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02.09.2010 Interview

Zebra-Journal-Interview mit Filip Jicha: "Valeria hat mich besser gemacht"

Filip Jicha ist nach der Geburt seiner Tochter ein entspannterer Handballer geworden

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 27.08.2010:

Filip Jicha.
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Mit Filip Jicha, Rückraumstar des THW Kiel, sprach KN-Redakteur Wolf Paarmann.
Filip Jicha war der überragende Spieler der vergangenen Saison. In der Handball-Bundesliga zur Nummer eins gewählt, bei der Europameisterschaft in Österreich zum wertvollsten Spieler des Turniers. Der 28-jährige Tscheche war Torschützenkönig der EM und zum zweiten Mal in Folge bester Werfer in der Champions League, die er in seiner Karriere erstmals gewann. Nach dem Abschied von Stefan Lövgren und Nikola Karabatic übernahm der Rechtshänder die Rolle als Mittelmann und hatte wesentlichen Anteil daran, dass der THW trotz des fundamentalen Umbruchs in der Mannschaft und im Umfeld die Erfolgsspur nicht verließ. Jicha glänzte nicht nur als Mittelmann und Torschütze. Mit ihm als Wellenbrecher praktizierte der THW außerdem eine bärenstarke 3:2:1-Deckung, die unter anderem den HSV Handball knackte.
Zebra-Journal:
Daniel Narcisse verletzte sich beim Testspiel in Lüneburg am 6. Juli gegen Aragon schwer. Wie sehr hat der Kreuzbandriss des Franzosen Sie und die Mannschaft geschockt?
Filip Jicha:
Sehr. Beim Abendessen nach dem Spiel standen wir alle unter Schock. Wir haben nicht darüber gesprochen, daran gedacht haben alle. Es war ein Unglück, Szenen wie diese gibt es hunderte in einem Spiel. Aber: Er hatte schon einmal einen Kreuzbandriss, und konnte danach auch wieder springen wie ein Junger, er wird es diesmal auch scharfen. Für mich persönlich war es eine doppelt schwierige Situation, schließlich wurde ich für ihn eingewechselt. Für mich war das Spiel gelaufen, ich habe die letzten zehn Minuten lediglich irgendwie' auf dem Feld verbracht, bin jedem Zweikampf aus dem Weg gegangen. Es ist ein Unglück, dass es ausgerechnet Daniel erwischt hat. Er ist immer so gut drauf, immer freundlich. Er sorgt auf und neben dem Spielfeld für Schwung in der Mannschaft.
Zebra-Journal:
Sie haben ein spezielles Verhältnis zu ihm, oder?
Filip Jicha:
Ja, wir sind inzwischen Freunde geworden. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, auch weil ich der einzige Mittelmann war, der die Abläufe kannte, als er nach seiner Verletzung zurückgekehrt ist. Er ist ein super Typ, der auch nach Kiel gekommen ist, um endlich Erfolge mit einer Vereinsmannschaft zu feiern. Er hat mit der Nationalmannschaft alles gewonnen, mit einem Club, bis auf die französische Meisterschaft mit Chambery 2001, noch keinen großen Titel. Ich freue mich riesig für ihn, dass es gleich geklappt hat. Es war schön, mit ihm auf dem Rathausplatz zu feiern. Er hat es unheimlich genossen.
Zebra-Journal:
Denken Sie nach Verletzungen dieser Art, die einen Kollegen für mindestens sieben Monate pausieren lassen wird, über die Härte Ihres Sports nach?
Filip Jicha:
Ja und nein. Jeder Mensch hat viele Ängste, auch ich. Eine war, sich so zu verletzten, dass ich ein Jahr nicht mehr Handball spielen kann. Inzwischen sage ich mir aber, dass ich lieber drei Monate Handball mit Spaß spiele und mich dann verletze, als zehn Jahre auf einem Niveau, bei dem ich mich gar nicht verletzen kann. Aber auch keiner merkt, dass ich mitspiele. Es ist bitter, dass Verletzungen für uns Handballer in der Zwischenzeit die einzige Möglichkeit darstellen, dem Körper angesichts der Belastungen Erholung zu gönnen. Hätte ich mich mit Tschechien für die Handball-WM in Schweden qualifiziert (13. bis 30. Januar 2011, Anm. d. Red.), würdeich ab jetzt wieder elf Monate lang durchgehend Handball spielen. Ein Wahnsinn. Es ist pervers, dass ich auch froh darüber bin, mich nicht qualifiziert zuhaben. Obwohl ich wahnsinnig gerne dabei gewesen wäre. Handballer, die bei Spitzenvereinen spielen, werden dafür auch noch bestraft. Als ich in der Schweiz gespielt habe, hatte ich dieses Gefühl nie. Aber wir sind aii dieser Situation auch selbst schuld.
Zebra-Journal:
Wieso?
Filip Jicha:
Ein Pferdekuss schmerzt einen Fußballer genauso wie uns. Aber wir haben offensichtlich das Gefühl, dass wir Handballer härter sind oder härter sein müssen. Deshalb spielen wir einfach weiter. Die Fußballer kurieren die Verletzung einfach aus, bei uns summieren sich drei, vier Baustellen im Körper und das Ergebnis sind am Ende schwere Verletzungen. Wir Handballer machen einfach zu viel mit. Wahrscheinlich, weil alle es machen. Es ist unsere Natur. Noch schlimmer als die körperliche Belastung ist aber die mentale. Nach elf Monaten Handball ist der Kopf völlig leer. Wir spielen alle drei Tage, ich habe keine Zeit, um meine Eltern einmal zu besuchen, Weihnachten fällt aus. Abschalten ist fast unmöglich. Sechs Wochen Pause im Sommer wären super wichtig für den Körper und den Kopf.
Zebra-Journal:
Sie haben sich vor drei Jahren eine schwere Knieverletzung zugezogen. Wie hat Sie diese Zeit verändert?
Filip Jicha:
Ich habe Demut gelernt, diese fünfeinhalb Monate haben mich reifen lassen. Es sind am Ende doch nur ein paar Monate und ich spiele Handball seit meinem sechsten Lebensjahr. Ich sage nicht, dass ein Profisportler diese Erfahrungen machen muss. Aber es ist auch nicht schlecht, sie gemacht zu haben. Sie lehrt Geduld. Wenn ich beispielsweise bei einer Dehnübung einen Millimeter gewinnen will, muss ich dafür zwei Monate arbeiten. Das geht eben nicht von heute auf morgen. Ich habe viel Zeit gehabt, meinen Körper noch besser auf die Belastung vorzubereiten. Zeit, die im normalen Alltag, mit Spielen im Drei-Tage-Rhythmus, einfach fehlt. Ich habe gelernt, dass ich dem Körpepr etwas zurückgeben muss. Ich höre jetzt viel besser auf meinen Körper, der hier beim THW die optimale Pflege bekommt. Es war auch eine prägende Erfahrung zu erleben, wie verschieden die beiden Welten sind, in denen wir leben. Verletzt in der einen, fit in einer ganz anderen. Es hilft, trotz aller Erfolge auf dem Boden zu bleiben. Ich glaube von mir sagen zu können, dass ich mich als Mensch nicht verändert habe.
Zebra-Journal:
In der vergangenen Saison hatte der THW vier Mittelmänner. Nach dem Wechsel von Börge Lund zu den Löwen und der Verletzung von Narcisse sind es nur noch zwei. Zu wenig?
Filip Jicha:
Nein. Ich habe damals in der Hinrunde auch fast durchgehend auf dieser Position gespielt, weil Börge und Daniel lange verletzt gewesen sind. Für Aron Palmarsson ist es eine Chance, mehr Spielanteile zu bekommen. Er hat das Potenzial, auf dieser Position ein Weltklasse-Mann zu werden. Wenn er das werden möchte, muss er aber noch die nötige Konstanz zeigen, und das ist in der Bundesliga nicht einfach. Aron hat es selbst in der Hand, zu zeigen, dass er sich die Spielanteile auch verdient hat. Ich glaube, dass er es schaffen kann. Unsere Aufgabe wird sein, eine so erfolgreiche Hinrunde zu spielen, dass Narcisse nach seiner Rückkehr mit uns noch etwas gewinnen kann.
Zebra-Journal:
Wie haben Sie den THW Kiel im Jahr eins nach dem Abschied von Lövgren, Karabatic und Kavticnik erlebt?
Filip Jicha:
Alle waren heiß darauf, uns endlich zu schlagen. Die Konkurrenz war ja der Meinung, dass das bei uns ohne diese drei Topstars nichts werden könne. Außerdem hatten wir keinen Mittelmann. Ich habe es gemacht, aber eigentlich war es egal, wer diese Rolle ausfüllen würde. Es hätte auch Andreas Palicka machen können. Unsere Stärke ist, dass wir immer an uns glauben. Und, dass wir hart arbeiten. Auch wenn die Siege manchmal leicht aussehen, wissen wir immer, wie hart wir dafür arbeiten mussten. Uns ist klar, dass erst die Arbeit kommt und dann das Schöne. Dieser unglaubliche Monat in der vergangenen Saison, in dem wir Meister und Champions-League-Sieger geworden sind, hat uns unglaubliches Selbstvertrauen gegeben. Das war jetzt auch in der Vorbereitung zu sehen.
Zebra-Journal:
Sie wurden bei der EM in Österreich zuletzt zum wertvollsten Spieler gekürt, bei der WM in Schweden werden Sie und die Tschechen fehlen. Spielen Sie in der falschen Mannschaft?
Filip Jicha:
Nein. Über einen Wechsel meiner Staatsbürgerschaft wie beispielsweise Siarhei Rutenka (der Weißrusse wurde Slowene, dann Spanier, Anrn. der Red.) kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Ich bin damit einverstanden, ein Tscheche zu sein. Auch wenn ich weiß, dass ich nie Weltmeister oder Olympiasieger werden kann. Aber für uns war der achte Platz in Österreich eine Art Weltmeistertitel. Wir wurden mit Glückwünschen überhäuft, die Landsleute waren stolz auf uns, das war eine sehr schöne Belohnung für mich. Was ich persönlich schaffen kann, habe ich erreicht: Ich spiele bei der besten Vereinsmannschaft der Welt und habe die Champions League gewonnen - das war ein Kindertraum.
Zebra-Journal:
Stichwort Champions League. Sie waren in den beiden vergangenen Spielzeiten jeweils der beste Torschütze, haben aber ausgerechnet im Finale 2009 gegen Ciudad Real nicht zu Ihrer Leistung gefunden und beim "Final4" in Köln auch einen langen Anlauf gebraucht, warum?
Filip Jicha:
Es stimmt, dass ich persönlich nicht in der Lage gewesen bin, im Endspiel 2009 gegen Ciudad Real meine beste Leistung abzurufen. Ich habe mich damals zu sehr unter Druck gesetzt, mich damit blockiert. Mein Kopf hatte es mir nicht erlaubt, besser zu spielen. Beim "Final4 " in Köln war die Situation eine andere. Die ganze Mannschaft hat in den Spielen gegen Barcelona und Ciudad schlecht angefangen, dann kamen wir alle zurück. Auch ich. Auf dieses Turnier hatte ich mich mental gut vorbereitet, mir immer wieder eingeredet, dass auch eine erneute Niederlage keine Katastrophe sein würde. Es ist am Ende eben doch "nur" Handball. Wir hatten uns nur vorgenommen, dass wir auf keinen Fall aufgeben werden, egal, wie es steht. Die Geburt unserer Tochter Valeria vor einem Jahr hat es mir möglich gemacht, so zu denken. Ich bin durch sie ein besserer Handballer geworden, ist es ihr doch völlig egal, ob ich die Champions League gewinne oder nicht.
Zebra-Journal:
Sie waren der überragende Feldspieler der vergangenen Bundesliga-Saison, die Hamburger sollen hohe Summen aufgeboten haben, um Sie zu verpflichten. Was muss passieren, damit Filip Jicha den THW verlässt?
Filip Jicha:
Das wichtigste Argument für mich wäre die Zufriedenheit meiner Familie. Fühlt sich meine Frau Hana hier nicht mehr wohl, dann mussten wir gehen. Dann wäre Handball nur noch Arbeit für mich. Das ist aber nicht zu befürchten, wir alle fühlen uns hier pudelwohl. Meine Frau hat auch viele Freunde außerhalb des Handballs gefunden, das ist wichtig. Dass meine Familie glücklich ist, gibt mir die Möglichkeit, zu Hause vom Handball abzuschalten. Sportlich müsste viel passieren, damit ich diesen Verein verlasse. Kiel in der 2. Bundesliga, dann würde ich überlegen. Ich bin aber davon überzeugt, dass dieser Club auch noch zehn Jahre nach dem Karriereende von Filip Jicha noch ganz oben stehen wird.
Zebra-Journal:
Sie haben beim THW einen Vertrag bis 2014 unterschrieben, dann werden Sie 32 Jahre alt sein. Haben Sie schon eine Idee, was Sie danach machen werden?
Filip Jicha:
Ich möchte es so erklären: Im Training spielen wir regelmäßig Fußball, die Jungen geger die Alten. Ich gehöre noch zu den Jungen, so lange das noch so ist, werde ich mir über meine Zukunft keine Gedanken machen.
Zebra-Journal:
Und im Ernst...
Filip Jicha:
Ich denke tatsächlich nicht viel darüber nach. Sollte ich 2014 noch etwas haben, was ich der Mannschaft des THW Kiel geben kann, würde ich natürlich gerne bleiben.
Zebra-Journal:
Weltmeister werden Sie nicht mehr, mit dem THW haben Sie alle großen Titel gewonnen. Womit motivieren Sie sich denn jetzt noch?
Filip Jicha:
Ich muss oft an die ersten zehn 15 Sekunden nach dem Champions-League-Sieg denken. Leider sind meine Erinnerungen verblasst, ich weiß nur, dass es unbeschreiblich gewesen ist. Ich will diese Glücksmomente wieder erleben, ich spüre eine regelrechte Sucht danach. Der Hunger kommt beim Essen, dieses Sprichwort passt auf mich ganz gut. Außerdem beginnt jede Saison neu. Es kommen andere Spieler, manchmal reicht auch schon ein neues Trikot, so wie diesmal, um mich heiß zu machen. Es gibt immer etwas zu verbessern und wir, da bin ich mir sicher, können noch besseren Handball spielen. Ich sage nicht, dass wir das Triple gewinnen werden, da gehört auch eine Portion Glück dazu. Aber - wir haben die Möglichkeiten. Mit Daniel Kubes und Milutin Dragicevic haben wir uns auf Positionen verstärkt, auf denen wir Baustellen hatten. Außerdem sind wir viel eingespielter als in der vergangenen Saison.
Zebra-Journal:
Sie haben mit Kubes einst in Prag gemeinsam für Dukla gespielt. Was bedeutet es für Sie, jetzt wieder neben ihm im Mittelblock zu stehen?
Filip Jicha:
Er ist für mich ein Freund, aber auch ein Spiegel: An seiner Freude, für diesen Verein spielen zu dürfen, sehe ich, wie es mir vor drei Jahren gegangen ist. Er genießt, es, Teil dieser Mannschaft zu sein, lauter Weltklasse-Leute neben sich zu haben. Er wird sich hier sehr bemühen. Als ich damals als 18-Jähriger zu Dukla gekommen bin, haben wir auf der gleichen Position gespielt. Er war im linken Rückraum der große Star, aber ich der Lieblingsspieler des Trainers. Der setzte auf mich, Daniel, der damals schon eine sehr professionelle Einstellung hatte, ging nach Schweden. Vorwürfe hat es nie gegeben, das wäre auch nicht sein Niveau. Er ist ein besonderer Mensch, mit dem ich seitdem eng verbunden geblieben bin.
Zebra-Journal:
Was macht Filip Jicha, wenn die aktive Karriere beendet ist?
Filip Jicha:
Ich weiß nur, dass ich mit meiner Familie nach Tschechien gehen werde. Das ist meine Heimat, wahrscheinlich werden wir in Prag leben. Ich habe in Tschechien bereits eine Wohnung gekauft, Hana und ich sehen uns nach einem Haus um, in dem wir einmal leben können. Damit lassen wir uns aber Zeit. Ich freue mich schon jetzt darauf, dass ich dann mehr Freizeit haben werde, mich verbindlich mit Freunden verabreden kann. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, beispielsweise ein Leben wie Alfred (Gislason, Anm. d. Red.)zuführen. Als Trainer lebt er so wie wir, dann würde sich für mich ja nichts verändern. Aber vielleicht müsste ich auch nur eine zweijährige Pause einlegen, um dann doch Trainer zu werden. Ich weiß es wirklich noch nicht. Aber: Wir sind keine Fußballer, die nach der Karriere einfach aufhören. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, auch wenn unser Gehalt uns den Luxus erlaubt, sich ein, zwei Jahre in Ruhe nach einer Alternative umsehen zu können.
Zebra-Journal:
Sie und Hana sind bereits seit Jugendzeiten ein Paar. Warum haben Sie sie erst im Juli geheiratet?
Filip Jicha:
Ich hatte es eigentlich gar nicht vor. Für mich ist nicht die Heirat wichtig, sondern, dass wir eine Familie sind. Hana sieht das anders, sie hat lange damit gerechnet, dass ich sie fragen werde. Zuletzt nach der Geburt von Valeria. Alle haben mich danach gefragt, wann ich denn nun endlich heiraten werde. Deshalb habe ich es extra nicht gemacht. Wenn, dann sollte es überraschend sein. Und zu einem Zeitpunkt, den wir auch genießen können. Auch jetzt, nach der Hochzeit, hat sich für mich zwischen uns nichts geändert. Ich trage einen Ehering, aber sonst? Allerdings muss ich zugeben, dass die Hochzeit ein wunderschönes Erlebnis gewesen ist, dass ich nie vergessen werde. Eigentlich wollte ich im kleinsten Kreis feiern, nur mit den Eltern und Trauzeugen. Essen gehen, das hätte mir gereicht. Aber ich habe mich überreden lassen, auf einem kleinen Schloss in der Nähe unserer Geburtsstadt Pilsen in einem etwas größeren Kreis zu feiern. Und: Es war,wirklich ein ganz toller Tag.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 27.08.2010)


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