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04.02.2013 Geschichte

Zebra-Journal: Hinrichs - der erste Ausländer

Meister-Torwart von 1957 blickt zurück

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013:

Hans-Jürgen Hinrichs stand im THW-Tor,  als die "Zebras" 1957 im Finale FA Göppingen 7:5 besiegten und erstmals Meister wurden.
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Eine Ewigkeit ist das her. Vor über einem halben Jahrhundert, in der Saison 1957/58, verließ Hans-Jürgen Hinrichs den THW Kiel Richtung VfL Wolfsburg. Aber den "Zebras" fühlt sich der ehemalige Torwart bis heute verbunden. Wenn die große Mannschaft dieser Tage sich im Fernsehen präsentiert, schaltet Hinrichs ein. "Das Heimspiel des THW gegen Atletico Madrid habe ich mir angesehen", erzählt Hinrichs. Welche stürmische Entwicklung diese Sportart genommen hat, fasziniert ihn. "Früher war das ein völlig anderer Sport", sagt der 79-Jährige.
An seine Zeit beim THW denkt Hinrichs gern zurück. Hat er hier doch mit Maria (THW-Mitglied seit ihrem 5. Lebensjahr!) die Liebe seines Lebens kennengelernt. Kiel war also ein Markstein seines Lebens. Gleichzeitig waren seine Leistungen im Gehäuse die Basis für einen Meilenstein in der Klubgeschichte: den ersten Titel im Hallenhandball 1957 (siehe Saison 56/57).

"Hein Dahlingers Superform und Jürgen Hinrichs geistige Arbeit im Tor mit der unüberbietbaren Torkreissicherung", rühmte die Deutsche Handball-Woche auch den Torwart, als der THW im Endspiel in der Ostseehalle gegen Frisch Auf Göppingen (7:5) gesiegt hatte. "Jürgen Hinrichs in Hochform", jubelten die Kieler Nachrichten. Im Finale vereitelte er den Spezialtrick der Göppinger, den Kempa-Trick - indem er, ausgestattet mit enormer Sprungkraft, den Pass im Torraum eigenhändig abfing.

Der damals 24-Jährige schien schon seinen Hafen gefunden zu haben nach turbulenten Jahren. Hinrichs hatte zu den ersten Flüchtlingen des Sports gezählt. Geboren in Mecklenburg, hatte in Rostock seine sportliche Karriere begonnen; 1950 war er DDR-Jugendmeister im Hochsprung und Meister im Feldhandball, weitere Titel im Juniorenbereich folgten. 1953 dann die Flucht. Zunächst landete er in Kassel, bis er 1954 zum THW Kiel wechselte.

Das war eine Zäsur für ihn, aber auch für den THW Kiel. "Heute besteht das Team aus Profis aus aller Welt, aber damals war ich der einzige Nicht-Kieler", erzählt Hinrichs, was keineswegs vorwurfsvoll klingt, sondern eher erstaunt. Als das Team 1957 die Meisterschaft holte, stammten zehn der zwölf eingesetzten Spieler aus der gerühmten Hasseer Schule - dazu kamen Hansi Lietz (PSV Kiel) und eben Hinrichs. Damals konnte sich der Student der Betriebswirtschaft kaum vorstellen, die Landeshauptstadt wieder zu verlassen. "Was der Beruf nach hoffentlich bestandenem Examen allerdings bringt, ist heute natürlich noch nicht zu übersehen", sagte er 1955.

Aber der Beruf führte ihn dann doch weg aus Kiel, zunächst zum VfL Wolfsburg, der gleichzeitig mit einem gut dotierten Angebot bei der Volkswagen AG lockte. Und dann in die weite Welt. In Niedersachsen ließ er seine Karriere nach 26 Länderspielen ausklingen. WM-Bronze hatte er 1958 (in der DDR) gewonnen und bei der WM 1961 (in der Bundesrepublik) den vierten Platz belegt, jeweils in gesamtdeutschen Mannschaften, in denen er alte Kameraden aus Rostock wieder traf. Sein letztes Länderspiel bestritt er, das passte, 1962 in Kiel gegen Schweden.

1964 gab es ein spektakuläres Comeback. Da war er schon in die USA umgesiedelt, wo er als VW-Verkaufsleiter Karriere machte. "Völlig unerwartet" habe ihn damals Dr. Peter Buehning, der deutschstämmige Präsident des US-Handballverbandes, zu einem Training eingeladen. "Ich machte mit und traf eine nette Truppe, die meisten von ihnen europäischer Abstammung." Auf diese Weise geriet er in die US-Auswahl für die WM 1964. "Der hatte einfach, ohne mich zu fragen, bei der Internationalen Handball-Föderation um eine Ausnahmegenehmigung für mich und Fritz Hattig gebeten", erzählt Hinrichs.

So kamen noch ein paar Länderspiele für die Vereinigten Staaten hinzu, gegen Kanada, auf Island, in Berlin gegen eine Städteauswahl, schließlich in den drei Vorrundenspielen in der Tschechoslowakei. Die Gegner hießen damals unter anderem, ein spezieller Witz in der Handballgeschichte Hinrichs', DDR und BRD. Sie verloren deutlich, waren chancenlos gegen Jugoslawien. "Aber es hat trotzdem viel Spaß gemacht."

Das war das Ende des aktiven Sports, aber der Anfang einer steilen Karriere. 1975 wechselte er zu Daimler-Benz, sechs Jahre später war er verantwortlich für den weltweiten Betrieb. 1988 schied er dort aus, nahm aber weiter eine Beratertätigkeit und auch Aufsichtsratsmandate beim Versicherer Gerling und Carl Zeiss wahr. Und er kümmerte sich nun wieder ehrenamtlich um den Sport. Auch um Handball.

Josef Neckermann, der Gründer der Deutschen Sporthilfe, hatte ihn für seine Organisation akquiriert, hier wurde Hinrichs stellvertretender Vorsitzender, auch dem Bundesausschuss für Leistungssport gehörte er an. Und als der Deutsche Handballbund (DHB) 1989 in eine schwere Krise geriet, nach dem Absturz in die C-Klassigkeit, auch finanziell am Boden lag, wurde Hinrichs plötzlich DHB-Präsident. "Der deutsche Handball muss wieder erstklassig werden", gab er damals als Ziel aus.

Als er kurz darauf die Wiedervereinigung managte, zum Wohlgefallen vieler, stellte er mit seiner Biographie geradezu eine Idealbesetzung dar. Er zählte 1992 auch zu den Gründern der Europäischen Handball-Föderation (EHF), deren erster Vizepräsident er war. Ein Jahr später trat er als DHB-Präsident ab und ebnete den Weg für seinen einstigen Assistenten bei Daimler, Bernd Steinhauser. Hinrichs spielte viel Golf, aber die Verbindung zum Handball riss nie. Er reiste zum Beispiel 2008 zur EM nach Lillehammer. Handball hat sein Leben ja geprägt. Ohne den THW, sagt Hinrichs, wäre vieles anders verlaufen. Ohne die Chance, die er 1954 hier bekam. Ohne den Titel 1957, der Volkswagen auf den Plan rief. Und ohne seine Frau Maria, auch wenn sie ihn einen schlechten Feldhandball-Torwart nannte. "Ohne sie", schreibt Hinrichs in einem Fotobuch über seine Handballkarriere, "hätte ich nicht annähernd so viel geschafft."

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 02.02.2013)


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