29.08.2007 | Handball-Geschichte / Medien |
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Es kam alles anders. Am Ende eines aufreibenden Finalspiels am 10. März des Jahres 1990 musste die Fachwelt eingestehen, sich wieder einmal geirrt zu haben. Der Verlauf des Finals widerlegte nicht nur Bredemeier: Eine junge schwedische Mannschaft unter der sportlichen Leitung von Bengt Johansson hatte den haushohen Favoriten mit 27:23 bezwungen. Und unmittelbar nach dem Spielende hatte wirklich niemand eine Erklärung für das soeben Erlebte - die Verlierer nicht und auch die Sieger nicht.
So kam die Fachwelt dem Phänomen erst allmählich auf die Spur. Ganz sicher werden die sowjetischen Spieler ihren Gegner aufgrund der jahrelangen Überlegenheit unterschätzt haben, ganz sicher trugen die überwältigende Kampfkraft der Schweden und eine Glanzleistung ihres Keepers Mats Olsson viel zum Überraschungserfolg bei. Doch das allein hätte nicht ausgereicht, um den Olympiasieger von 1988 wirklich ins Wanken zu bringen.
Viele andere Mannschaften hatten es vorher auf diesem Weg versucht und waren grausam gescheitert. Vielmehr war es ein klug ausgedachtes und exakt auf die schwedischen Spieler zugeschnittenes Taktik-Konzept, das den Sowjets den Zahn zog. "Unser Trainer", so Ola Lindgren, damals gerade einmal 26-jähriger Protagonist des Prager Favoritensturzes, "hatte jene Begabung, nicht die Spieler dem taktischen Konzept anzupassen, sondern das taktische Konzept an den Stärken seiner Spieler auszurichten."
Die Schweden bauten eine Abwehrformation auf, wie sie die UdSSR wohl schon lange nicht mehr vorgefunden hatte. Statt offensiv die Rückraum-Riesen Aleksandr Tutschkin und Wjatscheslaw Atawin zu bekämpfen, setzten sie auf eine aggressive 6:0-Variante. Mit der Folge, dass das jahrelang einstudierte Angriffsspiel der Sowjets arg ins Stocken geriet und weitgehend wirkungslos blieb.
Andererseits präsentierten sich mit Magnus Wislander, Staffan Olsson, Ola Lindgren, Per Carlen oder Mats Olsson junge schwedische Spieler einer breiten Öffentlichkeit, die zum Teil mehr als ein Jahrzehnt das Gesicht des internationalen Handballs prägen sollten.
Der Gewinn des ersten WM-Titels für Schweden nach 1958 (22:12 gegen die CSSR in Berlin) war ohne Zweifel gleichbedeutend mit der Geburtsstunde einer großen Mannschaft. Dabei hatte sich der Durchbruch der Schweden bereits vier Jahre zuvor bei der WM in der Schweiz angekündigt. Im Spiel um Platz drei unterlagen die Skandinavier der Auswahl der DDR knapp mit 23:24 nachdem das Finale zuvor nur deshalb kanpp verpasst wurde, weil sich das Team von Bengtsson in der Hauptrunde eine unnötige 22:23-Schlappe gegen die Ungarn erlaubte. Ein Jahr zuvor waren die jungen Wilden der Schweden im Finale der Junioren-WM in Italien erst im Finale an der Auswahl der UdSSR gescheitert. Auf Seiten der Sowjets standen damals bereits Spieler wie Aleksandr Tutschkin, Andrej Tschepkin und Valerij Gopin im Aufgebot, die fünf Jahre danach zu traurigen Helden des Prager Favoritensturzes werden sollten.
Weltmeister wurden Staffan Olsson, Ola Lindgren und Magnus Wislander 1999 noch einmal, zudem gewann das Drei-Kronen-Team gleich vier Europameisterschaften (1994, 1998, 2000, 2002). Allein die Olympische Goldmedaille verfehlte diese Glücksgeneration schwedischer Handballer gleich dreimal. 1992, im Finale von Barcelona, besiegte die Auswahl der GUS die Schweden, 1996 in Atlanta unterlagen sie im Finale den Kroaten, und noch einmal vier Jahre später war es das russische Team, das den Traum vom Gold in Sydney zerplatzen ließ.
Viele schwedische Spieler verabschiedeten sich nach dem WM-Turnier 1990 von ihren heimischen Vereinen und verdienten fortan ihr Geld in den europäischen Spitzenligen in Spanien oder in Deutschland. Staffan Olsson kam in die Bundesliga, Ola Lindgren ebenfalls. Lindgren blieb sogar bis heute, trainiert derzeit die HSG Nordhorn und darf sich seit wenigen Monaten sogar Co-Trainer der schwedischen Nationalmannschaft nennen.
Der wohl Bekannteste unter ihnen heißt Magnus Wislander und wechselte im Jahr des WM- Titelgewinns zum THW Kiel. Dort blieb er zwölf Jahre, spielte sich in die Herzen der THW-Fans und wurde 1999 zum Welthandballer des Jahrhunderts gekürt. Auch Trainer Bengt Johansson spekulierte nach dem WM-Gewinn auf ein gut dotiertes Auslandsengagement. "Vielleicht trainiere ich bald Bahrain oder einen richtig finanzstarken Verein", sagte Johannsson nach dem Finale scherzend. Doch offenbar waren die Verträge mit dem schwedischen Verband so gut dotiert, dass Johansson bis 2004 blieb. Auch darauf hätte man sicher wetten können.
(Aus dem "Handball-Magazin" 08/2007)
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