Interviews mit Henning Siemens:
Er war aufgrund seiner herzlichen und offenen Art in Kiel sehr beliebt.
Darüber hinaus gewann er mit dem THW jeweils zweimal die deutsche
Meisterschaft und den DHB-Pokal, den Europapokal und den Supercup.
Am 19.12.99 betrat Henning Siemens dann erneut das Parkett der Kieler Ostseehalle;
nur trug er nun das Trikot des TV Großwallstadt. Sechs Monate nach seinem
Abschied sprach Zebra mit dem 25-jährigen Linkshänder über Gegenwart und
Vergangenheit.
- Zebra:
- Heute kehrst du in die Ostseehalle zurück, an die Stätte also, an
der du deine größten Erfolge gefeiert hast. Was überwiegt denn vor dem Spiel,
die Vorfreude oder die Nervosität ?
- Siemens:
- Gerade weil ich mich in Kiel und in der Ostseehalle immer sehr wohl
gefühlt habe, freue ich mich ganz besonders auf dieses Spiel.
Nervös bin ich nicht, denn bereits mit Düsseldorf habe ich gegen den
THW immer ganz gut gespielt. Ich hoffe, dass mir das heute wieder gelingt.
- Zebra:
- Während du es beim THW hinter
Staffan Olsson schwer hattest, genügend
Spielanteile zu bekommen, läuft es in Großwallstadt momentan ziemlich rund
für dich. Das müsste deinen Wechsel doch eigentlich bestätigen.
- Siemens:
- Ja, das stimmt. Im rechten
Rückraum wechsele ich mich mit Jörg
Kunze ab, spiele dennoch häufig und
komme beim TVG glücklicherweise auch in der Deckung zum Einsatz.
- Zebra:
- Ist das auch ein Grund dafür, warum du zum Beispiel in den
Spielen gegen Nettelstedt und Wuppertal jeweils sechsmal getroffen hast?
- Siemens:
- Ja, natürlich. Durch das Deckungsspiel habe ich insgesamt mehr
Bindung zum Spiel, auch im Angriff. Außerdem besitzen wir mit
Jackson Richardson einen Weltklasse-Mittelmann, der uns immer wieder
gut in Szene setzt. Dadurch bieten sich automatisch mehr Torgelegenheiten.
- Zebra:
- Richardson war ja nun gerade lange verletzt. Wie erklärst du dir
dennoch eure Erfolgsserie ?
- Siemens:
- Das lag daran, dass ihn Joachim Boldsen und Jörg Kunze auf
dieser Position so gut ersetzt haben. Vier der letzten sechs
Spiele konnten wir somit ohne Jackson gewinnen. Ich glaube,
damit haben wir viele Leute überrascht.
- Zebra:
- Fiel dir der Umzug nach Großwallstadt aus privater Sicht sehr schwer?
- Siemens:
- Da ich mir in Kiel einen großen Freundeskreis aufgebaut hatte
und in einer Super-WG wohnte, war der Abschied nicht ganz so spaßig.
Vom TVG bin jedoch so gut aufgenommen worden, so dass ich mich gut einleben
konnte und mit der Mannschaft viel Spaß habe. Außerdem wohnt meine
Freundin nur zwei Stunden entfernt und ab und an bekomme ich sogar
Besuch aus Kiel.
- Zebra:
- Während der letzten Meisterfeier hast du mit
Martin Schmidt auf
der Rathausbühne eine grandiose Show geliefert. Wie wär es nach der
Handballkarriere mit einem Wechsel in die Comedy-Branche?
- Siemens:
-
Martin und ich wurden tatsächlich gefragt, ob wir so etwas nicht
öfter machen wollen. War wohl auch ein kleiner Witz von denen.
Meine Zukunftspläne sehen anders aus. Ich habe mein BWL-Studium an der
Fachhochschule Aschaffenburg fortgesetzt und will möglichst schnell
das Vordiplom hinter mich bringen.
(19.12.99)
Interview entnommen dem THW-Magazin "Zebra".
Hallenheft-Redakteur Sascha Klahn führte dieses Interview
vor dem Spiel gegen Eisenach, nachdem klar war,
daß
Henning nächste Saison in Großwallstadt spielt.
- Zebra:
-
Henning,
wie ist zur Zeit die Stimmung in der Mannschaft? Glaubt Ihr
selbst noch daran, Deutscher Meister werden zu können?
- Siemens:
- Ich denke,
es wird schwierig, noch Deutscher Meister zu werden, wenn man sieht, mit
welcher Konstanz Flensburg-Handewitt zur Zeit spielt. Es ist bei denen so,
wie bei uns im letzten Jahr, daß sie einen Lauf haben. Es wird sehr
wahrscheinlich schwierig, daran in den jetzt noch verbleibenden Spielen
etwas zu ändern. Aber ich denke, daß es jetzt wichtig für uns ist, noch den
zweiten Platz zu holen, falls es wirklich noch zu einer Aufstockung der
Champions League kommen sollte. So sind der erste und der zweite Platz sehr
wichtig, auch für den THW, um im nächsten Jahr international dabei zu sein,
weil man nicht davon ausgehen kann, daß man jetzt beim Final Four-Turnier
den Pokal schon sicher in den Händen hält.
- Zebra:
- Der EHF-Cup ist nun Euer
Ziel...
- Siemens:
- Natürlich ist es
immer ein Ziel für eine Mannschaft,
möglichst weit oben zu stehen. Die Chancen, den TBV Lemgo noch zu überholen,
schätze ich größer ein, die Flensburger zu erreichen wird dagegen schwierig.
Nicht nur der Punktestand spricht dafür, auch die zuletzt gezeigten
Leistungen, die Flensburger treten momentan schon sehr überzeugend auf.
- Zebra:
-
Momentan wird eine Reform des Europapokals diskutiert. Auch Euer
Trainer hat sich in diesem Zusammenhang zu Wort gemeldet. Der City-Cup
sollte unter Umständen ganz gestrichen werden, was hälst Du von diesen
Plänen?
- Siemens:
-
Die Wertigkeit des City-Cups wurde bereits des Öfteren in
Frage gestellt, ich persönlich habe noch nicht in diesem europäischen
Wettbewerb gespielt. Für Mannschaften, die nicht ganz vorne in der
Bundesliga mitspielen, bedeutet der City-Cup natürlich eine zusätzliche
Einnahmequelle. Unabhängig von der Wertigkeit dieses Pokals kann ich mir
vorstellen, daß Widerstand von den betroffenen Mannschaften kommt.
- Zebra:
-
Der Gegner heute Abend ist der ThSV Eisenach. Das Hinspiel habt Ihr leider
verloren. Wie schätzt Du den Gegner ein?
- Siemens:
- Die bisher gezeigten
Leistungen der Eisenacher haben gezeigt, daß sie eine Heimmannschaft sind.
Auswärts waren sie weniger erfolgreich, die letzten beiden Auswärtsspiele in
Bad Schwartau und Nettelstedt haben Sie jedoch nicht verloren. Trotz der
jüngsten Erfolge gehe ich aber davon aus, daß wir heute Abend gewinnen
werden und an Flensburg und Lemgo dranbleiben.
- Zebra:
- Zum Final Four in
Hamburg am kommenden Wochenende. Seit ihr gedanklich schon bei der
Pokalendrunde und was habt Ihr Euch dort vorgenommen?
- Siemens:
- Gerade
aufgrund der Erlebnisse im letzten Jahr ist es für uns nochmal etwas, wo wir
uns beweisen können, daß wir unter diesen vier Mannschaften bestehen können.
Darauf freuen wir uns. Natürlich sind dazu zwei gute Tage nötig. Letztes
Jahr hatten wir schon gegen Schutterwald Probleme, gegen die wir nur mit
vier Toren Unterschied gewonnen haben. Den Tag danach hatten wir einen
Sahnetag und haben 30:15 gegen Niederwürzbach gewonnen. Wäre am ersten Tag
ein anderer Gegner als Schutterwald gegen uns angetreten, dann, glaube ich,
hätten wir arge Probleme bekommen, wenn wir nicht sogar im Halbfinale
ausgeschieden wären. Das ist immer so ein Vabanquespiel. Daher müssen wir
auch in der Meisterschaft hochkonzentriert bleiben, denn daß wir den Pokal
holen, ist noch nicht sicher.
- Zebra:
- Wie wichtig ist es, daß das Endspiel
fast nebenan in Hamburg ist. Letztes Jahr war die Halle fest in den Händen
der Kieler Fans.
- Siemens:
-
Das Problem ist immer die Ticketverteilung. Nach
dem Ausscheiden zweier Mannschaften im Halbfinale werden wieder mehrere
Tickets gehandelt werden. Viele Fanclubs der ausgeschiedenen Mannschaften
werden wieder nach Hause fahren. Wer sich dann die freien Tickets ergattert,
bleibt abzuwarten. Wenn Kiel tatsächlich ins Finale kommen sollte, dann
liegen die Chancen natürlich eher bei den THW-Fans, weil sie einfach
geographisch viel dichter dran sind und dann direkt nach Teilfinalende Karten
für Freunde besorgen werden und diese anrufen, ob sie nächsten Tag mit nach
Hamburg kommen wollen. Es ist natürlich bei so einem Andrang und so einer
Beteiligung zu überlegen, ob man nicht eine etwas größere Halle umziehen
sollte. Und wenn es halt nicht Kiel ist, dann vielleicht das Stadion am
Hamburger Rothenbaum. Das wäre sicherlich eine würdige Kulisse für so ein
Final-Four-Turnier.
- Zebra:
- Gibt es in der diesjährigen Endrunde einen
Favoriten für Dich, oder sind alle Mannschaften wirklich gleichmäßig stark
besetzt?
- Siemens:
-
Gerade im Pokal kann man das nie so ganz sagen. Es ist
weder Heim- noch Auswärtsspiel, die Tickets sind gleich verteilt. Alle
Mannschaften haben ungefähr das Gleiche zu bieten und mußten alle einen
schweren Weg gehen, um dahin zu kommen. Von den Namen und von den
Aufstellungen her ist es sicher eines der besten Pokalfinals der letzten
Jahre. Ich denke, man kann an beiden Tagen einiges erwarten.
- Zebra:
- Was
bedeutet es für Dich, noch einmal mit dem THW in der Pokalendrunde zu
stehen?
- Siemens:
-
Ich hatte auf jeden Fall vorher, mich mit einem Titel hier
zu verabschieden. Wenn es schon nicht die Meisterschaft ist, dann soll es
wenigstens der Pokal sein. Wenn ich dann vielleicht zwei Jahre
hintereinander den Pokal gewinne - man weiß auch nicht, wie es im nächsten
Jahr mit dem TV Großwallstadt aussieht - dann ist das auch was sehr Schönes.
- Zebra:
- Du hast es angesprochen.
Was wird sich für Dich ändern, wenn Du aus
Kiel zum TVG gehst?
- Siemens:
-
In erster Linie geht es mir darum, daß ich
wieder spiele, daß ich für mich persönlich weiterkomme. Die zwei Jahre hier
in Kiel sind für mich nicht optimal gelaufen, aber ich denke schon, daß ich
Handball spielen kann, daß ich in der ersten Liga bestehen kann, gerade im
Angriff, und ich hoffe darauf, beim TV Großwallstadt mehr Einsatzzeiten zu
bekommen. Ich möchte mich durch Leistung empfehlen.
- Zebra:
- Was nimmst Du
Positives mit aus Kiel?
- Siemens:
-
Auf jeden Fall die Professionalität, die
einem hier angeeignet wurde, mit der man an den Handball herangeht. Dann
natürlich auch, körperlich mehr Substanz zu haben, im Taktischen und im
Spielerischen etwas zugelegt zu haben. Und dann die Hoffnung, nochmal
Meister zu werden. Wenn man das einmal erlebt hat, dann ist man hungrig nach
mehreren Titeln. Und natürlich einmal mit so einer Mannschaft gespielt zu
haben, das kann einem auch keiner mehr nehmen - geschweige denn die drei
Titel.
- Zebra:
-
Ist die Nationalmannschaft für Dich noch ein Thema?
- Siemens:
-
Gerade aufgrund des ähnlichen Spielertypus von Volker Zerbe und mir, gehe
ich im Moment nicht davon aus, daß ich bei der WM in Ägypten dabei sein
werde.
- Zebra:
-
Wird es Dich im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Sydney
weiterbringen, wenn Du im nächsten Jahr mehr Spielanteile erhältst? Volker
Zerbe wird auch nicht jünger...
- Siemens:
-
Es ist natürlich ein Ziel von mir,
mich für die Olympiade zu empfehlen. Sydney 2000 war auch in den letzten
Jahren schon ein Ziel für mich, weil ich immer mal dabei war und dann wieder
nicht. Ich habe immer gehofft, irgendwann fest hineinzurutschen. Sydney 2000
wäre schon ein Traum von mir.
- Zebra:
- Wie schätzt Du die Medaillenchancen
der Nationalmannschaft bei der WM oder auch bei den Olympischen Spielen ein?
- Siemens:
-
Wollen und hinterher realisieren sind immer zwei Paar Schuhe. Aber
die deutsche Nationalmannschaft hat soviel an Erfahrung gewonnen, daß sie an
guten Tagen mit anderen starken Mannschaften wie z.B. Rußland mithalten
kann. Rußland ist auch nicht mehr die Übermacht, die sie früher einmal
waren. Auch die anderen mannschaften sind nicht so souverän, daß man sagen
kann, hier kann man eindeutig einen Favoriten ausmachen.
- Zebra:
-
Ausländische Stars dominieren die Handball-Bundesliga. Für den deutschen
Nachwuchs wird es immer schwerer. Wie war es für Dich persönlich. Hattest Du
es dadurch schwerer oder hast Du von Deinen ausländischen Mitspielern in
ersten Linie profitiert?
- Siemens:
-
Ich habe mit 21 Jahren in Düsseldorf in
der ersten Liga angefangen und hatte dann ïGlückû, daß sich mein Vordermann
verletzte. Für meine individuelle Entwicklung war es Glück. Ich war Knall
auf Fall erster Mann in der ersten Liga. Ich habe eine sehr gute Saison
gespielt und konnte sehen, daß ich damals schon mit 120 Toren im Angriff
durchaus mithalten konnte. Das war das, woraus man sein Ego ziehen konnte,
auch in den Zeiten, wo man abgestiegen war und ein Jahr in der zweiten Liga
spielte.
- Zebra:
-
Abseits vom Handball: Du studierst BWL und hast Dein
Grundstudium bald beendet. Wie geht es dann für Dich weiter?
- Siemens:
- Ziel
ist es, möglichst schnell mein Studium zu beenden. Allzu viel Eile hat man
nicht als Handballer, wenn man soviel eingespannt ist.
- Zebra:
- Bleibt der
Kontakt zu Kiel weiter erhalten?
- Siemens:
-
Auf jeden Fall. Wenn ich nicht
schon die Mannschaft vermissen würde, dann würde ich das Umfeld vermissen,
die Kontakte und Freundschaften, die ich hier gewonnen und gepflegt habe.
- Zebra:
-
Das heißt, man wird Dich auch in Zukunft des Öfteren in der
Ostseehalle antreffen?
- Siemens:
-
Wenn die Zeit bleibt, dann ja.
(14.04.99)
Interview: Sascha Klahn, entnommen dem THW-Hallenheft "Zebra".
Mehr Infos über Henning Siemens unter
Spielerporträt Henning Siemens.