Sache klar: "Die handelnden Personen in den Vereinen tragen die Schuld an der Misere. Ich kann nicht mehr Geld ausgeben als ich wirklich habe." Trotz der Hiobsbotschaften ist sich Schwenker sicher, dass "ein Großteil der Vereine seriös und gut arbeitet." Doch warum konnten die "schwarzen Schafe" so lange im Verborgenen vor sich hinwirtschaften, warum fielen die roten Zahlen nicht bereits im Lizenzierungsverfahren auf?
"Man darf nicht mehr Geld ausgeben als man wirklich hat." Uwe Schwenker
"Die Entwicklung in Essen hat auch mich überrascht", sagt Bohmann. "Ob die Lizenz auf Basis der tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten erteilt woren ist, werden wir nun prüfen." Haben die Vereine also falsche, geschönte Zahlen vorgelegt? Auch im Fall von Stralsund wird darüber in den Medien spekuliert. Daran möchte Bohmann sich nicht beteiligen. "Ob die Stralsunder wirklich betrogen haben, kann ich jetzt noch nicht sagen." In jedem Fall ist zumindest in dieser Sache inzwischen ein Aktenzeichen bei der Staatsanwaltschaft bekannt geworden - nun interessiert sich also auch die Justiz in Stralsund für die Vorgänge beim Aufsteiger.

Kritik am Lizenzierungsverfahren

Doch auch die Kritik am eigentlichen Lizenzierungsverfahren verstummt nicht. Als vor drei Jahren, nach der Lizenzverweigerung für den TuSEM Essen, die SG Wallau-Massenheim, die Reinickendorfer Füchse Berlin, die SG Willstätt/Schutterwald und die SG Werratal, die Handball-Bundesliga das neue Lizenzierungsverfahren beschloss, sprach Bohmann von "fulminanten, wesentlichen Änderungen."
"Das Lizenzierungsverfahren der HBL ist so effektiv wie Dopingtests im Radsport." Wolfgang Gütschow
Nicht mehr der HBL-Vorstand, sondern eine dreiköpfige Lizenzierungskommission sollte fortan über die Zulassung zur Beletage des deutschen Handballs entscheiden - und dabei vor allem auf die wirtschaftlichen Begebenheiten der Vereine schauen. Nun steht dieses Konzept, das so ähnlich auch Fußball gehandhabt wird, in der Kritik. "Das Lizenzierungsverfahren ist in einem ständigen Wandel begriffen und steht dabei jederzeit auf dem Prüfstand", versucht Bohmann zu beschwichtigen. Daraus könne man aber nicht den Schluss ziehen, so Bohmann weiter, dass die Liga ihre Sorgfaltspflichten vernachlässigt habe. "Das Verfahren kann letztlich aber nur so gut sein, wie die Zahlen, die vorgelegt werden."

Wenig Hoffnung auf Besserung

Spielermanager und Handballkenner Wolfgang Gütschow, der seit Jahren die wirtschaftlichen Vorgehensweisen der Klubs kritisiert, hat unterdessen wenig Hoffnung auf Besserung. "Das Lizenzierungsverfahren der HBL ist ungefähr so effektiv wie Dopingtests im Radsport." Als Negativbeispiel führte er TuSEM Essen an: "Denen geht die Puste schon nach Zahlung von eineinhalb von zwölf Monatsgehältern aus. Die auf beiden Seiten beteiligten Wirtschaftsprüfer sollten sich mal Gedanken machen, ob das Resultat ihrer Arbeit erstens dem Namen und zweitens den Ansprüchen ihrer Branche gerecht wird." Aber TuSEM sei bei weitem kein Einzelfall. Brancheninsider hätten beispielsweise auch die Probleme in Nordhorn nicht überrascht. "Aber der HBL-Lizenzierungskommission ist es entweder nicht bekannt oder es ist kein Thema, wenn ein Verein bereits während des Antragsverfahrens zahlungsunfähig ist. Klubs erhalten die Lizenz - und kurz danach fehlt plötzlich eine Million. Das geht doch gar nicht. Da erübrigen sich weitere Kommentare über die wirtschaftliche Aussagekraft einer Lizenzerteilung." Doch bei aller Kritik, eine Abschaffung des Lizenzierungsverfahrens ist für Gütschow kein Thema. "Dann hätten wir noch mehr Insolvenzen." Die HBL sei in diesem Zusammenhang in einer "Opferrolle", allerdings täte sie zu wenig, um daraus heraus zu kommen. "Es muss mehr Druck auf die Klubs ausgeübt werden, damit diese ihre Personaletats wieder ihren wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen, vor allem nicht mehr jeden Preis für Spieler bezahlen, und rechtzeitig ihre Personalkosten senken, bevor es zu spät ist", fordert Gütschow, der unter anderem Nationalspieler Pascal Hens betreut, ein Handeln von der Liga.
"Bei einer Abschaffung des Lizenzierungsverfahrens hätten wir noch mehr Insolvenzen." Wolfgang Gütschow
Schließlich seien es vor allem die Sportler, die unter der Situation zu leiden hätten: "Für die Sportler ist das Szenario eine absolute Farce. Mein Mandant Sergio Casanova ist erst 31 - und TuSEM wäre für ihn als Arbeitnehmer bereits die dritte Insolvenz. Wenn Spieler seit Monaten auf ihr Gehalt warten und dann in der Zeitung lesen, dass der Verein die Lizenz ohne Auflagen bekommen hat, fühlen sie sich wie in einem Bus, dessen Fahrer nach einer Alkoholkontrolle mit 1,8 Promille weiter fahren darf."

Klubs fordern Konsequenzen

"Wir werden darüber sprechen, ob die Lizenzauflagen zu verschärfen sind", kündigt Uwe Schwenker intensive Beratungen an. Auch Hamburgs Mäzen Andreas Rudolph fordert Änderungen im Lizenzierungsverfahren: "Auch wir hätten 2004 die Lizenz nicht bekommen dürfen. Das Verfahren muss transparenter und schärfer werden." Und sogar Stralsunds Manager Jörg Dombdera befindet, dass das "Lizenzverfahren nichts wert" sei. Schließlich seien alle eingereichten Papiere des SHV korrekt gewesen. Bohmann zeigte sich über diese Äußerung erbost: "Wenn man sagt, dass das Lizenzierungsverfahren nichts taugt, heißt das im Umkehrschluss, dass bei den eingereichten Unterlagen schon etwas nicht gestimmt hat!"
"Wir werden darüber sprechen, ob die Lizenzauflagen zu verschärfen sind." Uwe Schwenker
"Wir befinden uns in einer sehr, ser schwierigen Situation. So etwas darf uns nicht noch einmal passieren", hat Bohmann den Ernst der Lage erkannt. Er befürchtet neben dem Imageschaden für die Liga auch wirtschaftliche Konsequenzen für die Klubs: "Das Vertrauen der Sponsoren schwindet." Sogar das Wort "Kollateralschaden" machte in diesem Zusammenhang die Runde. Am seit drei Jahren praktizierten Verfahren der Lizenzüberprüfung wird sich aller Voraussicht nach nichts ändern. "Wenn wir das Verfahren knallhart durchziehen würden, dann müssten wir pro Saison bis zu 15 Klubs der ersten und zweiten Liga aussortieren", verriet Bohmann, dass das Verfahren durchaus geeignet sein könnte, die Probleme zumindest frühzeitig zu erkennen.
"Die bestehenden Regularien müssen überarbeitet werden." Volker Zerbe
"Die momentane Situation gibt uns trotz des Imageschadens auch Ansätze, ein restriktives Lizenzierungsverfahren zu installieren", sieht Uwe Schwenker positive Aspekte der Krise. "Die bestehenden Regularien müssen überarbeitet werden", fordert unterdessen TBV-Lemgo-Geschäftsführer Volker Zerbe. Mögliche Veränderungen oder Verschärfungen des Lizenzierungsverfahrens würden aber erst zur Saison 2010/2011 greifen, da für die kommene Spielzeit auf jeden Fall noch das aktuelle Verfahren Anwendung finden wird.

Dass die HBL aber reagieren wird, steht außer Frage. Gemeinsam haben Frank Bohmann und HBL-Präsident Rainer Witte inzwischen Maßnahmen zur Risikominimierung erarbeitet. Diese werden am 16. Dezember den Vereinen vorgestellt. Alle 54 Klubs der ersten und zweiten Liga sind an diesem Tag zu einem Gespräch geladen. Gleichzeitig wird dabei auch eine Schulung für das laufende Lizenzierungsverfahren durchgeführt. Hoffentlich ohne weitere Hiobsbotschaften im Vorfeld .

(Von Christian Robohm, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)


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