Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:
Am Ende der Saison verlässt Mannschaftskapitän
Stefan Lövgren
nach zehn Jahren im schwarz-weißen Dress den THW Kiel und kehrt
in seine schwedische Heimat zurück. Im ZEBRA-Interview spricht
er über seine Gefühle, das neue Leben in Schweden und die Probleme des Handballs.
- Zebra:
-
Stefan, was machen Sie am 6. Juni 2009?
- Stefan Lövgren:
-
Da werde ich mein letzte Pflichtspiel für den THW Kiel bestreiten,
zum letzten Mal in die Sparkassen-Arena einlaufen und
diese tolle Atmosphäre spüren.
- Zebra:
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Haben Sie Angst vor diesem Moment?
- Stefan Lövgren:
-
Ich habe mir bisher darüber kaum Gedanken gemacht. Wir stecken
mitten in der Saison - aber irgendwann kommen die Gedanken.
Der 6. Juni ist der Nationalfeiertag der Schweden - irgendwie
passt das zum Anlass. Natürlich wäre es schön, wenn wir
vor dem Spiel gegen Flensburg schon Deutscher Meister
wären, damit ich mein letztes Spiel richtig genießen
könnte. Aber daran glaube ich nicht. Es wird spannend bleiben.
- Zebra:
-
Wie geht's dann weiter?
- Stefan Lövgren:
-
Es folgt der praktische Teil, der Umzug. Das Haus in Schweden
ist beinahe fertig. Und dann beginnt ein neues Leben.
- Zebra:
-
Sie werden Lehrer an einem Handball-Gymnasium.
- Stefan Lövgren:
-
Ja, an einem von fast 30 John-Bauer-Gymnasien. An vier
Standorten können die Schüler den Schwerpunkt Handball
wählen - einen davon darf ich in Uddevalla mitgestalten.
- Zebra:
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Wie sieht das konkret aus?
- Stefan Lövgren:
-
2009 startet die Handballsparte der Schule. Ich baue diese
von Anfang an mit auf und organisiere die Abläufe. Früher
hat man ein Schulpraktikum im Betrieb des Vaters oder
der Mutter absolviert, die Schüler des John-Bauer-Gymnasiums
sollen praktische Erfahrungen als Handballer im Austausch
mit anderen europäischen Handballschulen sammeln. Das
soll ich mit meinen Kontakten realisieren. Natürlich
bin ich auch für die praktische Arbeit mit den Schülern
zuständig.
- Zebra:
-
Sie gehen auch in die Wirtschaft?
- Stefan Lövgren:
-
Gemeinsam mit dem ehemaligen THW-Rechtsaußen Martin Schmidt, der im Sommer seine
Tätigkeit als Marketingleiter für den THW beenden wird, betreibe
ich eine Agentur für Sport und Business. Wir wollen
Spieler und Vereine beraten. Ich bin natürlich für die
schwedischen Klubs zuständig, die längst noch nicht
soweit wie die deutschen sind. Gleichzeitig wollen
wir auch außerhalb des Handballs Kontakte zwischen
schwedischen und deutschen Firmen herstellen und
sie bei ihren Geschäften beraten.
- Zebra:
-
Heißt das, sie nehmen die Talente der Schule gleich unter Vertrag?
- Stefan Lövgren:
-
Nein, das muss man trennen, damit es nicht zu einem Interessenkonflikt
kommt. Ein guter Spielerberater muss Erfahrungen im Handball
haben und die Lage analysieren können: Ist der Verein
mit diesem Trainer und dieser Taktik richtig für
den Spieler? Und diese Erfahrungen und Möglichkeiten haben wir.
- Zebra:
-
Hatten Sie bei Ihrem Wechsel nach Deutschland einen Berater?
- Stefan Lövgren:
-
Ja, das war schön. Ich konnte mich auf den Handball konzentrieren.
Der Berater hat die Anfragen sortiert und den ersten Kontakt
hergestellt. Dafür muss man aber wissen, was der Spieler will.
- Zebra:
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Warum sind Sie erst mit 27 Jahren in die Bundesliga gewechselt?
- Stefan Lövgren:
-
Ich habe mich erst spät entwickelt. Meinen Durchbruch mit der
Nationalmannschaft hatte ich 1994/95, da war ich schon 25 Jahre alt. Neben
dem Handball hatte ich aber eine sehr gute Arbeitsstelle,
meine Frau auch. Als ich dann das Gefühl hatte, meine
handballerische Entwicklung in Schweden sei ausgereizt,
wurden die Angebote aus Deutschland auch finanziell
besser, und ich habe den Schritt gewagt.
- Zebra:
-
Haben Sie diesen bereut?
- Stefan Lövgren:
-
Nein. Zuerst sagt man sich: "Wir machen das als Abenteuer. Wenn es
nicht funktioniert, fahren wir wieder nach Hause." Das ist so
eine Art Schutzmechanismus. Aber ich wollte das Beste aus der Situation machen.
- Zebra:
-
Und daraus sind zehn Jahre geworden.
- Stefan Lövgren:
-
Wir haben uns wohlgefühlt und ziemlich schnell bemerkt, dass das ein
längeres Abenteuer werden könnte (lacht). Wenn mir damals
aber jemand gesagt hätte, in zehn Jahren würde ich noch immer
beim THW Kiel spielen und soviele Titel gewonnen haben,
hätte ich ihn für verrückt erklärt.
- Zebra:
-
Würden Sie mir widersprechen, wenn ich behauptete, Sie spielten jetzt in der Form Ihres Lebens?
- Stefan Lövgren:
-
Ja. Aber wenn Sie sagen, ich spiele besser als in den letzten drei
Jahren, habe ich nichts dagegen. Ich habe im vergangenen Sommer
acht Wochen Urlaub gehabt, die Kinder hatten aber noch
keine Ferien. Also konnten wir nicht wegfahren. Deshalb
habe ich mit dem neuen Krafttrainer mein persönliches
Programm durchgezogen, das hat den Körper unheimlich
gestärkt. Die Adduktoren und der Rücken machen weniger
Probleme als in den letzten Jahren - das merke ich
im Spiel.
- Zebra:
-
Und trotzdem wollen Sie Ihre Karriere beenden?
- Stefan Lövgren:
-
Ich hätte auch noch ein paar Jahre dranhängen können. Nicht
beim THW, aber bei einer anderen Mannschaft, die weniger
Spiele zu absolvieren hat. Ich will aber mit dem Gefühl
aufhören, einer Mannschaft noch helfen zu können
und zum Erfolg beizutragen.
- Zebra:
-
Gibt es ein Abschiedsspiel?
- Stefan Lövgren:
-
Ja, es wird eines geben, aber wir sind mit den Planungen noch
nicht soweit. Es ist schon ein komisches Gefühl, ein Spiel
erleben zu dürfen, in dem man selbst der Mittelpunkt ist.
- Zebra:
-
Fällt Ihnen der Abschied schwer?
- Stefan Lövgren:
-
Klar. Wir haben hier unsere Familie gegründet, unsere Kinder
werden ihr Leben lang in ihrem Pass den Geburtsort Kiel
stehen haben. Wir haben hier gemeinsam vieles zum ersten
Mal gemacht. Das prägt.
- Zebra:
-
Fühlen Sie sich jetzt als Auswanderer oder geht es nun
für Sie zurück in die Heimat?
- Stefan Lövgren:
-
Heimat ist da, wo man geboren ist oder die Eltern wohnten.
Das wird immer Heimat bleiben. In Schweden leben viele
Freunde, unsere Verwandte und die Familie. Ein Leben
mit Oma und Opa kann man einfach nicht ersetzen.
Deshalb ist es schön, zurückzukehren. Auf der
anderen Seite werden wir vieles vermissen.
Den Alltag, die Menschen, die man hier außerhalb
des Spielfeldes kennengelernt hat. Einfach
wird der Schritt nicht - besonders für die Kinder.
Aber ich hoffe, dass sie in Schweden schnell
neue Freunde finden.
- Zebra:
-
War die Rückkehr immer geplant?
- Stefan Lövgren:
-
Tatsächlich war das immer im Hinterkopf. Und jetzt kam eben das Jobangebot.
- Zebra:
-
Können Sie sich eine Zukunft als Bundesliga-Trainer vorstellen?
- Stefan Lövgren:
-
Eine Bundesliga-Mannschaft übernimmt man nicht einfach so. Da gehört
schon einiges dazu. Erst einmal kann ich mir aber eine Trainerkarriere
nicht vorstellen. Ich möchte einfach ein bisschen Abstand
vom Handball-Rhythmus haben. Aber ich bleibe dem Handball
ja als Lehrer und mit der Agentur treu .
- Zebra:
-
Was werden Sie an ihrem bisherigen Leben vermissen?
- Stefan Lövgren:
-
Ganz bestimmt nicht den Morgen nach dem Spiel, wenn der ganze
Körper schmerzt. Das Problem: Früher tat einem nach einem
Spiel auch alles weh, aber am nächsten Tag war man
wieder fit. In meinem jetzigen Alter braucht der
Körper aber drei Tage zur Regeneration - und dann
steht schon das nächste Spiel an. Mein Leben
ist perfekt - bis auf die Schmerzen.
- Zebra:
-
Ist der Rhythmus zu hart?
- Stefan Lövgren:
-
Die Jungs, die heute mit 20 Jahren zu einem Spitzenverein kommen,
werden auf keinen Fall solange spielen können wie ich.
Am Anfang meiner Karriere gab es zum Beispiel keine
Champions League. Dazu die Entwicklung mit der Schnellen
Mitte, alles ist härter geworden - die einzige Möglichkeit,
den Körper zu schonen, ist irgendwann der Nationalmannschaft
eine Absage zu erteilen oder zu einem Klub zu gehen, der
nicht im Europapokal spielt. Aber welcher Topspieler möchte das?
- Zebra:
-
Ist dann die Einführung neuer Wettbewerbe nicht Wahnsinn?
- Stefan Lövgren:
-
Alle verdienen damit ihr Geld. Solange der Handball sich nicht
andere Geldquellen erschließt, wird sich also nichts ändern.
Eine Lösung müssen alle Beteiligten gemeinsam entwickeln.
Der Handball muss aufpassen, dass er seine Stars nicht zu
früh verliert.
- Zebra:
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Wie meinen Sie das?
- Stefan Lövgren:
-
Früher haben nur ältere Spieler ihre Karriere in der
Nationalmannschaft beendet. Heute sagt ein Lijewski,
dass er so nicht mehr weitermachen kann. Wenn zwei
oder drei Stars das ebenso machen, profitiert niemand
mehr von der Nationalmannschaft. Soweit sind wir noch
nicht. Aber der Prozess hat begonnen. Die Spieler
werden ehrlicher. Sie wissen: Wenn sie keine internationale
Pause einlegen, gehen sie das Risiko, nicht mehr lange zu spielen.
- Zebra:
-
Meinen Sie, am Terminplan wird sich etwas ändern?
- Stefan Lövgren:
-
Leider nein. Wir diskutieren darüber schon sechs, sieben Jahre.
Solange sich die Spieler nicht organisieren, wird sich nichts ändern.
- Zebra:
-
Haben Sie persönliche Wünsche?
- Stefan Lövgren:
-
Natürlich wünscht man sich Gesundheit für die Familie, sich selbst
und die Mannschaftskollegen. Dann hoffe ich natürlich, dass
der Übergang von Deutschland nach Schweden unproblematisch
wird - besonders für die Familie. Und dann möchte ich noch einen Titel gewinnen.
- Zebra:
-
Welcher darf's denn sein?
- Stefan Lövgren:
-
Das kann man sich nicht aussuchen. Titel haben nicht nur mit Sport
zu tun. Das richtige Team muss zur richtigen Zeit das Richtige
tun, dazu braucht man dann auch noch Glück. Ich will aber
die Menschen auf dem Rathausplatz noch einmal feiern sehen!
(Das Gespräch führte Christian Robohm, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)