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07.02.2011 Mannschaft

ZEBRA-Interview mit Raul Alonso: "Der THW Kiel ist Magie"

Aus dem offiziellen THW-Magazin "ZEBRA", von living sports:

Seit einem Jahr ist Raul Alonso der erste hauptverantwortliche Sportdirektor im Bereich Nachwuchs-Leistungshandball beim THW Kiel. Im Gespräch mit ZEBRA berichtet der 32-Jährige von seiner Arbeit und dem langen Weg der Talente in die TOYOTA Handball-Bundesliga.
Raul Alonso wurde am 9. Januar 1979 in Madrid geboren. Der 1,82 Meter große Spanier begann seine Handballkarriere 1988 bei Teka Santander, 1995 wechselte er zum TS Grossauheim nach Deutschland. Vier Jahre später zog es ihn zu TuSpo Obernburg. Für den Zweitligisten spielte Alonso acht Jahre lang. Schon als Aktiver war er Jugendtrainer der A- und B-Junioren und Jugendkoordinator bei TuSpo, von 2005 bis 2009 war er auch für die hessische Landesauswahl als Landesauswahltrainer tätig, bevor er zwei Jahre lang als Coach den Frauen-Bundesligisten Rhein-Main-Bienen betreute. Im Januar 2010 kam Alonso als Sportdirektor für den Nachwuchs-Leistungshandball an die Förde, wenige Monate später feierte er als Co-Trainer mit der Bundesliga-Mannschaft den Sieg in der Champions League und die Deutsche Meisterschaft. Alonso sieht sich selbst als gutes Beispiel für die Integrationskraft des Handballs: "Ich kam mit 15 Jahren von Spanien nach Deutschland, hatte keine Freunde hier und konnte die Sprache nicht. Das einzige, worauf ich aufbauen konnte, war eine gute handballerische Ausbildung in Santander. Also ging ich wieder zum Handball, lernte so die Sprache, Menschen, eine neue Kultur und Mentalität kennen. Nun ist es meine Vision, dieses Gefühl, einen Halt durch die Interaktion mit Handball zu haben, an die Jugendliche weiter zu geben. Als ich beispielsweise nach der Rückkehr vom Champions-League-Finale noch zum Jugend-Training in die Halle kam, leuchteten die Augen der Jungs. Da war diese Magie zu spüren, die die Sporthelden der ersten Mannschaft auslösen können. Unsere Aufgabe im Nachwuchsbereich ist es, nicht nur gute Sportler zu entwickeln, sondern auch gute Menschen, sie zu begeistern und zu formen, fördern und fordern und ihnen die Möglichkeit bieten, sich zu verwirklichen."

Mit Raul Alonso sprach Christian Robohm.

ZEBRA:
Der THW Kiel hat zum vierten Mal in Folge das Jugendzertifikat der TOYOTA Handball-Bundesliga erhalten. Wie wichtig ist dieses Zertifikat für die Nachwuchsarbeit im deutschen Handball?
Raul Alonso:
Sehr wichtig. Seit der Einführung des Zertifikates haben sich die Verhältnisse bei den Bundesliga-Clubs enorm verbessert. Dieses Zertifikat ist eine sehr gute Sache, weil die Vereine dadurch "gezwungen" werden, Jugendarbeit zu leisten. Natürlich lässt sich über den Sinn einiger der Anforderungen trefflich streiten, es ist aber gut, dass es sich nicht um ein starres Modell handelt. Man muss schließlich mit der Entwicklung des Handballs mitgehen. Man sollte sich aber nicht auf der Verleihung ausruhen: Das Zertifikat muss - wie hier in Kiel - gelebt werden.
ZEBRA:
Seit einem Jahr sind Sie nun hauptverantwortlich für den Nachwuchs-Leistungshandball beim THW Kiel. Zeit für eine erste Bilanz.
Raul Alonso:
Ich bin mit meinem ersten Jahr hier in Kiel sehr zufrieden. Gemeinsam mit unserem Jugend-Koordinator Patrick Kohl habe ich schon einiges bewegen können. Es ist eine Qualitätssteigerung erkennbar. Das U23 Junior-Team, also unsere zweite Mannschaft, entwickelt sich sehr schnell. Mit einem Durchschnittsalter von 20 Jahren spielen die Jungs in der 3.Liga zum Großteil gegen gestandene Mannschaften, von denen viele einst in der 1. oder 2. Bundesliga aktiv waren. Die A-Jugend hat noch Chancen auf die Qualifikation für die neue A-Jugend-Bundesliga, in der wir in der Zukunft unbedingt mitspielen wollen. Zudem spielen unsere C- und B-Junioren in der höchsten Spielklasse auf Landesebene eine sehr gute Rolle. Dies sind Zeichen einer guten Jugendarbeit.
Wichtiger als der kurzfristige sportliche Erfolg ist es aber, dass wir inzwischen keine "Inselmannschaften" mehr bilden. Das heißt, wir haben inzwischen in allen Jugendklassen gute Teams, so dass Kontinuität in der Entwicklung gewährleistet ist. Wir sind zum Beispiel in der B- und C-Jugend dichter an die SG Flensburg-Handewitt herangerückt, die seit vielen Jahren eine gezielte und zum Teil erfolgreiche Jugendförderung betreibt. Jetzt ist der THW Kiel konkurrenzfähig.
ZEBRA:
Was sind die Aufgaben der Hauptverantwortlichen?
Raul Alonso:
Wir wollen die Bedingungen für die jungen Spieler, sowohl sportlich als auch hinsichtlich ihrer sozialen Ausbildung so optimal wie möglich gestalten. In Kiel haben wir noch nicht die Voraussetzungen wie beispielsweise in den Internaten des SC Magdeburg oder der Rhein-Neckar Löwen.
ZEBRA:
Träumen Sie von einem Handball-Internat auch in Kiel?
Raul Alonso:
Nicht unbedingt. Natürlich stellen Internate eine optimale Verknüpfung zwischen Schule und Leistungssport dar. Es besteht aber die Gefahr, dass die Jungs dann sehr früh sehr spezifisch und intensiv trainiert werden. Wenn man mit 15 Jahren schon fast Profi ist, welche Ziele soll man dann mit 22 Jahren noch haben? Wir beim THW versuchen, die Jungs in den Bereichen Athletik, Kraft,Technik, Taktik und Spielverständnis weiter zu bringen, ohne sie jedoch mit Handball zu "überlasten". Es gibt auch noch ein Privatleben außerhalb dieser Sportart, und dieses darf nicht zu kurz kommen.
ZEBRA:
Wie könnte die Nachwuchsarbeit auch ohne Internat optimiert werden?
Raul Alonso:
Mein Traum ist ein richtiges Trainingszentrum mit einer eigenen Halle, einer medizinischen Abteilung und einer Möglichkeit, adäquates Krafttraining zu absolvieren. Das würde auch der Bundesliga-Mannschaft helfen. Natürlich ist für solch eine Entwicklung auch die Politik gefragt: Schleswig-Holsten ist THW-Land, der THW Kiel ist eine Weltmarke. Wenn man in der Welt von Kiel berichtet, fallen sofort die Stichworte "Kieler Woche" und "THW Kiel". Wir brauchen auch die Unterstützung der Stadt und der Region, um uns weiter entwickeln zu können.
ZEBRA:
Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Bundesliga-Team aus?
Raul Alonso:
Es unterstützt uns in jeglicher Hinsicht. Alfred Gislason ist für mich persönlich ein Förderer, ich bin trotz meiner langjähriger Tätigkeit als Jugendtrainer und auch als Trainer in der Frauen-Bundesliga ja noch immer sehr jung und lerne auch jeden Tag dazu. Alfred gibt sehr viel seines Wissens an mich weiter. Gerade an seiner Seite macht es enorm viel Spass zu arbeiten, denn seine Offenheit und Bereitschaft zu helfen - gepaart mit seiner Erfahrung und seinem Wissen - ergeben die Perfekte Zusammensetzung um sich als junger Trainer zu formen. Er, Uli Derad und Klaus Elwardt tragen diese offene Philosophie für das Ganze in sich. Und sie setzen auch auf die Jugend, worüber ich sehr froh bin. So profitieren die Jugend-Mannschaften des THW beispielsweise am meisten von der neuen Trainingshalle in Wellsee. Sie ist eine sehr gute Zwischenlösung, und ich bin dankbar, weil wir dort so viele Hallenzeiten bekommen können.
ZEBRA:
Können Sie denn auch der Bundesliga-Mannschaft helfen?
Raul Alonso:
Wir probieren, in allen Jugend-Mannschaften das gleiche System wie im Bundesliga-Team spielen zu lassen, passen dieses System aber auch immer an die Leistungsfähigkeit der Jungs an. Die zweite Mannschaft ist ja auch dafür da, dem Bundesligateam zu helfen. Sei es, um die Mannschaft - wie beim Testspiel in Bordesholm - aufzufüllen oder im Training auszuhelfen. Kjell Köpke, Tjark Müller, Lukas Stürze und der ein oder andere A-Jugendliche haben da schon ihre Erfahrungen gemacht. Als "Gegenleistung" bekommen die Jungs unglaubliche Erlebnisse. Wer hat in so jungen Jahren schon einmal die Chance, im THW-Trikot neben Filip Jicha auf der Platte zu stehen? Oder ein Training mit den besten Spielern der Welt zu haben und dabei nicht nur zuzugucken, sondern mittendrin im Geschehen zu sein. Die Profis kümmern sich dann um die Jungs und binden sie mit ein. So etwas prägt einen für immer und hilft sicherlich in der sportlichen und menschlichen Entwicklung.
ZEBRA:
Springt dabei vielleicht auch der ein oder andere Bundesliga-Akteur heraus?
Raul Alonso:
Der endgültige Sprung von der zweiten in die Bundesliga-Mannschaft ist gewaltig. In der Bundesliga muss man sofort höchsten Ansprüchen genügen, das kann nicht jeder, der 18-jährig frisch aus der A-Jugend kommt. Realistisch gesehen: Um einen Kieler Jung wieder in der Sparkassen-Arena im THW-Trikot spielen zu sehen, muss schon alles zusammenpassen. Wir alle arbeiten natürlich hart daran, aber solch eine Entwicklung ist auch immer mit viel Glück verbunden. Aber wenn es uns gelingen sollte, jemanden für einen der anderen Bundesligisten herauszubringen, der vielleicht später mit ein wenig mehr Erfahrung zurück zu uns wechseln kann, wäre das schon ein riesiger Erfolg.
ZEBRA:
Ist die Rekrutierung von Bundesliga-Spielern denn Ihr Hauptziel?
Raul Alonso:
Nein. Unser Hauptziel ist es, die Jugendlichen aus der Region handballerisch und persönlich weiter zu bringen. Ich sehe, wieviele Talente die Region hat. Wir müssen dahin kommen, dass es irgendwann für die Spieler selbstverständlich ist, dass sie sich beim THW Kiel weiter entwickeln können nach ihrer Ausbildung bei den Heimatvereinen. Und letztlich haben die Heimatvereine auch etwas von einer solchen Zusammenarbeit: Sie bekommen sehr gut ausgebildete Handballer zurück, denn nicht jeder schafft den Sprung in die Welt des Profi-Handballs. Ich sehe das als Geben und Nehmen mit den Vereinen in der Region.
ZEBRA:
Wie sieht es an den Schulen aus?
Raul Alonso:
Um die jungen Menschen vom Handball zu begeistern, gehen wir ganz gezielt auch auf die Schulen zu. Die "Stunde null", bei dem wir morgens von 6.30 Uhr bis 7.30 Uhr eine zusätzliche Trainingsstunde vor dem Unterricht anbieten, war ein Anfang. Wir schulen jetzt auch Lehrer durch Fortbildungen bei Sportfachkonferenzen. Gerade in Zeiten, in denen die Ganztagsschulen im Kommen sind, müssen wir diese neue Situation nutzen. Wenn man es so will: Wir als THW kommen zu den Schülern, damit diese zum Handball kommen.
ZEBRA:
Wie geht es weiter?
Raul Alonso:
Der THW Kiel ist Magie, ist Vorbild. Diese Rolle ist unabhängig von Titeln. Wir möchten, dass über alle Jugend-Jahrgänge hinweg dieses Wir-Gefühl entsteht, das in Kiel so einzigartig ist. Man muss ihnen verdeutlichen, dass die 10000 Fans in der "Kathedrale des Handballs" auch zur Familie des THW gehören. Und da sollte jeder Nachwuchshandballer mit Ambitionen hinkommen wollen. Wir wollen auch im Jugendbereich aus dieser Weltmarke ein Premium-Produkt machen. Dafür brauchen wir auch die Unterstützung von Sponsoren, Freunden und Förderern. Nachwuchsarbeit benötigt viel Geld, Engagement und Einsatz und trotzdem kann uns auch jede kleine Hilfe weiterbringen. In zwei bis drei Jahren wollen wir dann einen dritten hauptamtlichen Mitarbeiter beschäftigen können, um die Prozesse weiter zu optimieren. Diese Projekt hat meiner Ansicht nach eine große Zukunft vor sich, und ich persönlich bin sehr stolz es mitgestalten zu können.

(Das Gespräch führte Christian Robohm, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "ZEBRA", von living sports)


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