11.09.2008 | Historie |
"Der Mann mit dem Wecker" ist ein Auszug aus dem Buch "Schwarz und weiß. Die Geschichte des THW Kiel", das Mitte November im Werkstatt-Verlag erscheinen wird. |
Einige Zuschauer betrachteten die Trikotwahl als böses Omen. Denn die "Zebras" waren keine - weil der Gegner in rot-weiß-gestreiften Trikots erschien, die das Schwarz-Weiß-Fernsehen vom traditionellen Kieler Dress nicht unterscheiden konnte, liefen die Hasseer in schwarzen Hemden mit weißem Kragen und weißen Vereinsemblemen auf. Aber die Mannschaft in der Formation Wolfgang Struck, Stoldt, Dahlinger, Kelbe, Bernd Struck, Bartel, Hense, Rittke, Rohe, Willrodt war nicht abergläubisch - und zeigte eine atemberaubende Leistung. Horst Rittke verwandelte die Siebenmeter sicher, Dahlinger dirigierte und setzte den pfeilschnellen Bernd Struck immer wieder bei Tempogegenstößen ein, Torwart Wolfgang Struck hatte ebenfalls einen glänzenden Tag erwischt, und konditioneil war der THW überlegen. Schon zur Halbzeit (9:5) war klar: Der THW hatte die Nerven, diese aufregende Premiere zu bestehen. Am Ende hatte der THW mit dem 19:11-Sieg die nächste Runde erreicht (Rückspiele wurden noch nicht ausgetragen). Viele Augenzeugen versicherten danach, den THW noch nie so gut spielen gesehen zu haben.
Sportlich lief also alles rund. Als rutschiger erwies sich das diplomatische Parkett. Eine "Aktion Oder-Neiße", die sich aus schlesischen Vertriebenen rekrutierte und eigens aus Hessen angereist war, verteilte vor der Halle Flugblätter. Inhalt: "Fragen an junge polnische Sportler zum Mauerbau und der deutschen Teilung." Als "fragwürdige Stimmungsmache" verurteilten die Kieler Nachrichten diese Aktion, so etwas gehöre "nicht in den Rahmen einer solchen sportlichen Begegnung. Genauso würden wir uns zur Wehr setzen, wenn man etwa die Handballer des THW in Breslau oder in der nächsten Woche in Prag durch Flugblätter für die Gräueltaten der Deutschen in Polen und der Tschechoslowakei verantwortlich machen wollte." Dass dennoch in der Halle "entgegen großer Befürchtungen kein einziger Misston zu hören" war, nahm der THW-Vorsitzende Max Adolphsen mit Genugtuung zur Kenntnis. Auch der anschließende Empfang des Magistrats erwies sich als würdig. Dabei sprach Stadtrat Lütgens die Hoffnung aus, "dass der Sport auch in dieser Begegnung dazu geeignet sein möge, Brücken der Freundschaft und der Verständigung zu schlagen." Die Polen überreichten eine Kristallvase.
Die Mannschaft der Saison 1962/63. |
Was von den Trainingsbedingungen in der Goldenen Stadt in Erfahrung zu bringen war, klang in den Ohren der Kieler wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Bedrich König, ein Hauptmann, arbeite als hauptamtlicher Dukla-Trainer. Und den Stars wie Hauptmann Trojan oder Oberleutnant Rada stünden wie den weiteren 300 Klubmitgliedern "modernste Hallen" und Gelände zur Verfügung, ein Stadion für Kleinfeld-Handball, eine Basketballhalle, ein Schwimmbad, Sauna, Massageeinrichtungen. In der CSSR erfolge also eine "Konzentrierung der Spitzenkräfte, wie sie in allen Ostblock-Staaten zu finden ist", resümierte Brandt. Auch, dass in der CSSR seit 1955 kein Feldhandball und schon lange über die Distanz von 60 Minuten gespielt werde, sei ein Vorteil, weil so die Schulung viel intensiver erfolge. Unglaublich klang auch dies: "Die CSSR erkennt Sportreisen als Arbeit an." Umso erstaunlicher, dass der THW einige Freundschaftsspiele gegen Dukla Prag, die nun folgten, sogar siegreich gestalten konnte.
Von ähnlichen Trainingsbedingungen konnte der THW aufgrund des Amateurparagraphen, der für die BRD-Athleten den Lebensunterhalt durch Sport ausschloss, nur träumen. Und dennoch zeigte sich der THW-Vorsitzende Adolphsen sehr zuversichtlich, dem CSSR-Meister bald wieder gegenübertreten zu können: "Wir werden sicher nicht zum letzten Male dort gewesen sein." Dass der THW dann zwei Jahrzehnte warten musste, bis er wieder einen europäischen Wettbewerb erreichen würde, damit rechnete in diesem Moment niemand.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008)
Weitere Informationen über den Europapokal der Landesmeister finden Sie unter Europapokal 1962/63.
(11.09.2008) | Ihre Meinung im Fan-Forum? |