Von Erik Eggers, aus dem "Handball-Magazin" 12/2008 und dem Buch "Schwarz und Weiß" von Erik Eggers:
Der THW Kiel ist eine Top-Adresse für Top-Transfers, doch der Rekordmeister
musste in den siebziger Jahren erst eine bittere Lektion lernen.
Es war die Zeit, als Jugoslawien noch das Dorado im Handball
darstellte. Also begaben sich die Klubs im Sommer 1977, als die
eingleisige Bundesliga eingeführt wurde, auf die Jagd: Im Visier waren
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"Schwarz und Weiß" - Die THW-Vereinschronik.
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die gut ausgebildeten und wurfstarken Rückraumspieler aus Zagreb,
Belgrad oder Bjelovar. Ohne Star aus dem Ausland, hieß es, sei man in
der Liga nicht konkurrenzfähig. Der THW Kiel und sein Handball-Obmann
Gert-Hinrich Reese griffen daher schnell zu, als Bundestrainer Vlado
Stenzel ihnen zwei scheinbare Prachtexemplare aus dem Land des
Olympiasiegers von 1972 anbot. Am 1. Juni 1977 präsentierte der THW im
Hotel Astor, nur einen Steinwurf von der Ostseehalle entfernt, den
neuen Coach
Zeljko Seles, der mit Partizan Bjelovar 1972 den
Europapokal gewonnen hatte. Mit
Seles im Gepäck reiste eine echte
Sensation an:
Albin Vidovic. "Der Bomber", wie die Kieler Nachrichten
den Halblinken ehrfürchtig nannten. Wahre Heldentaten wurden über
diesen Hünen berichtet. Dem 36-maligen Nationalspieler, der 1973 im
Finale des Europapokals der Landesmeister gegen MAI Moskau (23:26) sage
und schreibe 14 Tore geworfen hatte, eilte der Ruf eines "Hansi
Schmidts Jugoslawiens" voraus.
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1977 verpflichtete der THW Kiel auf Vermittlung des damaligen Bundestrainers Vlado Stenzel den jugoslawischen Trainer
Zeljko Seles, der den 34-jährigen Ausnahmespieler
Albin Vidovic mitbrachte.
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Erik Eggers |
Doch dann begann die Hängepartie, das Warten auf
Vidovic.
Vidovic
machte offiziell seinen Einsatz davon abhängig, ob er als gut dotierter
Zahnarzt in Kiel arbeiten könne. Das erste Problem: Er besaß nicht die
nötigen Zertifikate. Noch gravierender jedoch war, dass er in
Wirklichkeit auch gar nicht voll arbeiten, sondern nur voll bezahlt
werden wollte.
Vidovic pokerte. "Ob er überhaupt das Trikot der Zebras
tragen wird, wird weitgehend davon abhängen, ob für ihn ein
Arbeitsplatz als Zahnarzt gefunden werden kann", wusste die Fachpresse.
Er lief dann doch auf. Und als
Vidovic nach der 15:19-Auftaktniederlage
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Handgeld: Eigentlich durften die Amateurvereine den Spielern zu dieser Zeit kein Geld zahlen, doch dieser
Überweisungsträger belegt, dass Vidovic 36.000 Mark Handgeld vom THW bekam.
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Erik Eggers |
beim TuS Hofweier in der Ostseehalle die 6000 Zuschauer beim 18:12-Sieg
gegen den TV Neuhausen begeisterte, sang die Lokalpresse wahre Elogen
auf den jugoslawischen Spielmacher. "Er spielt wie Hansi Schmidt, er
dirigiert wie Hansi Schmidt", hieß es in den Kieler Nachrichten über
Vidovic, dessen Spielerpass erst eine halbe Stunde vor Anpfiff
vorgelegen hatte.
Vidovic wurde also gefeiert. Doch dieser Jubel ebbte jäh ab, als der
34-jährige Jugoslawe vor dem Auswärtsspiel in Göppingen plötzlich
verschwunden war. Als Mannschaftsbetreuer Dietrich Ziemer ihn und
Trainer Seles abholen wollte, so die Recherchen der Kieler Nachrichten,
passierte gar Ungeheuerliches: "Vidovic grinste aus dem Fenster: 'Lasst
mal den Seles spielen!' Danach bemühte sich noch Betreuer Georg Brandt
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Nebenabsprache: Dieses Dokument ist eine "vertrauliche Aktennotiz" als Anhang zu Seles' Vertrag.
Neben Prämien und Handgeld erhielt der Jugoslawe auch einen Dienstwagen und ein Zimmer (mit Frühstück).
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Erik Eggers |
die ganze Nacht um den Jugoslawen, am Flughafen in Fuhlsbüttel bekam
er ihn zu fassen - und verlor ihn endgültig aus den Augen."
Vidovic
flog nach Hause und blieb in Jugoslawien. Die Rückenschmerzen seien zu
stark. Dass nicht der malade Rücken für den Abflug verantwortlich war,
deutete Reese damals in der Lokalpresse an: "Er ist nicht unser
Leibeigener, wir können ihn nicht festbinden. Aber offensichtlich hat
er geglaubt, in Kiel das goldene Kalb schlachten zu können."
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Mahnung: Bundestrainer Vlado Stenzel erinnert den THW Kiel an die "kleine Verpflichtung" - die Provision für die Vermittlung der Jugoslawen.
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Erik Eggers |
Ein Possenspiel, das vom THW teuer bezahlt worden war. Erst heute,
Jahrzehnte später, erzählt Reese die wahre Geschichte.
Vidovic hatte,
wie ein Bankbeleg beweist, bereits zu Beginn der Saison 36000 Mark
Handgeld kassiert. 36000 Mark, das war eine Menge Geld damals, knapp
zehn Prozent des Jahresetats der Handballabteilung. Doch Reese und der
THW-Vorstand besaßen keine Möglichkeit, sich das Geld wiederzuholen.
Denn zu jener Zeit hatten sich alle Klubs noch dem rigiden
Amateurstatut des Deutschen Handballbundes (DHB) zu unterwerfen, der
damals noch die Liga organisierte. Hätte der THW das Geld vor einem
Gericht zurückgefordert, hätte ihm der Zwangsabstieg gedroht. Wie seine
Kollegen aus der Liga war auch Reese ein Gefangener eines Systems, das
längst nicht mehr zeitgemäß war, wie auch die ewige Diskussion um die
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Spätes Geständnis: Der damalige Liga-Obmann Gert-Hinrich Reese (links) hielt den Deal über drei Jahrzehnte geheim.
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Archiv THW Kiel |
Trikotwerbung zeigte, die schließlich erst Ende der siebziger Jahre
erlaubt wurde. Vorstandsmitglied
Dr. Georg Wegner, 1962 und 1963
Deutscher Meister mit dem THW, erhob vor diesem Hintergrund heftige
Vorwürfe an den DHB. "Die Entwicklung zum hochdotierten Profi scheint
vorgezeichnet und wird sogar vom Deutschen Handballbund stillschweigend
toleriert", giftete der Rechtsanwalt. Es gehe nicht an, "dass der DHB
den Kopf in den Sand steckt und seine Mitgliedsvereine bei der Lösung
der Probleme im Stich lässt".
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Trainer:
Zeljko Seles (l. mit Olaf Berner) wollte nach dem Verschwinden seines Landsmannes Albin Vidovic die Verantwortung übernehmen und aufhören, konnte aber zum Weitermachen bewegt werden.
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Archiv THW Kiel |
Berechtigte Einwände angesichts der offiziellen Amateurstatuten, nach
denen nur 24 Mark Spesensatz bei Auswärtsfahrten und eine
Kilometerpauschale von 25 Pfennig pro Kilometer für die Spieler
zugelassen waren, unter der Hand aber Gelder in fünfstelliger Höhe
gezahlt wurden.
Wegner forderte nicht weniger als die Einführung eines
Lizenzspielerstatuts wie im Fußball. "Diese Bundesliga führt zweifellos
ein Zwitterdasein: Scheinbare Amateure, wirkliche Amateure und Profis
spielen hier munter mit- und gegeneinander", assistierten die Kieler
Nachrichten, die zudem kritisierten, dass der THW seinen neuen Sponsor
(Provinzial) nicht auf dem Trikot tragen durfte.
Wegner drohte gar mit
dem Rückzug des THW aus der Liga, sollte sich an der Heuchelei nichts
ändern.
So oder so: Der Fall Vidovic blieb peinlich für die THW-Verantwortlichen.
Zumal Vidovic, bevor er an die Förde wechselte, ein
Jahr lang gar keinen Handball mehr gespielt und wegen eines
Verkehrsunfalls gar kurzzeitig im Gefängnis gesessen hatte, wie sich
später herausstellte. Eine weitere Anekdote war, dass Bundestrainer
Stenzel dennoch seine Provision für die Vermittlung Seles' und
Vidovic'
bei Reese einforderte ("Ich möchte Sie herzlich bitten, Ihre kleine
Verpflichtung bald zu erledigen"). Seles, völlig entnervt, wollte nach
dem Abflug seines Landsmannes hinschmeißen, er trainierte den THW aber
doch bis zum Saisonende. Glücklicherweise entpuppte sich der zweite
Jugoslawien-Import, der ab Mitte November 1977 spielberechtigt war,
bald als Volltreffer: Predrag Timko. Seine Tore hielten den Klub in den
ersten Jahren in der Liga, die den Übergang vom Amateurismus ins
Halbprofitum darstellten. Die Basis, auf der sich der THW in den frühen
neunziger Jahren zur erfolgreichsten Mannschaft der deutschen
Handballgeschichte entwickelte.
(Von Erik Eggers, aus dem "Handball-Magazin" 12/2008)