Im Gespräch mit Zebra-Redakteur zieht THW-Trainer
Noka Serdarusic eine Zwischenbilanz und
spricht über die Chancen des THW im Finale gegen Barcelona und in
der Bundesliga gegen Minden.
- Zebra:
-
Herr Serdarusic, zum Saisonstart haben Sie den THW Kiel selbst nie
in der Rolle des Favoriten gesehen. Sie starteten mit sieben Neuzugängen
und haben allerhand Verletzungssorgen zu verkraften. Trotzdem spielt oder
spielte Ihre Mannschaft in allen drei Wettbewerben ganz oben mit. Haben
Sie damit rechnen können oder sind Sie von Ihrer eigenen Mannschaft
überrascht worden?
- Noka Serdarusic:
-
Ich wäre vom bisherigen Saisonverlauf natürlich positiv
überrascht worden, wenn dieses verkorkste Spiel in Schwerin nicht gewesen
wäre. Diese bittere Niederlage durfte und musste nicht kommen. Das ärgert
mich noch heute. Ansonsten hätte ich bei sieben Neuzugängen durchaus
behaupten können, dass die Saison angesichts der Platzierungen optimal für
uns verlaufen sei. Wenn ich zuletzt immer von drei oder vier verletzten
Spielern gesprochen habe, habe ich
Demetrio Lozano und
Staffan Olsson noch
nicht einmal mit eingerechnet. Dabei trainiert
Lozano seit gut zwei
Monaten nicht mehr, sondern lässt sich nur noch von unserer medizinischen
Abteilung behandeln, um der Mannschaft in den Spielen bestmöglich zu
helfen. Dass er dann nicht die Leistung bringen kann, die wir alle von ihm
gewohnt sind, ist selbstverständlich. Ähnlich ergeht es
Olsson. Und beide
versuchen, jedes Mal ihr bestes für das Team zu geben. Doch das können nur
diejenigen richtig einschätzen, die die tatsächlichen Umstände kennen. Die
meisten Beobachter wollen davon jedoch leider nichts wissen.
- Zebra:
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Hat die Stärke der Mannschaft Ihre eigenen Erwartungen also
übertroffen?
- Noka Serdarusic:
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Bis zum Schwerin-Spiel war das aus meiner Sicht der Fall. Als
wir zu Saisonbeginn mit ein paar Minuspunkten weniger und einem kleinen
Vorsprung vor Lemgo und Magdeburg an der Spitze lagen, sprach der Rest der
Liga plötzlich schon wieder davon, der THW Kiel sei unschlagbar. Wir
selbst haben das niemals behauptet, sondern wir haben die ganze Liga im
Laufe der Saion vielmehr dazu gezwungen, über den THW Kiel zu sprechen.
Vor der Saison hatte noch keiner auf uns getippt, doch plötzlich wussten
es alle mal wieder besser. Es wurmt mich und läßt mir auch keine Ruhe, was
wohl gewesen wäre, wenn... Julio spricht noch kein Wort deutsch und
deswegen sind mit ihm noch keine taktischen Angriffe möglich,
Piotr Przybecki ist eine Riesenverstärkung, vom verletzten
Nikolaj Jacobsen will
ich gar nicht erst sprechen. Was wäre mit diesen Jungs alles möglich
gewesen? Darüber hätte ich mich schon sehr gefreut.
- Zebra:
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Sie scheinen sehr beeindruckt von Ihrer Mannschaft.
- Noka Serdarusic:
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Ja, das bin ich - bis auf Schwerin - In den Jahren ist man
Erfolge vom THW Kiel gewohnt und alle Welt erwartet das jedes Jahr aufs
Neue - selbst wenn wir die Mannschaft komplett austauschen würden. Doch
man darf nicht vergessen, dass wir sieben Neuzugänge ins Team zu
integrieren hatten. Soetwas dauert mitunter ein oder zwei Jahre. Uns gibt
man dafür nur ein paar Wochen.
- Zebra:
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Wie stark schätzen Sie den THW Kiel vor den EHF-Pokal-Finalspielen
gegen den FC Barcelona ein?
- Noka Serdarusic:
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Das kommt zum großen Teil auf unser Spiel in Minden an. Wir
werden alles versuchen, um dort zu gewinnen und neues Selbstvertrauen zu
tanken. Wir müssen unsere spielerische Linie wiederfinden, denn das war in
der Vergangenheit unsere große Stärke. Zuletzt haben wir diese Linie
sicher auch aufgrund der personellen Umstände ein wenig vermissen lassen.
Nur Stefan Lövgren konnte seine Verletzungssorgen bis Mitte der Woche
auskurieren. Doch gegen Barcelona wird jeder Spieler für zweimal eine
Stunde all seine Schmerzen vergessen und sein Allerbestes geben. Es kommt
auf diese zwei Stunden an. Ich bin mir sehr sicher, dass meine Mannschaft
hochmotiviert und engagiert ins Spiel gehen wird. Was am Ende für uns
dabei herauskommen wird, werden wir sehen. In Magdeburg haben wir dem SCM
zuletzt auch eine Halbzeit lang eine Lehrstunde erteilt und waren in den
zweiten dreißig Minuten wie weggeblasen. Genauso wie der FC Barcelona
unter die Räder geraten könnte, kann es auch umgekehrt sein. Wenn
Spitzenmannschaften aufeinander treffen, ist alles ist möglich.
- Zebra:
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Ist der FC Barcelona noch die gleiche Mannschaft, die der THW Kiel
aus den vergangenen beiden Jahren kennt?
- Noka Serdarusic:
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Nein, nicht ganz.
Barca hat zwei, drei Neuzugänge: einen Schweden auf Linksaußen und einen
Jugoslawen im linken Rückraum. Ansonsten aber ist die Mannschaft im
Wesentlichen unverändert geblieben. Allerdings hatte Barcelona einen
schlechten Start in die Saison und danach ein paar Unruhen und spielt
inzwischen auch nicht mehr um die spanische Meisterschaft. Sie
präsentieren sich momentan nicht mehr ganz so kompakt, wie wir es in der
Vergangenheit gewohnt waren.
- Zebra:
-
Werden die Spiele ähnlich knapp verlaufen wie in den letzten beiden
Jahren?
- Noka Serdarusic:
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In jedem Fall aber werden es zwei sehr schöne Spiele. Aber
selbst als Trainer weiß ich nicht, wie sie werden. Wenn ich es wüsste,
würde ich mein Geld mit Wetten verdienen und nicht mit diesem Stress.
- Zebra:
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Welche Bedeutung hat dieses Europapokal-Finale für den THW Kiel?
- Noka Serdarusic:
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Wenn ein Sportler jahrelang immer wieder gewinnt, dann will er
es auch immer wieder. Da kann man reden, was man will. Das erwarten unsere
Fans und die Anhänger des THW Kiel. Und das ist wohl auch normal und muss
so sein. Doch wie realistisch ist es im Sport tatsächlich immer alles zu
gewinnen? In der Meisterschaft sehen wir abgeschlagen aus, mit dem
Erreichen des Halbfinals im DHB-Pokal haben wir nicht unbedingt gerechnet
-ÿdas EHF-Pokalfinale ist eine nächste große Chance, für die wir uns alle
voll reinhängen werden. Wir können nicht darauf warten, ob eine weitere
noch einmal kommt. Und wenn der Gegner zudem FC Barcelona heißt, muss man
ganz einfach heiß auf ein solches Endspiel sein.
- Zebra:
-
Welche Bedeutung hat es für den gesamten deutschen Handball oder
die Bundesliga, dass in diesem Jahr gleich in allen drei Wettbewerben
deutschen Vereine im Finale stehen und den Spaniern damit erstmals wieder
zahlenmäßig überlegen sind?
- Noka Serdarusic:
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Die Bundesliga ist ohne Zweifel die stärkste Liga der Welt,
denn schließlich betrachten wir nicht nur zwei oder drei Topmannschaften
sondern die gesamte Liga. Mich würde es sehr freuen, wenn alle drei
deutschen Vereine jetzt die Europacups gewinnen und damit einen
eindeutigen Beweis dafür liefern würden. Dann wäre endlich Schluss mit
diesen nervigen Diskussionen. Der Handball würde in Deutschland an hohem
Stellenwert gewinnen.
Das Gespräch führte Sascha Klahn (living sports).