THW-Logo
14.01.2009 Geschichte

"Handball-Magazin": Verzockt mit Vidovic

Von Erik Eggers, aus dem "Handball-Magazin" 12/2008 und dem Buch "Schwarz und Weiß" von Erik Eggers:

WM-Spezial-Angebot des HM: 12 Ausgaben für 29,40.
Klicken Sie für weitere Infos! WM-Spezial-Angebot des HM: 12 Ausgaben für 29,40.

Der THW Kiel ist eine Top-Adresse für Top-Transfers, doch der Rekordmeister musste in den siebziger Jahren erst eine bittere Lektion lernen.
Es war die Zeit, als Jugoslawien noch das Dorado im Handball darstellte. Also begaben sich die Klubs im Sommer 1977, als die eingleisige Bundesliga eingeführt wurde, auf die Jagd: Im Visier waren
"Schwarz und Weiß" - Die THW-Vereinschronik.
Klicken Sie für weitere Infos! "Schwarz und Weiß" - Die THW-Vereinschronik.
die gut ausgebildeten und wurfstarken Rückraumspieler aus Zagreb, Belgrad oder Bjelovar. Ohne Star aus dem Ausland, hieß es, sei man in der Liga nicht konkurrenzfähig. Der THW Kiel und sein Handball-Obmann Gert-Hinrich Reese griffen daher schnell zu, als Bundestrainer Vlado Stenzel ihnen zwei scheinbare Prachtexemplare aus dem Land des Olympiasiegers von 1972 anbot. Am 1. Juni 1977 präsentierte der THW im Hotel Astor, nur einen Steinwurf von der Ostseehalle entfernt, den neuen Coach Zeljko Seles, der mit Partizan Bjelovar 1972 den Europapokal gewonnen hatte. Mit Seles im Gepäck reiste eine echte Sensation an: Albin Vidovic. "Der Bomber", wie die Kieler Nachrichten den Halblinken ehrfürchtig nannten. Wahre Heldentaten wurden über diesen Hünen berichtet. Dem 36-maligen Nationalspieler, der 1973 im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen MAI Moskau (23:26) sage und schreibe 14 Tore geworfen hatte, eilte der Ruf eines "Hansi Schmidts Jugoslawiens" voraus.

1977 verpflichtete der THW Kiel auf Vermittlung des damaligen Bundestrainers Vlado Stenzel den jugoslawischen Trainer  Zeljko Seles, der den 34-jährigen Ausnahmespieler  Albin Vidovic mitbrachte.
Klicken Sie zum Vergrößern! 1977 verpflichtete der THW Kiel auf Vermittlung des damaligen Bundestrainers Vlado Stenzel den jugoslawischen Trainer Zeljko Seles, der den 34-jährigen Ausnahmespieler Albin Vidovic mitbrachte.
Doch dann begann die Hängepartie, das Warten auf Vidovic. Vidovic machte offiziell seinen Einsatz davon abhängig, ob er als gut dotierter Zahnarzt in Kiel arbeiten könne. Das erste Problem: Er besaß nicht die nötigen Zertifikate. Noch gravierender jedoch war, dass er in Wirklichkeit auch gar nicht voll arbeiten, sondern nur voll bezahlt werden wollte. Vidovic pokerte. "Ob er überhaupt das Trikot der Zebras tragen wird, wird weitgehend davon abhängen, ob für ihn ein Arbeitsplatz als Zahnarzt gefunden werden kann", wusste die Fachpresse. Er lief dann doch auf. Und als Vidovic nach der 15:19-Auftaktniederlage
Handgeld: Eigentlich durften die Amateurvereine den Spielern zu dieser Zeit kein Geld zahlen, doch dieser  Überweisungsträger belegt, dass Vidovic 36.000 Mark Handgeld vom THW bekam.
Klicken Sie zum Vergrößern! Handgeld: Eigentlich durften die Amateurvereine den Spielern zu dieser Zeit kein Geld zahlen, doch dieser Überweisungsträger belegt, dass Vidovic 36.000 Mark Handgeld vom THW bekam.
beim TuS Hofweier in der Ostseehalle die 6000 Zuschauer beim 18:12-Sieg gegen den TV Neuhausen begeisterte, sang die Lokalpresse wahre Elogen auf den jugoslawischen Spielmacher. "Er spielt wie Hansi Schmidt, er dirigiert wie Hansi Schmidt", hieß es in den Kieler Nachrichten über Vidovic, dessen Spielerpass erst eine halbe Stunde vor Anpfiff vorgelegen hatte.

Vidovic wurde also gefeiert. Doch dieser Jubel ebbte jäh ab, als der 34-jährige Jugoslawe vor dem Auswärtsspiel in Göppingen plötzlich verschwunden war. Als Mannschaftsbetreuer Dietrich Ziemer ihn und Trainer Seles abholen wollte, so die Recherchen der Kieler Nachrichten, passierte gar Ungeheuerliches: "Vidovic grinste aus dem Fenster: 'Lasst mal den Seles spielen!' Danach bemühte sich noch Betreuer Georg Brandt
Nebenabsprache: Dieses Dokument ist eine "vertrauliche Aktennotiz" als Anhang zu Seles" Vertrag.  Neben Prämien und Handgeld erhielt der Jugoslawe auch einen Dienstwagen und ein Zimmer (mit Frühstück).
Klicken Sie zum Vergrößern! Nebenabsprache: Dieses Dokument ist eine "vertrauliche Aktennotiz" als Anhang zu Seles' Vertrag. Neben Prämien und Handgeld erhielt der Jugoslawe auch einen Dienstwagen und ein Zimmer (mit Frühstück).
die ganze Nacht um den Jugoslawen, am Flughafen in Fuhlsbüttel bekam er ihn zu fassen - und verlor ihn endgültig aus den Augen." Vidovic flog nach Hause und blieb in Jugoslawien. Die Rückenschmerzen seien zu stark. Dass nicht der malade Rücken für den Abflug verantwortlich war, deutete Reese damals in der Lokalpresse an: "Er ist nicht unser Leibeigener, wir können ihn nicht festbinden. Aber offensichtlich hat er geglaubt, in Kiel das goldene Kalb schlachten zu können."

Mahnung: Bundestrainer Vlado Stenzel erinnert den THW Kiel an die "kleine Verpflichtung" - die Provision für die Vermittlung der Jugoslawen.
Klicken Sie zum Vergrößern! Mahnung: Bundestrainer Vlado Stenzel erinnert den THW Kiel an die "kleine Verpflichtung" - die Provision für die Vermittlung der Jugoslawen.
Ein Possenspiel, das vom THW teuer bezahlt worden war. Erst heute, Jahrzehnte später, erzählt Reese die wahre Geschichte. Vidovic hatte, wie ein Bankbeleg beweist, bereits zu Beginn der Saison 36000 Mark Handgeld kassiert. 36000 Mark, das war eine Menge Geld damals, knapp zehn Prozent des Jahresetats der Handballabteilung. Doch Reese und der THW-Vorstand besaßen keine Möglichkeit, sich das Geld wiederzuholen. Denn zu jener Zeit hatten sich alle Klubs noch dem rigiden Amateurstatut des Deutschen Handballbundes (DHB) zu unterwerfen, der damals noch die Liga organisierte. Hätte der THW das Geld vor einem Gericht zurückgefordert, hätte ihm der Zwangsabstieg gedroht. Wie seine Kollegen aus der Liga war auch Reese ein Gefangener eines Systems, das längst nicht mehr zeitgemäß war, wie auch die ewige Diskussion um die
Spätes Geständnis: Der damalige Liga-Obmann Gert-Hinrich Reese (links) hielt den Deal über drei Jahrzehnte geheim.
Klicken Sie zum Vergrößern! Spätes Geständnis: Der damalige Liga-Obmann Gert-Hinrich Reese (links) hielt den Deal über drei Jahrzehnte geheim.
Trikotwerbung zeigte, die schließlich erst Ende der siebziger Jahre erlaubt wurde. Vorstandsmitglied Dr. Georg Wegner, 1962 und 1963 Deutscher Meister mit dem THW, erhob vor diesem Hintergrund heftige Vorwürfe an den DHB. "Die Entwicklung zum hochdotierten Profi scheint vorgezeichnet und wird sogar vom Deutschen Handballbund stillschweigend toleriert", giftete der Rechtsanwalt. Es gehe nicht an, "dass der DHB den Kopf in den Sand steckt und seine Mitgliedsvereine bei der Lösung der Probleme im Stich lässt".

Trainer:  Zeljko Seles (l. mit Olaf Berner) wollte nach dem Verschwinden seines Landsmannes Albin Vidovic die Verantwortung übernehmen und aufhören, konnte aber zum Weitermachen bewegt werden.
Klicken Sie zum Vergrößern! Trainer: Zeljko Seles (l. mit Olaf Berner) wollte nach dem Verschwinden seines Landsmannes Albin Vidovic die Verantwortung übernehmen und aufhören, konnte aber zum Weitermachen bewegt werden.
Berechtigte Einwände angesichts der offiziellen Amateurstatuten, nach denen nur 24 Mark Spesensatz bei Auswärtsfahrten und eine Kilometerpauschale von 25 Pfennig pro Kilometer für die Spieler zugelassen waren, unter der Hand aber Gelder in fünfstelliger Höhe gezahlt wurden. Wegner forderte nicht weniger als die Einführung eines Lizenzspielerstatuts wie im Fußball. "Diese Bundesliga führt zweifellos ein Zwitterdasein: Scheinbare Amateure, wirkliche Amateure und Profis spielen hier munter mit- und gegeneinander", assistierten die Kieler Nachrichten, die zudem kritisierten, dass der THW seinen neuen Sponsor (Provinzial) nicht auf dem Trikot tragen durfte. Wegner drohte gar mit dem Rückzug des THW aus der Liga, sollte sich an der Heuchelei nichts ändern.

So oder so: Der Fall Vidovic blieb peinlich für die THW-Verantwortlichen. Zumal Vidovic, bevor er an die Förde wechselte, ein Jahr lang gar keinen Handball mehr gespielt und wegen eines Verkehrsunfalls gar kurzzeitig im Gefängnis gesessen hatte, wie sich später herausstellte. Eine weitere Anekdote war, dass Bundestrainer Stenzel dennoch seine Provision für die Vermittlung Seles' und Vidovic' bei Reese einforderte ("Ich möchte Sie herzlich bitten, Ihre kleine Verpflichtung bald zu erledigen"). Seles, völlig entnervt, wollte nach dem Abflug seines Landsmannes hinschmeißen, er trainierte den THW aber doch bis zum Saisonende. Glücklicherweise entpuppte sich der zweite Jugoslawien-Import, der ab Mitte November 1977 spielberechtigt war, bald als Volltreffer: Predrag Timko. Seine Tore hielten den Klub in den ersten Jahren in der Liga, die den Übergang vom Amateurismus ins Halbprofitum darstellten. Die Basis, auf der sich der THW in den frühen neunziger Jahren zur erfolgreichsten Mannschaft der deutschen Handballgeschichte entwickelte.

(Von Erik Eggers, aus dem "Handball-Magazin" 12/2008)


(14.01.2009) Ihre Meinung im Fan-Forum? Zur Newsübersicht Zur Hauptseite