Aus dem handball-magazin 7/2006:
Faszination des THW Kiel, Schwächen der schnellen Mitte, Play-offs
nd der Fluch der Bayern: Willi Holdorf, 1964 Zehnkampf-Olympiasieger,
über die Perspektiven des Meisters und der Liga.
- handball-magazin:
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Als Leichtathlet sind Sie es gewohnt, Leistungen exakt zu messen. Wie ordnen Sie ein,
was die Handballer des THW Kiel vollbracht haben?
- Willi Holdorf:
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In einer Handball-Großmacht wie Deutschland ist es eine große Leistung, Meister zu
werden. Leistungen über einen so langen Zeitraum zählen für mich mehr als Erfolge
in der Champions League, denn da kann auch Glück eine Rolle spielen.
- handball-magazin:
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Messen Sie der zwölften Meisterschaft einen speziellen Wert bei?
- Willi Holdorf:
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Bemerkenswert ist, dass wir es mit einer sehr jungen Mannschaft geschafft haben,
aber der Titel im letzten Jahr war für mich wesentlich überraschender, weil wir
das mit weniger Spielern erreicht haben. Lövgren und
Pungartnik waren länger verletzt, und
Hagen spielte seine beste Saison, seitdem er Norwegen
verlassen hatte. Sensationell.
- handball-magazin:
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Finden Sie eine einfache Formel, mit der man den Erfolg des THW erklären kann?
- Willi Holdorf:
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Ein guter Manager, ein guter Trainer und ein ruhiges Umfeld, wo keiner im
Vordergrund stehen will und jeder für den Erfolg arbeitet.
- handball-magazin:
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Wie sind Sie als Leichtathlet zum Handball gekommen?
- Willi Holdorf:
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Ich bin in Schleswig-Holstein geboren, war dann lange in Leverkusen und bin
1977 zurückgekehrt. In Kiel ist Handball einfach in. Ich war natürlich bei
jedem Spiel. 1992, bei der Ausgliederung der Bundesliga-Mannschaft, hat man
mich gefragt, ob ich mich an der GmbH beteiligen wollte. Seitdem bin ich
einer von vier persönlichen Gesellschaftern. Den fünften Anteil hält der
THW Kiel e.V.
- handball-magazin:
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Der THW ist seit Jahren eine der führenden Kräfte im deutschen Handball.
- Willi Holdorf:
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Ein Grund, dass wir überhaupt so weit gekommen sind, ist die Ausgliederung
aus dem Hauptverein. Jetzt haben wir ein Kapital, mit dem wir auch ein Minus
verkraften könnten, ohne gleich zum Amtsrichter gehen zu müssen.
- handball-magazin:
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Was ist mit der Konkurrenz?
- Willi Holdorf:
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Die lässt sich ebenfalls etwas einfallen. Es geht immer mehr in die Großstädte.
Kronau/Östringen spielt in Mannheim, Pfullingen am liebsten in Stuttgart,
Gummersbach in Köln, und Schwartau ist nach Hamburg gegangen. Der Handball hat
eine Eigendynamik bekommen und profiliert sich klar als zweitstärkste Ballsportart.
Trotz kleiner Schritte geht es steil bergauf.
- handball-magazin:
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Ist der allgemeine Aufschwung eine Gefahr für die herausragende Position des THW?
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Willi Holdorf
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- Willi Holdorf:
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Nein. Diese Konkurrenz belebt das Geschäft. Die größte Problematik der großen
Hallen, die auch uns trifft, sind jedoch die Spieltermine, sodass die Tabelle oft
ein schräges Bild bekommt. Das ist ein Minuspunkt für Handball. Und diese Lage wird
sich mit der wachsenden Zahl großer Hallen eher verschlechtern.
- handball-magazin:
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Der THW hat wirtschaftlich vor allem von der stets mit 10250 Zuschauern ausverkauften
Ostseehalle profitiert. Anderen Bundesligisten bieten sich mittlerweile größere Wachstumschancen.
- Willi Holdorf:
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Wir zahlen eine vergleichsweise sehr hohe Miete, aber wir sind froh, dass wir die
Ostseehalle haben. Dass sich in Gummersbach, Mannheim und Hamburg etwas bewegt, macht
doch den Handball interessanter.
- handball-magazin:
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Wie kann der THW denn mit den neuen Konkurrenten mithalten?
- Willi Holdorf:
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Zurzeit sind wir mit jungen Leuten gut aufgestellt. Man wird auch versuchen, noch ein
paar junge deutsche Spieler zu holen. Das ist nicht immer so einfach, die in den
hohen Norden zu bringen. Für einen Münchner ist Kiel fast so weit weg wie der Nordpol.
- handball-magazin:
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Wie gefällt Ihnen der High-Speed-Handball des THW?
- Willi Holdorf:
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Ich finde das super, weil man oft mit wenig Spielern ohne viele Wechsel durchgespielt
hat. Die Jungs haben schon eine große Kondition und Schnelligkeitsausdauer an den Tag
gelegt, aber das Tempo hat uns auch im Pokalhalbfinale gegen Kronau/Östringen
den Sieg gekostet. Die Fehler der jungen Spieler gehören eben dazu, wenn man
risikoreich spielt. Für mich war das kein so großer Beinbruch. Außerdem hat der Pokalsieg
den Hamburgern letztlich ganz gut getan. Der Handball darf nicht glauben, dass er die
Medien im Sturm erobert, aber er wird sie Stufe um Stufe erobern. Und da wird uns der
Medienstandort Hamburg helfen. Deshalb bin ich froh, dass es dort eine gute Mannschaft gibt.
- handball-magazin:
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Welche Perspektiven sehen Sie generell für den Handball?
- Willi Holdorf:
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So schön die schnelle Mitte für den Zuschauer in der Halle ist - im Fernsehen gehen die
Raffinessen des Handballs verloren. Wiederholungen in Zeitlupe sind aufgrund des hohen
Tempos nicht mehr möglich. Wenn man sieht, wie zum Beispiel Biathlon und Skilanglauf
fernsehgerechter gestaltet werden, sollten wir überlegen, ob die schnelle Mitte im Handball
der Weisheit letzter Schluss ist.
- handball-magazin:
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Das klingt skeptisch.
- Willi Holdorf:
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Nein, unser Sport wird sich positiv entwickeln. Was die Nationalmanschaft in der Schweiz
gezeigt hat, war sensationell. Und hoffentlich findet Heiner Brand ein Team, das möglichst
lange bei der WM 2007 in Deutschland im Turnier bleibt. Dann wird der Handball automatisch
noch einmal einen Schub nehmen, aber wir dürfen uns nicht mit dem Fußball vergleichen. Wir
müssen uns Stufe für Stufe von allen anderen absetzen.
- handball-magazin:
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Was ist mit der Bundesliga?
- Willi Holdorf:
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Die großen und bis jetzt erfolgreichen Vereine schielen natürlich alle auf den europäischen
Thron und unternehmen sehr viele Anstrengungen, um im Vergleich mit den Spaniern mithalten
zu können. Und da sehe ich die Gefahr, dass die Schere in der Bundesliga weiter
auseinandergeht. Andererseits ist die Liga in Ordnung, solange Kiel und Flensburg auch in
Minden Punkte abgeben. Dann sind wir interessant und gut dabei.
- handball-magazin:
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Was halten Sie von Play-offs?
- Willi Holdorf:
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Das ist ein Vabanquespiel. Einiges, was vorher geleistet wurde, wird nicht belohnt. Davon
bin ich kein großer Anhänger. Für mich ist das stete Spielen gegeneinander wie im Eishockey
mit doppelter Normalrunde und Best of Five eher langweilig.
- handball-magazin:
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Welcher Modus wäre Ihnen am liebsten?
- Willi Holdorf:
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Eigentlich bin ich mit dem jetzigen System zufrieden. Wenn die HBL jedoch etwas Neues
anstreben sollte, dann könnte man die Liga verkleinern und die oberen sechs Teams und den
größeren unteren Teil nach einer Normalrunde in zwei Staffeln noch einmal gegeneinander
spielen lassen. So könnte man einen Ausgleich für die im Europapokal beschäftigten Teams
schaffen, ohne dass die kleinen Klubs ihre Spiele gegen die Großen verlieren. Und eine
einteilige 2. Liga wäre auch ein konsequenter Schritt.
- handball-magazin:
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Was halten Sie von der Gründung einer Vereinigung der großen Vereine ähnlich der G14 im Fußball?
- Willi Holdorf:
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Es schadet nicht, wenn sich die Vereine auf europäischer Ebene zusammensetzen, aber einen
Verein wie den TBV Lemgo darf man nicht außen vor lassen. Es wäre aber nicht gut, wenn
man sich gegen EHF und IHF stellte. Natürlich hat es uns weh getan, dass uns die
internationalen Verbände mit EM und WM im Januar die finanziell beste Zeit genommen
haben, aber ich weiß nicht, ob man das Rad zurückdrehen kann. Ich bin allerdings ein Gegner
von Europameisterschaften in Olympiajahren - das kann man den Spielern nicht
zumuten, da sie dann gar keine Pause mehr haben. Es kann nicht gesund sein. Der Körper
braucht Erholungsphasen.
- handball-magazin:
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Kiel unterliegt dem Fluch der Münchener Bayern.
- Willi Holdorf:
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In diesem Jahr kann man das wirklich so sagen. Der Uli Hoeneß hat sich letztens bei mir
beschwert, dass die Süddeutsche Zeitung schrieb, mit Pokalsieg und Meisterschaft habe
der FC Bayern die Saison gerettet. Dabei sagte Hoeneß, es sei etwas ganz Großes, zweimal
in Folge das Double zu gewinnen. Auch beim THW gab es Enttäuschungen: Wir haben den Pokal
nicht gewonnen und waren in der Champions League nicht so erfolgreich wie erhofft. Wenn
wir jedoch immer so gut wären wie in dieser Saison, wäre ich zufrieden.
- handball-magazin:
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Wie die Bayern bestimmt Kiel national die Szene, aber die Champions League bleibt ein
noch unerfüllter Traum.
- Willi Holdorf:
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... und das große Ziel. Es wird sehr schwer, wenn ich allein Ciudad Real sehe. Man kann
nur hoffen, dass unter deren vielen Stars das Zusammenleben leidet - sonst hat man
gegen die keine Chance. Für uns ist die Champions League auch nicht das ganz große
Geschäft. Anders als beim Fußball hängt davon nicht unser finanzielles Wohl ab.
Trotzdem bleibt der Reiz, den europäischen Thron zu besteigen. Das gilt auch für
unseren Trainer. Irgendwann wird Noka aufhören wollen, und
bevor er die Champions League nicht gewonnen hat, wird er nicht seine Ruhe finden.
(Das Interview führte Tim Oliver Kalle, aus dem handball-magazin 7/2006)