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13.06.2007 Fans

Zebra-Journal: Diese Pilger kennen keine Gnade

Mit einem THW-Fanclub auf Auswärts-Fahrt

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 09.06.2007:

Schwarz-weiß muss sein. Schwarz und weiß sind schließlich die Vereinsfarben des THW. Und daran halten sich die Fans, die "ihren" Handballern auch hunderte Kilometer zu Auswärtsspielen folgen. Nicht nur Trommler "Kratzer" gibt dabei den Ton an.
Der dumpfe Bass der Paukenschläge lässt den Stadionboden erbeben, die Eingeweide fast schmerzhaft vibrieren. Immer wieder saust der zerfledderte, faustgroße Filzklöppel auf das glänzend schwarze Trommelfell des Instruments nieder. Bei jedem Schlag reflektiert das Plastik das grelle Stadionlicht und schickt zuckende Blitze über die geröteten Gesichter. Hunderte folgen klatschend dem Takt. Selbst wenn sie wollten, könnten sich ihre Hände dem Rhythmus nicht entziehen. "THW" brüllt der untersetzte Trommler in der blauen Tarnfleckenhose aus Leibeskräften und reißt zwischen den donnernden Hieben auffordernd die Arme in die Höhe. "THW!" stimmt die Menschenmasse hinter dem schwarzen Banner mit der Aufschrift "Fanclub Schwarz-Weiß" augenblicklich mit ein. 1979 sind die "Schwarz-Weißen" von Gründer Frank Henke, der erste Fanclub der Liga. Nach einer mehrjährigen Pause erweckt der Kieler Grafikdesigner sie 2004 zu neuem Leben. Heute gehören dem bunten Haufen über 100 Mitglieder an: Polizisten, Handwerker, Akademiker - hier trifft sich alles, was feiern will und den THW liebt. Sogar vier Flensburger sind mit dabei.

THW-Trommler "Kratzer".
Klicken Sie zum Vergrößern! THW-Trommler "Kratzer".
"Kratzers" glattrasierte Glatze glänzt wie frisch poliert. Der Schweiß rinnt ihm über das Gesicht. Die blauen Augen sind vom Alkohol und der Anstrengung glasig. Der Gurt seiner 20 Kilo schweren Trommel schneidet tief in das Fleisch seiner Schulter. Doch der Mann mit den zusammengewachsenen Augenbrauen scheint davon nichts zu spüren. Schon seit zwei Stunden leistet er Schwerstarbeit an seiner Pauke mit dem Durchmesser eines Öltanks. Matthias Kraatz, Dachdecker, ist ein echtes Original, ein inoffizielles Wahrzeichen der Kieler Handball-Fankultur. Im September wird der 35-Jährige - ein Tattoo am Mittelfinger der rechten Hand verrät es - seine "Eule" heiraten. Als Trauzeuge für "meine Madame und mich" fungiert kein geringerer als THW-Mannschaftskapitän Stefan Lövgren. Seit 31 Jahren ist Kratzer Stammgast in der Ostseehalle und bei jeder Auswärtsfahrt im legendären "Schwarz-Weiß"-Bus mit von der Partie. So auch an diesem Mai-Sonntag.

Rückblick. Um acht Uhr morgens geht es los. 54 müde Gestalten schlurfen in einen der roten Gelenk-Linienbusse der KVG. Ein Fahrtziel ist nirgends zu erkennen. Stattdessen prangen vorne, an den Seiten, hinten, überall, Plakate und Banner, die darauf hinweisen, dass hier der Fanclub "Schwarz-Weiß" des Handball-Bundesligisten THW Kiel unterwegs ist, "um Punkte abzuholen". Mit 80 km/h geht es über die Autobahn ins fast 400 Kilometer entfernte Westfalen. Mehr als 100 Liter Bier und mindestens ebenso viele Flaschen Alkopops, Cola und wie Schätze gehütete Flaschen mit Whisky warten auf ihre Vernichtung. Bis zur Ankunft gegen halb zwei in der Nacht, wird kein Tropfen mehr übrig sein. Der erste Kronkorken knallt um 8.07 Uhr. Die Stimmung steigt - besonders im Heck des Busses, dem Epizentrum der Partylaune. "Hupe", ein Zivilangestellter der Bundeswehr mit seriösen grauen Koteletten, feiert an diesem Tag seinen 45. Geburtstag. Mit einer Mitreisenden legt er im Gang ein Tänzchen hin. Olav, ein sonnengebräunter, muskelbepackter Typ mit weißblonder Igelfrisur und türkisblauen Augen, führt die erste Polonäse durch den Bus - obwohl er an diesem Tag einen großen Bogen um alles Promilleverdächtige macht: Am Abend geht es für den Physiotherapeuten der Junioren-Nationalmannschaft zu einem Lehrgang seiner Schützlinge.

Ganz vorne im Bus gibt Mareike Klinck, Organisatorin der Auswärtstouren, dutzende selbst gebratener Frikadellen und geschmierte Brötchen aus. Kratzer stillt seinen Hunger mit einen mitgebrachten Fladenbrot. Eine Tomatenscheibe entwindet sich der Brothälften und klatscht auf den staubigen Boden. Leicht schwankend steht Kratzer da, blickt ratlos auf den roten Tupfer herunter. Dann bückt er sich und nach einer flüchtigen Begutachtung landet das Sand panierte Gemüse im Mund. Nach unzähligen Bieren und einigen, im Alkoholanteil großzügig bemessenen Whisky-Cola ist Kratzer so erschlagen, dass er wenig später - trotz des gewaltigen Lärmpegels einnickt. Doch um ihn herum kennt man keine Gnade: "Schala-la-laaa, scha-la-la-la-la-la-laaa...!" Hupe knufft den in sich zusammen gesackten Kratzer mit einer Bierflasche sanft in den sich üppig über den Hosenbund ergießenden Bauch. Ohne zu erwachen, ohne auch nur zu zucken, stimmt Kratzer mit ein. Wie in Hypnose bewegen sich seine Lippen. Der Kopf ist weit in den Nacken gesackt, die Augen sind geschlössen. Nach fünfeinhalb Stunden Dauerbeschallung mit allem, was Schlager und Viervierteltakt zu bieten haben, gefühlten 27 Pinkelpausen, ausgelassenen Polonäsen und lautstarken Fangesängen, ist man am Ziel: Dem Gerry-Weber-Stadion im westfälischen Halle, wo der TBV Lemgo sein heutig Heimspiel bestreitet (siehe Spielbericht).

Endlich auf den richtigen Plätzen angelangt, verlassen Hupe die Kräfte. Ungeachtet der enormen Geräuschkulisse der 10700 Zuschauer schläft er einen Teil seines Rausches aus. Den Kopf auf das Metallgeländer gebettet, die Brille verrutscht. Kurz vor Schluss wird es noch einmal eng. Der Vorsprung der Kieler ist bis auf einen Treffer zusammengeschmolzen. Plötzlich sind alle im Fanblock hellwach, feuern die Spieler auf dem Parkett an: "Schwarz und weiß, wir steh'n auf Eurer Seite..." Kratzer zeigt mit dem Filzklöppel auf seinen Arm. In seinen Augen glänzen Tränen der Rührung. "Gantermandeln" sagt er mit Blick auf die zu Berge stehenden Härchen auf seinem tätowierten Arm.

Der THW siegt. Singend und Fahnen schwenkend wälzt sich der Fantross nach Spielende wie ein Pilgerstrom die Treppen herunter. Das gewaltige Echo schallt vom steinernen Treppenhaus fast bedrohlich auf den Stadionvorplatz. Doch Aggressionen sind dem friedlichen Haufen fremd. Wie ein riesiger schwarzweißer Tausendfüßler bewegen sich Kratzer, Hupe und wie sie alle heißen singend in Richtung Bus: "Deutscher Meister wird nur der THW". Mehrere Stunden Rückfahrt, ein gewaltiger Partymarathon, liegen noch vor ihnen. Kratzer lässt den Filzklöppel im Rhythmus seiner Schritte auf der Pauke tanzen. Noch eine Weile sind die Vibrationen in der Magengrube zu spüren, bevor der dumpfe Klang zusammen mit den Freudengesängen der siegreichen Truppe langsam verhallt. Gute Fahrt, Jungs!

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 09.06.2007)


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