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06.01.2007 WM 2007/Nationalmannschaft

Kieler Nachrichten: Als der Magier ein König wurde

Vlado Stenzel verzauberte die Handball-Welt und führte Deutschland 1978 zum Weltmeisterschaftsgewinn

Die Handball-WM findet vom 19. Januar bis zum 4. Februar 2007 statt.
Die Handball-WM findet vom 19. Januar bis zum 4. Februar 2007 statt.
Aus den Kieler Nachrichten vom 06.01.2007:

Nur noch 13 Tage bis zum Startschuss der Handball-WM in Deutschland. Das Team von Bundestrainer Heiner Brand eröffnet das Weltturnier am 19. Januar mit der Partie in Berlin gegen Brasilien. Die Kieler Nachrichten beginnen mit der Ausgabe vom 6.1.2007 den Countdown bis zum ersten Anpfiff mit der Serie "Handball-Legenden". Wir starten mit Vlado Stenzel, dem "Magier" und Trainer der deutschen Weltmeisterschaftmannschaft von 1978 in Kopenhagen.
"Ein großer Trainer", sagt Vlado Stenzel, "muss Erfolg in großen Spielen haben." So wie er, der "Magier". Der Jugoslawien 1972 in München zu olympischem Gold führte und Deutschland sechs Jahre später zur Weltmeisterschaft. Aber wenn er gefragt wird, welchen Triumph er am höchsten bewertet, überrascht der 72 Jahre alte Kroate mit der Antwort. Es ist nicht die nahezu perfekte Demonstration der Ballkünstler aus dem Vielvölkerstaat um Milan Lazarevic, Branislav Pokrjac oder Weltklasse-Kreisläufer Nebojsa Popovic bei den Spielen an der Isar. Und auch nicht der erste Hallen-WM-Titel für das Mutterland des Handballs am 5. Februar 1978 in Kopenhagen. Die Sternstunde des Vlado Stenzel schlug vielmehr in Karl-Marx-Stadt, der "roten Arbeiterstadt", die nach der Wende wieder ihren eigentlichen Namen Chemnitz eingenommen hat. Dabei war sein "Lieblingssieg" eine Niederlage. Mit 8:11 verlor die Nationalmannschaft der Bundesrepublik an diesem 5. März 1976 gegen den Favoriten DDR.

Der Film läuft auch über 30 Jahre danach vor Stenzels Augen ab, als ob es gestern passiert wäre. Letzte Sekunde in der Eissporthalle, die 4000 linientreue Zuschauer in einen Hexenkessel verwandelten. Siebenmeter für den Vizeweltmeister aus Mitteldeutschland. Wenn Hans Engel trifft, ist alles aus. Aber der Rückraumspieler des ASK Vorwärts Frankfurt an der Oder scheitert am Großwallstädter Manfred Hofmann. Stenzels junge Wilde lösten die Fahrkarte zu den Olympischen Spielen in Montreal. Die Mannschaft, die zwei Jahre später in Dänemarks Hauptstadt im WM-Finale die Sowjetunion mit 20:19 besiegte, war geboren.

"Es war auch ein Triumph des Westens über den Kommunismus", sagt der Trainer, der im blockfreien Jugoslawien groß wurde und seit über 30 Jahren in der Bundesrepublik lebt, heute über den Prestigeerfolg. Ein Erfolg im Handball-Klassenkampf, so ähnlich wie der 1972 mit Jugoslawien. Der Mannschaft, die den vielleicht schönsten Handball aller Zeiten gespielt hat. "Ich wollte der Welt zeigen, dass es auch ohne staatliche Förderung möglich ist, gegen die Maschinen des Ostblocks zu gewinnen", erzählt der gebürtige Zagreber nicht ohne Stolz. Als ihm dies 1978 mit der im Schnitt gerade einmal 22,5 Jahre jungen Nationalmannschaft seiner "zweiten Heimat" erneut gelang, war der "Magier", wie ihn der spätere Milbertshofener Bundesligaprofi Zdravko Miljak schon viel früher getauft hatte, endgültig zum König geworden.

Die Inthronisierung folgte unmittelbar nach dem Abpfiff in Kopenhagen. Mitten auf dem Spielfeld nahmen ausgelassene Fans den Weltmeistermacher auf die Schultern und setzten ihm eine Krone aus Goldpapier aufs damals schon lichte Haupt.

Der deutsche Arbeitssieg über das starke UdSSR-Kollektiv hatte auch einen Hauch von Magie. Mit drei Toren avancierte der zuvor beim gesamten Turnier nicht eingesetzte Dankersener Linksaußen Dieter "Jimmy" Waltke quasi zum Matchwinner. "Ich wusste, dass er dieses Finale entscheiden würde, ihn kannten die Russen nicht", erzählt der mit Ehefrau Diana in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden wohnende Stenzel immer wieder gern und zeigt schmunzelnd auf die eigene Stirn: "In meinem Computer sind Sachen, die kannst du dir nicht vorstellen."

Der exzentrische Kroate genoss den Ruhm, dessen Verlockungen er immer wieder erlag. Mit Auftritten als Koch oder Wurstfabrikant und manchen Extravaganzen setzte er seinen Ruf aufs Spiel. Nach dem enttäuschenden siebten Platz bei der Weltmeisterschaft 1982 im eigenen Land musste der einstige Torwart, der ein Länderspiel für Jugoslawien bestritt, als Bundestrainer gehen. Ein Abschied für immer von der großen Bühne des Sports, der sein Leben war und auch mit 72 noch immer ist.

Nach mehr oder weniger erfolgreichen Trainer-Gastspielen beim VfL Bad Schwartau oder TSV Milbertshofen arbeitet Vlado Stenzel in der Provinz. Zuletzt beim Frauen-Oberligisten FSV Mainz 05. Derzeit trainiert er bei den Sportfreunden Budenheim in Rheinhessen den Nachwuchs. "Mit einem Fanatismus, wie ich ihn mir bei den Funktionären des Deutsche Handball-Bundes endlich einmal wünschen würde." Der Weltmeister von 1978 und heutige Bundestrainer Heiner Brand steht mit seiner Meinung sicherlich nicht allein: "Seine Zeit ist vorbei. Die jungen Spieler heute würden gar nicht verstehen, was er sagt." Das sieht der "Magier", der leicht verbittert dem "schöneren Handball von früher" nachtrauert, anders. Seinem ehemaligen Lieblingsschüler drückt er bei der bevorstehenden Weltmeisterschaft trotzdem die Daumen. Dass seine Mannschaft auf dem Parkett steht, wenn Vlado Stenzel am 4. Februar beim Finale in der Kölnarena als Gast des DHB auf der Tribüne sitzt. Und dass Brands Mannschaft siegt. Denn "ein großer Trainer muss Erfolg in großen Spielen haben."

Portrait: Vlado Stenzel

  • Geburtsdatum: 23. Juli 1934
  • Geburtsort: Zagreb
  • Familienstand: verheiratet mit Diana
  • Kinder: Vanda (49), Vlatko (45), Helena (38), Daniel (34)
  • Stationen: Medvescak Zagreb (als Spieler und Trainer), RK Crvenka, RK Krivaja Zavidovici, RK Kvarner Rijeka, Nationalmannschaft Jugoslawien, Nationalmannschaft Deutschland, OSC Thier Dortmund, TuS Bergkamen, VfL Bad Schwartau, Medvescak Zagreb, TSV Milbertshofen, TV Großwallstadt, MTV Ingolstadt, SG Bruchköbel, SV Anhalt Bernburg, HSG Wetzlar, FSV Mainz 05 Frauen (als Trainer)
  • Größte Erfolge: Olympiasieger als Trainer mit Jugoslawien 1972, Weltmeister als Trainer mit Deutschland 1978, WM-Dritter mit Jugoslawien 1970, Europapokal-Finalist mit Medvescak Zagreb 1965 gegen Dinamo Bukarest, jugoslawischer Meister 1968 mit RK Crvenka, ein Länderspiel als Torwart für Jugoslawien
  • WM-Tipp: Es gibt vier heiße Kandidaten: Kroatien, Spanien, Frankreich und Deutschland

    (Von Thomas Hain, aus den Kieler Nachrichten vom 06.01.2007)


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