Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:
Nordhorn, Essen, Stralsund, Magdeburg: Die Liste der Brennpunkte in der
TOYOTA Handball-Bundesliga wird immer länger. Nun gerät auch
das Lizenzierungsverfahren der HBL in die Kritik.
Nach dem Weltmeister-Titel im eigenen Land glaubte man, es würde für die Handball-Bundesliga nur
noch bergauf gehen. Mit TOYOTA wurde ein Namenssponsor gefunden, die Vereine zogen in immer
größere Arenen und schlossen im Vergleich zu früheren Zeiten hochdotierte Werbeverträge ab. Doch
in dieser Saison zogen bereits früh dunkle Wolken über der stärksten Liga der Welt auf - und
diese entwickelten sich zu einem wahren Gewitter, dessen Ausmaße noch gar nicht abzusehen sind.
Es geht ums Geld - vielmehr um nicht vorhandenes Geld. Zuerst schreckten Steuerfahnder bei der
HSG Nordhorn die Liga auf, nach und nach wurden auch bei Magdeburg und Gummersbach Etat-Löcher
nach Fehlern und Missmanagement in der Vergangenheit bekannt. Die Finanzsorgen einiger Vereine
entwickelten sich dann sogar zur größten Krise seit Gründung der Bundesliga im Jahr 1977:
Ausgerechnet TuSEM Essen, vor drei Jahren erstmals von einem Insolvenzverfahren betroffen und
zum Zwangsabstieg in die Regionalliga verurteilt, konnte erneut die Last der Schulden nicht mehr
tragen. 1,5 Millionen Euro sollen es gewesen sein, die sich auf der Soll-Seite des Kontos in den
letzten Monaten angesammelt hatten. 75 Gläubiger klopften regelmäßig an die Türen der
TuSEM-Geschäftsstelle, ohne jedoch zufrieden wieder nach Hause zu gehen. Der Altmeister musste erneut
Insolvenz anmelden, versucht aber, mit einer Rumpfmannschaft die Saison zu Ende zu spielen, um
einem erneuten Zwangsabstieg in die dritte Liga zu verhindern.
"Der Imageverlust ist sehr groß." Frank Bohmann
Als ob die Situation nicht schon schwerig genug für die "stärkste Liga der Welt" wäre, meldete
sich unlängst auch der Stralsunder HV mit negativen Schlagzeilen. Das eigentliche Sorgenkind der
Liga, mit einem Mini-Etat von nicht einmal 1,2 Millionen Euro in das Abenteuer erste Liga
gestartet, rückte in den Fokus der Öffentlichkeit. Kontoauszüge seien gefälscht worden,
berichtete eine Tageszeitung, die Lage sei noch viel schlimmer als befürchtet - auch in
Stralsund drohe demnach ein Insolvenzverfahren. "Der Imageverlust ist sehr groß", sprach
HBL-Chef Frank Bohmann angesichts der immer neuen Hiobsbotschaften von einem "Schlag ins Kontor".
Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass die bisher bekannt gewordenen Finanzprobleme bei einigen
Vereinen noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten müssen. "Dass es noch mehr Sorgenkinder
in der Liga gibt, kann man nicht ausschließen."
Fragen folgen den Schockwellen
Nach den ersten Schockwellen, die die Liga erfassten, kamen dann aber immer mehr Fragen auf. Vor
allem die Frage nach der Verantwortung für die missliche Lage in den Vereinen wurde gestellt.
Für THW-Manager Uwe Schwenker ist die Sache klar: "Die handelnden Personen in den Vereinen
tragen die Schuld an der Misere. Ich kann nicht mehr Geld ausgeben als ich wirklich habe." Trotz
der Hiobsbotschaften ist sich Schwenker sicher, dass "ein Großteil der Vereine seriös und gut
arbeitet." Doch warum konnten die "schwarzen Schafe" so lange im Verborgenen vor sich
hinwirtschaften, warum fielen die roten Zahlen nicht bereits im Lizenzierungsverfahren auf?
"Man darf nicht mehr Geld ausgeben als man wirklich hat." Uwe Schwenker
"Die Entwicklung in Essen hat auch mich überrascht", sagt Bohmann. "Ob die Lizenz auf Basis der
tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten erteilt woren ist, werden wir nun prüfen." Haben
die Vereine also falsche, geschönte Zahlen vorgelegt? Auch im Fall von Stralsund wird darüber in
den Medien spekuliert. Daran möchte Bohmann sich nicht beteiligen. "Ob die Stralsunder wirklich
betrogen haben, kann ich jetzt noch nicht sagen." In jedem Fall ist zumindest in dieser Sache
inzwischen ein Aktenzeichen bei der Staatsanwaltschaft bekannt geworden - nun interessiert sich
also auch die Justiz in Stralsund für die Vorgänge beim Aufsteiger.
Kritik am Lizenzierungsverfahren
Doch auch die Kritik am eigentlichen Lizenzierungsverfahren verstummt nicht. Als vor drei
Jahren, nach der Lizenzverweigerung für den TuSEM Essen, die SG Wallau-Massenheim, die
Reinickendorfer Füchse Berlin, die SG Willstätt/Schutterwald und die SG Werratal,
die Handball-Bundesliga das neue Lizenzierungsverfahren beschloss, sprach Bohmann von "fulminanten,
wesentlichen Änderungen."
"Das Lizenzierungsverfahren der HBL ist so effektiv wie Dopingtests im Radsport." Wolfgang
Gütschow
Nicht mehr der HBL-Vorstand, sondern eine dreiköpfige Lizenzierungskommission sollte fortan über
die Zulassung zur Beletage des deutschen Handballs entscheiden - und dabei vor allem auf die
wirtschaftlichen Begebenheiten der Vereine schauen. Nun steht dieses Konzept, das so ähnlich
auch Fußball gehandhabt wird, in der Kritik. "Das Lizenzierungsverfahren ist in einem ständigen
Wandel begriffen und steht dabei jederzeit auf dem Prüfstand", versucht Bohmann zu
beschwichtigen. Daraus könne man aber nicht den Schluss ziehen, so Bohmann weiter, dass die Liga
ihre Sorgfaltspflichten vernachlässigt habe. "Das Verfahren kann letztlich aber nur so gut sein,
wie die Zahlen, die vorgelegt werden."
Wenig Hoffnung auf Besserung
Spielermanager und Handballkenner Wolfgang Gütschow, der seit Jahren die wirtschaftlichen
Vorgehensweisen der Klubs kritisiert, hat unterdessen wenig Hoffnung auf Besserung. "Das
Lizenzierungsverfahren der HBL ist ungefähr so effektiv wie Dopingtests im Radsport." Als
Negativbeispiel führte er TuSEM Essen an: "Denen geht die Puste schon nach Zahlung von
eineinhalb von zwölf Monatsgehältern aus. Die auf beiden Seiten beteiligten Wirtschaftsprüfer
sollten sich mal Gedanken machen, ob das Resultat ihrer Arbeit erstens dem Namen und zweitens
den Ansprüchen ihrer Branche gerecht wird." Aber TuSEM sei bei weitem kein Einzelfall.
Brancheninsider hätten beispielsweise auch die Probleme in Nordhorn nicht überrascht. "Aber der
HBL-Lizenzierungskommission ist es entweder nicht bekannt oder es ist kein Thema, wenn ein
Verein bereits während des Antragsverfahrens zahlungsunfähig ist. Klubs erhalten die Lizenz -
und kurz danach fehlt plötzlich eine Million. Das geht doch gar nicht. Da erübrigen sich weitere
Kommentare über die wirtschaftliche Aussagekraft einer Lizenzerteilung." Doch bei aller Kritik,
eine Abschaffung des Lizenzierungsverfahrens ist für Gütschow kein Thema. "Dann hätten wir noch
mehr Insolvenzen." Die HBL sei in diesem Zusammenhang in einer "Opferrolle", allerdings täte sie
zu wenig, um daraus heraus zu kommen. "Es muss mehr Druck auf die Klubs ausgeübt werden, damit
diese ihre Personaletats wieder ihren wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen, vor allem nicht
mehr jeden Preis für Spieler bezahlen, und rechtzeitig ihre Personalkosten senken, bevor es zu
spät ist", fordert Gütschow, der unter anderem Nationalspieler Pascal Hens betreut, ein Handeln
von der Liga.
"Bei einer Abschaffung des Lizenzierungsverfahrens hätten wir noch mehr Insolvenzen." Wolfgang
Gütschow
Schließlich seien es vor allem die Sportler, die unter der Situation zu leiden hätten: "Für die
Sportler ist das Szenario eine absolute Farce. Mein Mandant Sergio Casanova ist erst 31 - und
TuSEM wäre für ihn als Arbeitnehmer bereits die dritte Insolvenz. Wenn Spieler seit Monaten auf
ihr Gehalt warten und dann in der Zeitung lesen, dass der Verein die Lizenz ohne Auflagen
bekommen hat, fühlen sie sich wie in einem Bus, dessen Fahrer nach einer Alkoholkontrolle mit
1,8 Promille weiter fahren darf."
Klubs fordern Konsequenzen
"Wir werden darüber sprechen, ob die Lizenzauflagen zu verschärfen sind", kündigt Uwe Schwenker
intensive Beratungen an. Auch Hamburgs Mäzen Andreas Rudolph fordert Änderungen im
Lizenzierungsverfahren: "Auch wir hätten 2004 die Lizenz nicht bekommen dürfen. Das Verfahren
muss transparenter und schärfer werden." Und sogar Stralsunds Manager Jörg Dombdera befindet,
dass das "Lizenzverfahren nichts wert" sei. Schließlich seien alle eingereichten Papiere des SHV
korrekt gewesen. Bohmann zeigte sich über diese Äußerung erbost: "Wenn man sagt, dass das
Lizenzierungsverfahren nichts taugt, heißt das im Umkehrschluss, dass bei den eingereichten
Unterlagen schon etwas nicht gestimmt hat!"
"Wir werden darüber sprechen, ob die Lizenzauflagen zu verschärfen sind."
Uwe Schwenker
"Wir befinden uns in einer sehr, ser schwierigen Situation. So etwas darf uns nicht noch einmal
passieren", hat Bohmann den Ernst der Lage erkannt. Er befürchtet neben dem Imageschaden für die
Liga auch wirtschaftliche Konsequenzen für die Klubs: "Das Vertrauen der Sponsoren schwindet."
Sogar das Wort "Kollateralschaden" machte in diesem Zusammenhang die Runde. Am seit drei Jahren
praktizierten Verfahren der Lizenzüberprüfung wird sich aller Voraussicht nach nichts ändern.
"Wenn wir das Verfahren knallhart durchziehen würden, dann müssten wir pro Saison bis zu 15
Klubs der ersten und zweiten Liga aussortieren", verriet Bohmann, dass das Verfahren durchaus
geeignet sein könnte, die Probleme zumindest frühzeitig zu erkennen.
"Die bestehenden Regularien müssen überarbeitet werden." Volker Zerbe
"Die momentane Situation gibt uns trotz des Imageschadens auch Ansätze, ein restriktives
Lizenzierungsverfahren zu installieren", sieht Uwe Schwenker positive Aspekte der Krise. "Die
bestehenden Regularien müssen überarbeitet werden", fordert
unterdessen TBV-Lemgo-Geschäftsführer Volker Zerbe. Mögliche Veränderungen oder Verschärfungen des
Lizenzierungsverfahrens würden aber erst zur Saison 2010/2011 greifen, da für die kommene
Spielzeit auf jeden Fall noch das aktuelle Verfahren Anwendung finden wird.
Dass die HBL aber reagieren wird, steht außer Frage. Gemeinsam haben Frank Bohmann und
HBL-Präsident Rainer Witte inzwischen Maßnahmen zur Risikominimierung erarbeitet. Diese werden am
16. Dezember den Vereinen vorgestellt. Alle 54 Klubs der ersten und zweiten Liga sind an diesem
Tag zu einem Gespräch geladen. Gleichzeitig wird dabei auch eine Schulung für das laufende
Lizenzierungsverfahren durchgeführt. Hoffentlich ohne weitere Hiobsbotschaften im Vorfeld .
(Von Christian Robohm, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)