Aus dem offiziellen THW-Magazin "ZEBRA", von living sports:
Man stelle sich das einmal vor: Bundestrainer
Joachim Löw besucht mehr als zwei Jahre lang kein
Heimspiel des Branchenprimus'. Dabei verpasst er
nicht nur unzählige, spannende Matches zwischen
dem Aushängeschild der Sportart sowie internationalen
wie nationalen Topteams, sondern sieht auch nicht,
wie sich der Branchenprimus entwickelt.
Er sieht nicht, wie viel Geld in ein Ausbildungskonzept gesteckt wird,
das nun erste Früchte trägt. Er sieht nicht, wie sich einzelne
junge Spieler, die für Deutschland in den Länderspielen in
der Zukunft eine wichtige Rolle spielen könnten, nach ihrem
Wechsel zum Branchenprimus entwickeln. Und er verpasst die
Möglichkeit, mit den Vereinsverantwortlichen über Probleme
und Chancen zu sprechen, eventuelle Unstimmigkeiten durch
ein persönliches Gespräch aus der Welt zu räumen oder nach
einer gemeinsamen Lösung zu suchen. Im Fußball undenkbar. Im Handball nicht.
Abschied ohne Kiel-Besuch
Und so verabschiedet sich Bundestrainer Heiner Brand im Sommer von
seinem Amt, ohne das Herz des Handballs, die Sparkassen-Arena
in Kiel, in den vergangenen Jahren auch nur einmal betreten
zu haben. Er verabschiedet sich, ohne zu sehen, dass in
Kiel die Vorstellungen des HBL-Jugendzertifikates nicht
nur umgesetzt, sondern gelebt werden. Er geht, ohne die
Erfolge dieser Nachwuchsarbeit mit der Qualifikation für
die Jugend-Bundesliga zu würdigen. Brand nimmt seinen
Hut zwei Jahre vor Ablauf seines Bundestrainer-Vertrages
mit dem Deutschen Handballbund, ohne die Entwicklung von
Tobias Reichmann im Weltklasse-Kader der
Kieler auch nur einmal live in dessen neuem Wohnzimmer
beobachtet zu haben. Aber Brand geht nicht, ohne noch einmal
gegen den Branchenprimus und die stärkste Handball-Liga
der Welt kräftig auszuteilen: "Die über 14 Jahre dauernde mangelnde
Unterstützung der Bundesliga haben bei mir Narben hinterlassen",
sagte Brand in einem Interview mit dem Sport-Informations-Dienst
(SID) - um dann zu präzisieren: "Ich hatte ja nicht mit der
ganzen Liga Probleme, sondern mit einem bestimmten Kreis an
Vereinen und Entscheidern, auch aus der Ligaführung. Mit
Frank Bohmann beispielsweise, aber auch mit Vertretern aus Kiel,
Mannheim, Hamburg, Flensburg - den Branchenführern eben. Besonders
die drei Spitzenvereine sollten überlegen, ob sie nur Unternehmen
mit Sitz in Deutschland sind, oder ob sie etwas für den deutschen Handball
tun wollen."
Brand: "Ich bin kritikfähig."
Mit dem Rücktritt habe er schon vor
Weltmeisterschaft in Schweden
geliebäugelt, so Brand: "Angesichts der latenten Probleme mit einigen
Herrschaften aus der Liga habe ich eine zunehmende Frustration
verspürt und hinterfragt, welche Umstände dazu führen könnten,
mein Amt vor Ablauf der Vertragszeit abzugeben."
Er sei kritikfähig, unterstrich Brand in dem SID-Interview, "aber
es kommt schon darauf an, wer sie äußert - und wie. Gewissen
Kontroversen und Schein-Diskussionen muss ich mich nun wirklich
nicht mehr aussetzen. Man hat mir meine Aufgabe systematisch
verleidet." Er sei nicht müde gewesen, mit der Mannschaft
zu arbeiten, so Brand weiter. "Aber die Begleitumstände,
die Störfeuer und Missstände haben schon sehr gezehrt an
mir. Es drehte mir ständig den Magen um, wenn ich nur die
Zeitung morgens aufschlug und lesen musste, was gewisse
Vereinsvertreter nun schon wieder einfordern oder sonst
so von sich geben - aus reinem Eigeninteresse. Aber das Leben
besteht nun mal aus Kompromissen."
Neuer Posten für Brand
Jetzt wird Brand im Sommer auf einen für ihn neugeschaffenen
Posten wechseln: Der dann ehemalige Bundestrainer wird Manager des Deutschen
Handballbundes. Bis 2015 soll Brand sich unter anderem darum
bemühen, dass der Nachwuchs schneller und besser an internationales
Topniveau geführt wird. Zudem soll sich Brand auch um Sponsorenbetreuung
kümmern. "Es ist nicht meine Aufgabe oder mein Wille, in die Belange
des neuen Bundestrainers hereinzureden", stellte er klar. Am 31.
Juni ist Schluss - nach 14 Jahren, die vom Triumph bei der
Heim-Weltmeisterschaft 2007 gekrönt waren. Doch zuletzt
hatte die Nationalmannschaft bei großen Turnieren nicht mehr überzeugt - Tiefpunkt
war nun das schlechte Abschneiden bei der
WM in Schweden mit zum Teil
indiskutablen Leistungen der Mannschaft.
"Ich bin glücklich, dass es uns gelungen ist, Heiner Brand in einer
anderen Funktion einzubinden", sagte DHB-Präsident Ulrich
Strombach. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann reagierte
auf die "Brand"-Rede etwas distanzierter: "Dass ich die
Interessen der Vereine vertrete, kann er mir nicht absprechen.
Ich habe Heiner Brand aber nie in sportliche Dinge
reingeredet", so Bohmann. Er würde sich freuen, wenn Brand
die Vorwürfe präzisieren würde. "Dann könnte man darüber
sprechen." Traurig reagierte Kiels National-Linksaußen
Dominik Klein: "Die Nachricht vom Rücktritt ist
keine gute für mich, weil Heiner mir immer sein Vertrauen geschenkt
hat." "Die Entscheidung muss man akzeptieren, er kann auf sehr
erfolgreiche Jahre als Bundestrainer zurückblicken", sagte THW-Rechtsaußen
Christian Sprenger.
Ticket für Serbien soll gelöst werden
Nun wird Brand die DHB-Auswahl noch in den wichtigen EM-Qualifikationsspielen
am 8. Juni in Innsbruck gegen Österreich und vier Tage später
in Trier gegen Lettland betreuen - zum Abschied von Brand
wollen die Nationalspieler unbedigt das Ticket für die EM
2012 in Serbien lösen. "Ich danke Heiner, dass er sich im
Januar hat überreden lassen, die EM-Qualifikation zu Ende
zu spielen", erklärte DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier.
Am 1. Juli dann rückt der Noch-Bundestrainer auf einen
Manager-Posten - und vielleicht bleibt dann auch mal
die Zeit, in Kiel vorbeizuschauen. Ein Besuch in der
Welthauptstadt des Handballs lohnt sich immer .
(von Christian Robohm, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "ZEBRA", von living sports)