Von Dr. Oliver Schulz:
In diesem Jahr läutet der THW Kiel seine Saisonvorbereitung auf
einer Insel ein. Allerdings steht nicht etwa ein Kurztrainingslager
auf Norderney oder Mallorca auf dem Programm des deutschen
Rekordmeisters. Vielmehr fliegen die "Zebras" Mitte des Monats nach
La Reunion, die Heimat ihres Ausnahmekönners
Daniel Narcisse.
Am 20. Juli treffen sie in der Hauptstadt Saint-Denis auf die
"Kreopolitains", ein Team gebürtiger Insulaner, dessen große Mehrheit
ihren Lebensunterhalt jedoch in Frankreich verdient.
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Die Insel "La Reunion", Heimat von Daniel Narcisse,
liegt 800 Kilometer östlich von Magdagaskar im indischen Ozean.
Die Flugzeit von Paris beträgt ca. 11 Stunden.
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Die zu den Maskarenen gehörende, nahezu ovale Insel liegt etwa 800 Kilometer
östlich von Madagaskar und 200 Kilometer westlich von Mauritius. Als
Übersee-Departement 974 ist sie etwa so groß wie das Saarland und hat gut
800000 Einwohner. Fast 150000 von ihnen leben in der Hauptstadt Saint-Denis
ganz im Nordosten. Sie bezeichnen sich selbst als "Dionysiens" - auch die
Wurzeln von
Daniel Narcisse liegen hier. Bei der
Namensgebung des zehn Kilometer östlich liegenden Flughafens stand
Luftfahrtpionier Roland Garros Pate, der ebenfalls aus dieser Stadt stammte.
Der THW-Tross bricht am 14. Juli über Paris nach Saint-Denis auf und wird in
einem Hotel im Osten der Insel untergebracht. Der Tourismusverband IRT kümmert
sich um den deutschen Rekordmeister, während Veranstalter Dionysport für die
gegnerische Mannschaft sorgt. Man konnte Patrick Cazal gewinnen, die Zusammenstellung
und das Training der Inselauswahl zu übernehmen.
Cazal betreut "Kreopolitains"
Patrick Cazal, von 2002 bis 2005 Halbrechter in Diensten des TuSEM Essen,
stammt ebenfalls von La Reunion. Vor fast genau zwei Jahren hatte er im Beisein
zahlreicher Weggefährten auf der Insel das Ende seiner glanzvollen Spielerkarriere
gefeiert. Unter anderem standen
Daniel Narcisse,
Thierry Omeyer,
Jerome Fernandez
und
Nikola Karabatic auf der illustren Gästeliste.
Mittlerweile ist "Papat" Co-Trainer des französischen Erstligisten US Dunkerque
und dort keinen Deut weniger erfolgreich. Nach mehr als 40 Jahren Vereinsgeschichte
hatte er dem Klub von der Kanalküste soeben dessen erfolgreichste Spielzeit beschert:
der Pokalsieg war der erste Titel überhaupt, und als Meisterschaftsdritter nimmt
Dunkerque am Wildcard-Turnier teil, um sich für die Champions League
zu qualifizieren. Da wird Cazal bereits in einer neuen Rolle auftreten, nämlich der
des hauptverantwortlichen Trainers der "Nordistes".
Nach über zweijähriger Abwesenheit traf er bereits am 21. Juni in seiner Heimat ein,
um sich den Vorbereitungen des Handball-Leckerbissens, der Planung der neuen Saison
mit Dunkerque und nicht zuletzt ein paar Ferientagen im Kreise der Familie zu widmen.
Erst am 23. Juli steht seine Rückreise an die Kanalküste an. Nur zwei Tage später
beginnt Cazal dort mit der Saisonvorbereitung.
Improvisation ist gefragt
Der Weltmeister von 1995 und 2001 muss in Windeseile eine Auswahl von der Insel
stammender Akteure zusammenstellen, dabei die Sommerplanungen potentieller Kandidaten
berücksichtigen und auch noch auf mehrere Verletzte verzichten: Mittelmann Adrien
Claire (21) aus dem Nachwuchs des französischen Ligavierten Saint Raphael riss sich
neulich das Kreuzband im rechten Knie, während sich der nur ein Jahr ältere Halbrechte
Yannick Palma aus dem Perspektivkader Chamberys einen Fuß brach. Zudem bereitet sich
der in Kürze 21-jährige Linksaußen von Paris HB, Jeffrey M'Tima, zeitgleich mit der
französischen Junioren-Nationalmannschaft auf die WM in Griechenland vor.
Nur gut dass Cazal, der als Hobby Poker angibt, wenigstens auf eine Reihe verbleibender
einheimischer Spieler zurückgreifen kann, die in der ersten und zweiten französischen
Liga tätig sind. So ist mit Nicolas Claire (24) - Kapitän bzw. Regisseur von Paris HB
und älterer Bruder des verletzten Adrien Claire - ebenso zu rechnen wie mit dem Balinger
Halblinken Johan Boisedu, St. Cyrs Linksaußen Christophe Spincer, den beiden Spielmachern
Adriano Marlin (Semur) und Christophe Quive (Pontault-Combault) sowie Creteils Rechtsaußen
Bruno Arive, einem Cousin des ebenfalls von La Reunion stammenden Jackson Richardson.
Cazal fehlten zuletzt noch ein Torhüter bzw. ein Kreisläufer.
"Das ist ein echtes Geschenk, gleichzeitig ist aber auch ein Riesenberg zu erklimmen.
Kiel ist eine der besten Mannschaften Europas. Sie sind ständig beim Final Four der
Champions League dabei. Es sind alles Ausnahmespieler, angeführt von
Daniel Narcisse. Auf La Reunion haben wir eine kleine Chance,
denn da sind sie noch ganz am Anfang ihrer Vorbereitungen", erläuterte Cazal dem Portal
clicanoo.re die Partie gegen die Zebras.
Nach Fußball nun Handball im "Stade Jean Ivoula"
In der 7500 Zuschauern Platz bietenden Arena "Stade Jean Ivoula" in der Hauptstadt
finden hauptsächlich Fußballveranstaltungen statt. Sie beherbergt allerdings auch
die Halle "Petit Stade de l'Est", die in den Tagen vor dem Kräftemessen für die
"Kreopolitains" und den THW reserviert ist. Dort können die Zuschauer den deutschen
Giganten am Mittwoch, 20. Juli um 20 Uhr zum Einheitspreis von fünf Euro in Augenschein
nehmen.
Das 2009 gegründete Unternehmen Dionysport organisiert die Partie in Zusammenarbeit
mit dem Tourismusverband IRT der Insel. Es hat es sich zum Ziel gesetzt,
Sportveranstaltungen in dieser Region des Indischen Ozeans zu promoten. Neben der
Förderung und Begleitung junger Talente zu Beginn ihrer Karriere steht auch die
Planung der Zeit nach ihrer aktiven Laufbahn im Blickpunkt.
Am 12. Juni richtete Dionysport im Stade Jean Ivoula ein Fußballspiel um die "Trophee
de la Ville de Saint-Denis" aus. Ein von La Reunion stammendes Team international
tätiger Spieler maß sich mit der Nachwuchsmannschaft Südafrikas. Nur einen Monat
später landet mit dem THW das Zugpferd des europäischen Handballs schlechthin auf
der Insel, zumal der deutsche Rekordmeister mit Daniel Narcisse
auch noch den ersten Olympiasieger von La Reunion in seinen Reihen hat.
Narcisse Ehrenbürger und Namensgeber einer Halle von La Possession
Vor dem Spiel sind mindestens zwei öffentliche Trainings in der Halle "Complexe
Sportif
Daniel Narcisse" in der unweit westlich von
Saint-Denis gelegenen Kleinstadt La Possession vorgesehen. Die Halle war Anfang
Juli 2009 mit einem Handballspiel eines Inselteams gegen China feierlich neu
eingeweiht worden. Vorher als "Gymnase de Moulin Joli" bekannt, erinnert sie
seitdem an das Kieler Sprungwunder. Kurz zuvor war
Narcisse
bereits zum Ehrenbürger von La Possession ernannt worden.
Inselmeister JSB feiert parallel Jubiläum
Ende Mai gelang es dem Verein Jeunesse Sportive Benedictine (JSB), seinen Titel
als Meister von La Reunion zu verteidigen. Insgesamt sicherte sich das Team von
Trainer Fernand Chane-Kune damit schon zum siebten Mal diesen Pokal. In den Tagen
unmittelbar vor dem Spiel des THW feiert der Klub aus Saint-Benoit sein 40-jähriges
Bestehen mit einer Reihe von Freundschaftsspielen. Vielleicht können sich die
"Kreopolitains" gegen den Inselmeister den letzten Schliff holen.
(Dr. Oliver Schulz)