26.05.2010 | Bundesliga |
So oder so: Dem Team des HSV versagten vor den Augen von Bundestrainer Heiner Brand offenbar die Nerven: Schwerfällig und unpräzise, vor allem im Rückraum, ließen Pascal Hens und Co. sämtliche Vorteile in diesem Spiel der Spiele ungenutzt: Die Verletzungssorgen des THW, den tabellarischen Vorsprung, den Heimvorteil durch über 13.000 lautstarke Fans. Während Rudolph später zu erörtern versuchte, warum sein Team die ganz großen Spiele meist immer noch verliert - der HSV wurde zwar Pokalsieger, war in der Champions League aber wieder an Ciudad Real gescheitert - und dabei eine gewisse physische Unterlegenheit als Grund ausmachte, sprach Coach Martin Schwalb wie schon im Vorfeld des Duells von einer trotz allem gelungenen Saison und von erneut großen Fortschritten, die man gemacht habe, als wäre sein Team eine Ansammlung von Rookies und nicht ein auf allen Positionen doppelt namhaft besetztes Starensemble. Man kann sich immer weniger des Eindrucks erwehren, als orientiere sich die Denke des Hamburger Trainers zu sehr an der Frage, wie man einen etwaigen Misserfolg anschließend ins rechte Licht rücken kann und nicht als vorlaut dasteht, als an einem wirksamen Effekt für die erst einmal zu absolvierende Partie selbst. So drohen Alibis zu entstehen, schon im Vorfeld, manövriert sich der gerne locker gebende Coach samt seiner Spieler in eine kontraproduktive, weil zu devote Außenseiterrolle. Eine Rolle, die der - vielleicht mit Ausnahme der Torhüterposition - auf Weltklasseniveau zusammengestellten HSV-Truppe einfach längst nicht mehr gerecht wird. Der Effekt dieser nicht mehr glaubwürdigen Underdog-'Verkaufe': das Phänomen der Self-Fullfilling Prophecy. Die übertriebene Bescheidenheit, der fehlende Mut und der Hang zum Schönreden nämlich kostet womöglich wichtige Prozente zur nötigen Siegermentalität.
Diese Form des Vorbeugens ist Indiz dafür, dass man sich auf Seiten der Hamburger nicht wirklich dem Favoriten-Druck gewachsen fühlt, sondern vielmehr auszuweichen versucht. Denn, bei realistischer Betrachtung war der HSV Favorit an jenem Samstag. Doch dieses Selbstverständnis ging verloren, man wollte im Falle des Misserfolgs lieber nicht aus allen Wolken fallen und durchs - auch mediale - Stahlbad, als vor der Partie Bekenntnisse abzugeben, Tacheles zu reden. Auch wenn unter den Spielern - anschließend - mehr Bereitschaft zu finden war, der riesigen Enttäuschung freien Lauf zu lassen und Ausdruck zu verleihen, was authentischer klang als das Herunterspielen einer ganz bitteren Niederlage, liegt der Verdacht angesichts des meisterwürdigen Kaders inzwischen nahe: Schwalb und Co. bleiben lieber unverbindlich, ihnen mangelt es an Chuzpe.
Der THW hat sie offenbar sogar im Jahr des großen Umbruchs noch, selbst wenn er in dieser Saison etwas anfälliger war als zuvor. Vor allem der zwischenzeitlich etwas aufs Abstellgleis geratene Christian Zeitz dient als Paradebeispiel. Er bot eine Top-Leistung in Hamburg und spielte schon zuvor auffallend zuverlässig - jetzt, da er aufgrund der Ausfälle im Team wieder mehr gebraucht wird und nicht nur Joker ist. Und auch Daniel Narcisse hat nachgewiesen, wie wichtig und richtig sein Transfer vor dieser Saison war. Mit seiner individuellen Stärke, die mittlerweile zum wiederholten Male ein wichtiger Faktor im spielerisch nach dem Umbruch noch nicht immer attraktiven, aber sehr effizienten THW-Angriff war, widerlegte er jene Kritiker, die Stimmung gemacht hatten, der Franzose sei viel zu teuer und zu verletzungsanfällig. Letzteres schien sich im Laufe der Saison zu bestätigen, doch an den Big Points des THW hat Alfred Gislasons Wunschverpflichtung letztlich doch erheblichen Anteil.
Den kann übrigens auch Peter Gentzel für sich reklamieren. Sein Einsatz in der Schlussphase des Krimis von Hamburg zahlte sich aus, der Torwart-Oldie war einmal mehr ein Goldie, vertrat Thierry Omeyer - generell der entscheidende Unterschied zu Gunsten des THW gegenüber seinen Rivalen - im richtigen Augenblick und half kräftig mit, den Auswärtssieg perfekt zu machen. Auch Gentzels über die Saison gesehen eher raren Auftritte sollten in der Rückschau nicht unterschätzt werden. Eine Bilanz, die für den THW Kiel angesichts des freilich dennoch mächtigen Hamburger Projekts und der wirtschaftlich schier endlos potenten Konkurrenz aus Mannheim im Falle der Titelverteidigung positiv ausfallen würde, denn die nationale Meisterschaft, noch dazu in der vielleicht stärksten Liga der Welt, wäre Ausdruck für die größte Konstanz. Und angesichts des Umbruchs auf Spielerebene und im Management die bemerkenswerteste Leistung aller - etablierten wie neuen - Beteiligten. Beim Blick über das Final Four von Köln hinaus heißt es jetzt in Anbetracht der fälligen Kieler Revanche gegen Balingen und dem Finale in Großwallstadt: 'Advantage THW', statt 'Game HSV'.
(von Frank Schneller, © 2010 www.handball-world.com)
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