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Interview mit Andreas Rastner:

[Bild: Andreas Rastner] Er gilt als der Wandervogel im deutschen Handball-Zirkus, als einer der immer gern gegen den Strom schwimmt. Von München trieb es ihn nach der Wiedervereinigung als ersten Wessi in den Osten, er ging zum SC Magdeburg. Später wechselte er dann in die spanische Liga zu Caja Cantabria Santander. Seine Leistungen haben stets gestimmt, doch in Spanien konnte er sich erst so recht ins sportliche Rampenlicht rücken. Ihm, der nie auch nur ein Spiel für die deutsche Nationalmannschaft absolvierte, wurde nahegelegt, sich in Spanien einbürgern zu lassen, um in der Auswahl neben Welthandballer Talant Duishebaew und dem Schwiegersohn des spanischen Königs, Inaki Urdangarin den Ruhm der spanischen Handballer zu mehren. Mittlerweile glaubt er von sich selbst, daß keinem anderen Handballer Deutschlands die Frage öfter gestellt werde, warum er denn noch nicht in das Trikot unserer Nationalmannschaft geschlüpft sei. Ihn selbst ehre das zwar, aber er lasse die Dinge locker auf sich zukommen. Seit dieser Saison ist Andreas Rastner ein Kieler Zebra. Im letzten Jahr gewann er noch mit Caja Cantabria Santander den Europapokal der Pokalsieger, jetzt sucht der 29-jährige in der Champions League noch einmal die ganz große Herausforderung. Hallenheft-Redakteur Sascha Klahn traf unsere neue Nummer achtzehn zu einem Gespräch.
Zebra:
Andreas, in Santander hattest Du alles, was das Herz begehrt: Sonne, Meer, Erfolg. Warum hast Du Dich bereits nach einem Jahr schon wieder für den THW Kiel entschieden?
Rastner:
Du lebst in diesem Job von der Sprache. Mit Sicherheit hätte es noch vier oder fünf Jahr gedauert, bis ich perfekt Spanisch gesprochen hätte. Am liebsten wäre ich da unten geblieben. Aber perspektivisch ist Kiel einfach eine Riesensache, sportlich braucht man nicht darüber diskutieren.
Zebra:
Die Mannschaft ist sehr gut besetzt, die Konkurrenz stark.
Rastner:
Daß es Konkurrenz gibt, weiß man vorher. Wenn man zusammen gewinnt, kann man das aber gut akzeptieren.
Zebra:
Was war noch mit ausschlaggebend für Kiel? Du bist gelernter Redakteur, denkst Du auch an die berufliche Zukunft über den Handball hinau? In Spanien war es ja nicht gern gesehen, neben dem Sport noch einem weiteren Beruf hinterherzugehen.
Rastner:
In Spanien bist Du, vor allen Dingen auch als Ausländer, absoluter Handballprofi. Hier in Kiel dagegen habe ich eine weitere berufliche Perpektive nach dem Handball, die ich allerdings schon jetzt parallel dazu verfolgen kann. Das, was ich gelernt habe, möchte ich ausbauen.
Zebra:
Da trifft es sich gut, daß der THW eine Medienpartnerschaft mit dem NDR eingegangen ist?
Rastner:
Das ist ganz klar. Ich hoffe, daß sich da etwas ergibt. Der Stempel von ganz oben fehlt allerdings noch. Ich möchte als Redakteur auch mal ein bißchen weg vom Sport, mal etwas anderes machen. Ich bin hier um zu lernen, und dafür möchte ich jede freie Minute nutzen.
Zebra:
Und wie lange wirst Du noch Handball spielen? Bei den beruflichen Perspektiven, wirst Du Deine Karriere vielleicht irgendwann in Kiel beenden?
Rastner:
Ich spiele solange Handball, wie ich noch geradeaus laufen kann, so lange es noch Spaß macht. Es hat sich alles verschoben. Früher bist Du mit dreißig in Rente gegangen, wenn Du heute diszipliniert und konsequent arbeitest, kannst Du mit 35-36 immer noch Top-Leistungen bringen. Ich habe mich immer auf den Verein konzentriert, bei dem ich unter Vertrag stand, so gut wie möglich meine Leistungen zu bringen. Jetzt bin ich zum THW gewechselt, weil die Umstände so waren, daß man sich Gedanken mache durfte oder mußte.
Zebra:
Eigentlich wolltest Du Santander nicht verlassen...
Rastner:
Ich habe mich dort sauwohl gefühlt, sowohl sportlich als auch mannschaftlich. Ich wurde zu Spaniens bestem Kreisläufer und zum zweitbesten Ausländer in der spanischen Liga gewählt. Wenn es nicht der THW gewesen wäre, dann wäre ich dort geblieben.
Zebra:
Und Du bist also trotz des wesentlich schlechteren Wetters nach Kiel gekommen. Wie wohl fühlst Du Dich schon hier? Oder hast Du Probleme mit der norddeutschen Mentalität?
Rastner:
Es sind zwei Extreme, was das Wetter angeht. Gott sei Dank, ist das Meer in der Nähe. Aber ich habe mich immer dort wohlgefühlt, wo ich gespielt habe. Jetzt muß man sich neue Freunde schaffen und sein Umfeld aufbauen. Ich bin da sehr anpassungsfähig und flexibel. Ich habe es auch geschafft, mich von der ostdeutschen Mentalität auf die spanische umzustellen. Mit der den norddeutschen nachgesagten Dickköpfigkeit habe ich keine Probleme, das ist in der bayrischen Mentalität ähnlich. Wenn sich dann aber jemand öffnet, dann währt es lange. Mir sind solche tiefen Freundschaften wesentlich lieber als oberflächliche.
Zebra:
Du bist als jemand bekannt und betitelt, der gern gegen den Strom schwimmt.
Rastner:
Wenn jemand gegen den Strom schwimmt, klingt es für mich so nach Querulant. So ist es bei mir nicht. Es hat sich halt immer so ergeben. Letztlich war es auch nie ein Abstieg, sondern ein ständiger Aufstieg, eine Verbesserung. Ich habe immer das gemacht, was gut für die Familie ist. Und von Santander nach Kiel zu gehen, hat alles nochmal getoppt.
Zebra:
Und nun spielst Du beim Deutschen Meister in der vermeindlich stärksten Liga der Welt...
Rastner:
Die Leistungsdichte ist sehr hoch. Die Bundesliga ist die ausgeglichenste Liga der Welt, mit der besten Liga der Welt tue ich mich ein bißchen schwer. Die Stärke spiegelt sich in internationalen Titeln wieder, und da ist die spanische Liga den deutschen Mannschaften immer etwas voraus. Barcelona gibt international den Ton an, und dann sind da auch noch Santander und Irun. Kiel ist neben Zagreb und Zelje noch einer der nächstens Klubs.
Zebra:
Wie schätzt Du die Chancen des THW in der Champions League ein?
Rastner:
Über das Abschneiden in der Champions League ist es schwierig, etwas zu sagen. An der Motivation scheitert es nicht. Solch eine Chance für diese Mannschaft ist eine der letzten Chancen, da die Truppe vom Grundgerüst nicht mehr allzu lange Bestand haben wird. Ich bin zufrieden, wenn das Halbfinale geschafft ist. Diskutieren, warum es eventuell nicht geklappt hat, kann man hinterher. Ich hoffe nur, wenn wir irgendwann ausscheiden sollten, daß die anderen dann wirklich besser waren. Darüber hinaus dürfen wir in der Meisterschaft nicht den Anschluß verschlafen.
Zebra:
Wo liegen für Dich die Prioritäten?
Rastner:
Wir müssen versuchen, das Leistungsniveau aus dem letzten Jahr zu halten. Ich bin noch nie Deutscher Meister gewesen. Das würde sich im Lebenslauf auch ganz gut machen. Das andere habe ich ja schon genießen dürfen. Die Deutsche Meisterschaft ist nochmal ein großes persönliches Ziel. Das war natürlich auch mit ein Grund, zum THW zu kommen. Hier sind die Möglichkeiten höher als woanders.
Zebra:
Bis jetzt läuft ja alles ganz ordentlich an. Zufrieden mit dem Einstand?
Rastner:
Bisher war der Erwartungsdruck immer groß. Jetz hat man schon mal drei Spiele, drei Siege, die auch fürs Selbstbewußtsein ganz gut sind. Wir dürfen nur keine Fehler machen gegen vermeindlich schwächere Mannschaften. Die einzige Gefahr, die ich sehe, ist, daß wir nicht konzentriert bei der Sache sind. Wenn es aber läuft, dann sollten zumindest die Heimspiele eine klare Sache sein, dann ist es für die Gegner unmöglich, hier in der Ostseehalle was zu holen.
Zebra:
Wo liegen denn im alltäglichen Handballspielen die Unterschiede zwischen der spanischen und der Bundesliga?
Rastner:
Es ist ein Quantensprung von der Art und Weise, Handball zu spielen. In Spanien wird technischer Handball gespielt, schneller und nicht so kraftbetont. In der Bundesliga lebt man von der starken Physis. Es ist eine andere Sicht, Handball zu spielen. Es ist wichtig, um in vielen Wettbewerben etwas zu erreichen, sonst geht einem im Halbfinale die Luft aus.
Zebra:
Was bedeutet das für Dich als Kreisläufer?
Rastner:
Als Kreisläufer ist man an jedem Spielzug beteiligt. Man muß Spielzüge büffeln, damit blindes Verständnis entsteht. Das kostet Blut und Schweiß.
Zebra:
Als Kreisläufer bist Du der Arbeiter in der gegnerischen Abwehr, mußt am Kreis am meisten einstecken.
Rastner:
Du bist immer auf Tuchfühlung mit dem Gegner, ein recht undankbarer Job. Fürs Publikum ist es nicht immer sichtbar, wenn es belohnt wird, daß der Rückraum frei schießen kann. Es zählt hauptsächlich, viele Tore zu schießen. Man kann es aber schwieriger verkaufen, als es ist. Auf die Mütze krieg ich öfter richtig. Die Frage ist nur, ob es was ausmacht oder ob man sich es anmerken läßt. Zum Glück bin ich von Verletzungen am Knie verschont geblieben. Gebrochen hatte ich zwar schon einiges, aber das wächst ja ratz fatz wieder zusammen.
Zebra:
Jetzt hast Du die Zuschauer auf Deiner Seite. Was ist das für ein Gefühl, über 7.000 Leute im Rücken zu haben?
Rastner:
Es ist ein Umdenkungsprozeß. Ich habe acht Jahre lang hier gespielt und bin immer als Verlierer aus der Ostseehalle gegangen, da habe ich nicht so gute Erinnerungen. Bisher habe ich außerdem immer in der Halle trainiert, wo wir auch gespielt haben. Die Umstellung ist schon groß, der Bezug zur Halle ist noch nicht da. Um das zu beschleunigen, lebst Du von der Stimmung des Publikums. Die war im ersten Spiel sensationell. Der Torjubel ist das Geilste. Dann ist die Ostseehalle das Beste, was Dir passieren kann.
Zebra:
Was macht das gute Publikum aus?
Rastner:
Wenn die Mannschaft erfolgreich spielt, kann sie auch in einer leeren Halle spielen. Wenn sie den Rhytmus aber nicht findet, dann hilft das Publikum ungemein. Da zeigt sich die Stärke des Publikums. Wenn in Santander Stille herrschte, dann habe ich die Jungs aufgeweckt. Aber hier muß ich mich erstmal zu Anfang umschauen. Aber ich bin schon eher der Typ, der dann das Publikum animieren möchte. Man lebt ja auch vom Heimvorteil, der dann ausgenutzt werden sollte.
Zebra:
Die Ostseehalle ist eine Festung, die Liga-Konkurrenz setzt den THW nach ganz oben auf die Favoritenliste. Wie gehst Du damit um?
Rastner:
Es ist schön, wenn die anderen Respekt zeigen, andererseits kannst Du auch schnell zur Lachnummer der Nation werden. Der Erfolgsdruck darf nicht lähmen, sondern muß auch beflügeln können. Im Prinzip können wir nur verlieren. Die erneuten Titel sind zwar alle möglich, doch die Wahrscheinlichkeit ist eher klein, wenn man mal ehrlich ist.
Zebra:
Was ist Dein persönliches Saisonziel?
Rastner:
Wenn man mit sich selbst im Reinen ist, wenn man die Erwartungen an sich selbst erfüllt, dann kann man beruhigt einen Schlußstrich unter die Saison ziehen. Hier in Kiel sind andere Maßstäbe, hier ist der Druck auf mehrere Schultern verteilt. Jeder ist ein wichtiges Mosaiksteinchen. Es ist eine rein psychologische Sache.
(17.10.98)
Interview: Sascha Klahn, entnommen dem THW-Hallenheft "Zebra".

Mehr Infos über Andreas Rastner unter Spielerporträt Andreas Rastner.