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11.09.2008 Historie

Zebra-Journal: Acht Tage im November: Der erste Auftritt im Europapokal

Internationaler Höhenflug der "Zebras" begann 1962 mit dem Sieg gegen Breslau

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008:

"Der Mann mit dem Wecker" ist ein Auszug aus dem Buch  "Schwarz und weiß. Die Geschichte des THW Kiel",  das Mitte November im Werkstatt-Verlag erscheinen wird.
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Das Fieber war stetig gestiegen. Über Wochen hinweg war der erste Auftritt des THW Kiel im noch jungen Europapokalwettbewerb "Thema Nummer eins" in Kieler Sportkreisen gewesen, noch vor dem möglichen Aufstieg der Fußballer von Holstein Kiel in die neu entstehende Bundesliga. Hatte das Dahlinger-Team überhaupt eine Chance gegen den polnischen Meister WKS Slask Breslau? Manch Experte verneinte.
Denn wie die anderen osteuropäischen Klubs sei auch der Armeeklub allerbestens präpariert für den Wettstreit mit dem Westen. Spielertrainer Hein Dahlinger und Gockel Sievers setzten dem die "Tour der Leiden" entgegen. Mit den gefürchteten Dauerläufen um den Schulensee, an der Rendsburger Landstraße und um den Wulfsbrook herum wollte er genügend Kondition bolzen für die 60 Minuten, die der THW damals nur selten in der Halle absolvierte. Am 18. November 1962, einem Sonntag, war es endlich soweit: Um 17.40 Uhr pfiff der dänische Referee Jörgen Christensen (Arhus) zur Premiere. 8000 Fans waren in die randvolle Ostseehalle gekommen.

Einige Zuschauer betrachteten die Trikotwahl als böses Omen. Denn die "Zebras" waren keine - weil der Gegner in rot-weiß-gestreiften Trikots erschien, die das Schwarz-Weiß-Fernsehen vom traditionellen Kieler Dress nicht unterscheiden konnte, liefen die Hasseer in schwarzen Hemden mit weißem Kragen und weißen Vereinsemblemen auf. Aber die Mannschaft in der Formation Wolfgang Struck, Stoldt, Dahlinger, Kelbe, Bernd Struck, Bartel, Hense, Rittke, Rohe, Willrodt war nicht abergläubisch - und zeigte eine atemberaubende Leistung. Horst Rittke verwandelte die Siebenmeter sicher, Dahlinger dirigierte und setzte den pfeilschnellen Bernd Struck immer wieder bei Tempogegenstößen ein, Torwart Wolfgang Struck hatte ebenfalls einen glänzenden Tag erwischt, und konditioneil war der THW überlegen. Schon zur Halbzeit (9:5) war klar: Der THW hatte die Nerven, diese aufregende Premiere zu bestehen. Am Ende hatte der THW mit dem 19:11-Sieg die nächste Runde erreicht (Rückspiele wurden noch nicht ausgetragen). Viele Augenzeugen versicherten danach, den THW noch nie so gut spielen gesehen zu haben.

Sportlich lief also alles rund. Als rutschiger erwies sich das diplomatische Parkett. Eine "Aktion Oder-Neiße", die sich aus schlesischen Vertriebenen rekrutierte und eigens aus Hessen angereist war, verteilte vor der Halle Flugblätter. Inhalt: "Fragen an junge polnische Sportler zum Mauerbau und der deutschen Teilung." Als "fragwürdige Stimmungsmache" verurteilten die Kieler Nachrichten diese Aktion, so etwas gehöre "nicht in den Rahmen einer solchen sportlichen Begegnung. Genauso würden wir uns zur Wehr setzen, wenn man etwa die Handballer des THW in Breslau oder in der nächsten Woche in Prag durch Flugblätter für die Gräueltaten der Deutschen in Polen und der Tschechoslowakei verantwortlich machen wollte." Dass dennoch in der Halle "entgegen großer Befürchtungen kein einziger Misston zu hören" war, nahm der THW-Vorsitzende Max Adolphsen mit Genugtuung zur Kenntnis. Auch der anschließende Empfang des Magistrats erwies sich als würdig. Dabei sprach Stadtrat Lütgens die Hoffnung aus, "dass der Sport auch in dieser Begegnung dazu geeignet sein möge, Brücken der Freundschaft und der Verständigung zu schlagen." Die Polen überreichten eine Kristallvase.

Die Mannschaft der Saison 1962/63.
Die Mannschaft der Saison 1962/63.
Kaum lösbar war die Aufgabe, die eine Woche später anstand: Dukla Prag. Der elffache tschechoslowakische Meister verkörperte damals Weltklasse; vor allem dem Torhüter, Vize-Weltmeister Jiri Vicha, eilte ein sagenhafter Ruf voraus. Hein Dahlinger wusste um die Kieler Außenseiterstellung, zumal der THW nun erstmals reisen musste. "Es sind ja sympathische Jungs, die Prager, nur schade, dass sie gegen uns verlieren müssen", witzelte er, als die Fahrkarten in Malente eintrafen. Auch Siegfried Brandt von den Kieler Nachrichten machte die Bahnreise über Nürnberg, Hof und die Grenzstation mit, und er berichtete dann auch über das Rahmenprogramm: Den Spaziergang zum Hradschin, über den Wenzelsplatz, zum St. Veits-Dom. Ein großartiges Erlebnis für junge Spieler wie die Struck-Brüder, Harald Willrodt oder Karl-Heinz Rohe. Vor dem großen Spiel machte sich die Mannschaft, die im noblen "Hotel Paris" logierte, dann Mut: "Singend ging es in die CKD-Halle. Eine Injektion vom Mannschaftsarzt Dr. Sievers nahm Hein Dahlinger im letzten Moment die Schmerzen im linken Bein." Doch dann taumelte der Deutsche Meister einem sportlichen Untergang entgegen. Bald lag der THW mit 0:7-Toren hinten, da er mit der Härte des CSSR-Meisters nicht zurecht kam. Nach 60 Minuten hieß es vor 1400 Zuschauern 12:18 (5:13) gegen den Titelträger von 1956.

Was von den Trainingsbedingungen in der Goldenen Stadt in Erfahrung zu bringen war, klang in den Ohren der Kieler wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Bedrich König, ein Hauptmann, arbeite als hauptamtlicher Dukla-Trainer. Und den Stars wie Hauptmann Trojan oder Oberleutnant Rada stünden wie den weiteren 300 Klubmitgliedern "modernste Hallen" und Gelände zur Verfügung, ein Stadion für Kleinfeld-Handball, eine Basketballhalle, ein Schwimmbad, Sauna, Massageeinrichtungen. In der CSSR erfolge also eine "Konzentrierung der Spitzenkräfte, wie sie in allen Ostblock-Staaten zu finden ist", resümierte Brandt. Auch, dass in der CSSR seit 1955 kein Feldhandball und schon lange über die Distanz von 60 Minuten gespielt werde, sei ein Vorteil, weil so die Schulung viel intensiver erfolge. Unglaublich klang auch dies: "Die CSSR erkennt Sportreisen als Arbeit an." Umso erstaunlicher, dass der THW einige Freundschaftsspiele gegen Dukla Prag, die nun folgten, sogar siegreich gestalten konnte.

Von ähnlichen Trainingsbedingungen konnte der THW aufgrund des Amateurparagraphen, der für die BRD-Athleten den Lebensunterhalt durch Sport ausschloss, nur träumen. Und dennoch zeigte sich der THW-Vorsitzende Adolphsen sehr zuversichtlich, dem CSSR-Meister bald wieder gegenübertreten zu können: "Wir werden sicher nicht zum letzten Male dort gewesen sein." Dass der THW dann zwei Jahrzehnte warten musste, bis er wieder einen europäischen Wettbewerb erreichen würde, damit rechnete in diesem Moment niemand.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008)

Weitere Informationen über den Europapokal der Landesmeister finden Sie unter Europapokal 1962/63.


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