Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:
Er wurde gefeiert, geehrt und niemals vergessen.
Heinrich "Hein" Dahlinger blickt heute mit fast 81 Jahren auf ein
aufregendes Leben und eine großartige Handball-Karriere
zurück. Er ist in Kiel jedem Handball-Fan ein Begriff, und
auch weit über die Stadtgrenze hinaus ist der frühere
Weltklassespieler noch bekannt. Damals gehörte er zum
berühmten "Hasseer Wirbel" unter seinem damaligen Trainer und
nach eigener Aussage eigentlichen Macher des THW,
Fritz Westheider.
Heute sei er allerdings eher froh, die Spiele
von der Tribüne aus zu sehen: "Der Handball hat an Kraft und
Dynamik enorm zugenommen. Die Jungs würden unsere damalige
Truppe wahrscheinlich über den Haufen rennen", gesteht
Hein Dahlinger ganz ehrlich. "Ich wurde in meiner gesamten
Spielzeit kein einziges Mal verwarnt oder vom Platz
gestellt", sagt er und fügt lächelnd hinzu: "Es waren halt
andere Zeiten". Und noch andere Veränderungen beschreibt der
ehemalige Rückraumspieler mit ein wenig Belustigung. Während
heutzutage die Spielergehälter stetig steigen und für
Spielerwechsel teilweise hohe Ablösesummen fällig sind, war
man früher bescheidener: "Ich bekam als junger Mann bei
meinem Wechsel von Dietrichsdorf zum THW vom Verein ein altes
Fahrrad gestellt, damit ich zweimal die Woche zum Training
fahren konnte. Bus und Bahn oder dergleichen gab es damals
noch nicht."
Mit einem nach wie vor kräftigen Händedruck, einem klaren
Handball-Sachverstand und dem gewissen Funkeln in seinen
Augen, wenn er darüber spricht, stellt
Hein Dahlinger heute
eine lebende Legende dar. Lebendige Zeitgeschichte wird einem
hingegen auch beim Betrachten von den eingerahmten schwarz-weiß
Fotos an der Wand seiner Wohnung und seiner persönlichen
Archivierung der Zeitungsartikel und Fotos sämtlicher THW-
und Nationalmannschaftsspiele bewusst. Besonderes Highlight
darunter vielleicht eine persönliche Ehrung mit dem
Lorbeerblatt durch den ersten Bundespräsidenten
Nachkriegsdeutschlands, Theodor Heuss, nach der gewonnenen
Weltmeisterschaft in Bern. "Ein sehr netter Mensch", erinnert
sich "Hein". Am 6. März 1997 kam
Hein Dahlinger auch die
gebührende Ehre der Landeshauptstadt Kiel entgegen. Die neue
Sporthalle im Kieler Stadtteil Gaarden wurde nach dem Kieler
Handball-Idol benannt. Dies kam für ihn selbst zwar
"überraschend", stellt für ihn und besonders auch den THW
eine große Ehre dar.
Diese Ehre hat er sich wahrlich
verdient: 1922 geboren, gewann der "Jung vom Ostufer" in den
50er und 60er Jahren mit dem THW Kiel fünf Deutsche
Meisterschaften und mit der Nationalmannschaft zwei WM-Titel.
Dahlinger, dem seine Mitspieler den Spitznamen "Hein Daddel"
gaben, spielte vom 14. Lebensjahr an beim THW Kiel und
erzielte in 1871 Handballspielen insgesamt 5423 Tore. Den THW
führte er zu Meisterschaften im Feldhandball 1948 und 1950,
sowie in der Halle 1957, 1962 und 1963. In 38 Länderspielen
warf er 110 Tore, wurde 1952 und 1954 Weltmeister auf dem
Feld. Erst mit 44 Jahren hängte er die Handballschuhe an den
Nagel und fungierte später noch als Trainer der Kieler
Zebras. Bis heute sitzt Hein Dahlinger bei jedem THW-Heimspiel
mit seiner Frau in der Ostseehalle auf der Tribüne.
Bis vor relativ kurzer Zeit hielt sich das Idol im
"Ruhestand" sogar noch sportlich fit. "Segeln und Tennis sind
heute gesundheitlich leider nicht mehr drin", bedauert er und
fügt mit einem schmunzelnden Blick zu seiner Frau hinzu: "Und
Spazieren gehen find' ich nun wirklich zu langweilig...". So
begnügt sich
Dahlinger des öfteren mit Besuchen in seinem
Betrieb "Holz Dahlinger", den zwar mittlerweile seine Söhne
Uwe und Peter Dahlinger führen, für den er aber immer noch
einige Kontakte unterhält. "Ich habe mein Leben lang
gearbeitet. Man kennt sich und hin und wieder spricht man
natürlich auch über den Sport. Diese Kontakte sind für mich
heute wahrscheinlich von noch größerem Wert als damals - und
das meine ich weniger geschäftlich als vielleicht eher
freundschaftlich. Es macht mir Spaß und ich brauche das
einfach", sagt Hein Dahlinger. Thomas Fischer (living sports)
traf sich mit dem Altstar
Hein Dahlinger und tauchte mit
diesem für eine kurze Zeit tief ab in die Vergangenheit,
sprach mit ihm über Meisterschaften und Misserfolge, über
Vereins-Treue und Veränderungen - bis hin zurück in die
Zukunft.
- Zebra:
-
Was denken Sie über die neu zusammengesetzte Mannschaft des
THW? Ist die Auswahl Ihrer Meinung nach geglückt?
- Hein Dahlinger:
-
Es ist heutzutage ja eigentlich nicht ungewöhnlich, dass
Spieler kommen und gehen, selbst in der großen Anzahl, wie es
beim THW dieses Jahr geschah. Ich denke, es war notwendig,
man muss nur aufpassen, dass die Spieler auch zueinander
passen und das tun sie in diesem Fall allemal. Gerade die
beiden Schweden Boquist und
Ahlm haben bereits gezeigt, dass
sie eine gute Rolle spielen können, auch
Wagner und
Pungartnik gefallen mir immer besser. Besonders angetan bin
ich aber von Christian Zeitz, der auf Deutsch gesagt ein
"frecher Hund" ist. Er ist einer, der seinen eigenen Kopf hat
und ein Spiel schon mal alleine entscheiden kann. Aber auch
er wird natürlich noch lernen müssen, sich unterzuordnen.
Wichtig für die Mannschaft ist allerdings eine baldige
Rückkehr von Stefan Lövgren, der als Kapitän und mit seiner
Erfahrung in der Lage ist, das Spiel und die jüngeren Leute
zu leiten.
- Zebra:
-
Trauen Sie Ihm eine ähnliche Rolle zu wie damals
Magnus Wislander?
- Hein Dahlinger:
-
Ja, absolut!
- Zebra:
-
Die Saisonziele sind ja allgemein in dieser Saison auf Platz
3 oder zumindest einen der ersten 5 Plätze abgesteckt. Wann
glauben Sie an den nächsten Meistertitel des THW?
- Hein Dahlinger:
-
Also, ich habe Uwe Schwenker bereits prognostiziert: "Ihr
holt dieses Jahr den Titel." Die anderen Topteams der Liga
haben sich zwar auch unterschiedlich stark verstärkt, meiner
Meinung aber nicht so gut wie der THW. Und mit der starken
Unterstützung der Ostseehalle ist einiges drin.
- Zebra:
-
Andererseits sind andere Teams auch besser eingespielt und
die Flensburger wären theoretisch ja auch mal dran...
- Hein Dahlinger:
-
Natürlich, ich würde es ihnen ja sogar mal gönnen. Ich bin
jedoch in allererster Linie Zebra und ich glaube an die
Mannschaft!
- Zebra:
-
Sie sind dem THW Kiel ja über Ihre gesamte Handball-Karriere
treu geblieben. Haben Sie jemals daran gedacht, den Verein zu
wechseln?
- Hein Dahlinger:
-
Nein, nie! Ich kam damals als junger Mann vom NDTV aus
Neumühlen-Dietrichsdorf zum THW und war somit quasi der
einzige sogenannte "Ausländer", denn alle anderen Spieler
waren Hasseer Jungs. In diesem Verein bin ich gewachsen und
möchte diese Zeit auch auf gar keinen Fall missen.
- Zebra:
-
Es wurde damals also generell wenig von einem Verein zum
anderen gewechselt?
- Hein Dahlinger:
-
Ja, warum auch? Es fehlte natürlich auch die finanzielle
Attraktivität für einen solchen Wechsel, welcher bedeutet
hätte, dass man seine Heimat aufgibt und neue Arbeit finden
muss. Wir bekamen damals beispielsweise pro Spiel einen
Betrag von 5 DM bezahlt, für eine Deutsche Meisterschaft gab
es vielleicht 25 DM. Dafür waren wir eine tolle Gemeinschaft,
woraus echte, ehrliche Freundschaften entstanden, die soweit
möglich, noch bis heute anhalten. Die größeren Spielerwechsel
entstanden erst, als Gummersbach Anfang der 70er herum mehr
und mehr versuchte, andere Spieler an den Verein zu binden.
Ich persönlich habe noch damals als Trainer immer versucht,
die Mannschaft aus Kieler Jungs zusammenzusetzen, einzige
Ausnahme war damals Hartwig Moll, der aus Bordesholm zu uns
kam. Es wurde mehr Wert auf Jugendarbeit gesetzt, so mussten
z.B. die Spieler aus der ersten Mannschaft auch das Training
der Jugendmannschaften übernehmen. Dieses Prinzip lief sehr
erfolgreich.
- Zebra:
-
Wie kamen Sie eigentlich zum Handball?
- Hein Dahlinger:
-
Das hat sehr viel mit der Nachkriegsgeschichte Deutschlands
zu tun. Wir hatten damals kein Kino, nichts zum Tanzen oder
dergleichen - also gingen wir auf den Sportplatz. Allerdings
haben wir nur zweimal die Woche trainiert, das Spiel ist
wesentlich härter geworden. Bevor ich zum THW kam, wurde ich
in eine norddeutsche Auswahl berufen, in der ich fast der
einzige Nicht-Hasseer war. Als ich dann wenig später zum THW
ging, wurde mir erst richtig beigebracht, wie man Handball
spielt. Ich konnte ja im Prinzip nur schießen und geradeaus
laufen. Erst mein Trainer Fritz Westheider hat aus mir das
gemacht, was aus mir handballerisch geworden ist. Dieser Mann
wird leider viel zu oft vergessen, denn eigentlich müsste es
nicht heißen: "Dahlinger ist der THW", sondern "Westheider
ist der THW".
- Zebra:
-
Sie haben damals mit Feldhandball angefangen. Was war für Sie
persönlich attraktiver - Feld- oder Hallenhandball?
- Hein Dahlinger:
-
Ganz klar der Feldhandball! Bei Länderspielen hatten wir
teilweise 40000 Zuschauer, das waren riesige Ereignisse. Es
gab logischerweise wesentlich größere Freiräume, man konnte
auslaufen und das Spiel wurde mehr von der Taktik und Technik
bestimmt als von Kraft und Kondition. Ähnlich haben wir
natürlich versucht, diese Eigenschaften später auf die Halle
zu übertragen. Wir legten dabei wesentlich mehr Konzentration
auf die Deckungsarbeit als heute, denn wenn hinten kein Tor
fällt, läuft es vorne umso besser, weil der Gegner unsicherer
wird. Dadurch verlief ein Spiel aber auch langsamer und
dennoch spielerischer als heute.
- Zebra:
-
Wie kamen Sie zu Ihrem Spitznamen "Hein Daddel"?
- Hein Dahlinger:
-
Den Namen hat man mir gegeben, wenn das Spiel nicht so gut
lief. Meine Mitspieler riefen mir dann zu: "Hein Daddel,
los!", was so viel heißt, dass ich irgendetwas gemacht habe,
was aus der Reihe lief. Ich war "Instinkt-Handballer",
deshalb war es anfangs wohl auch sehr schwer, mich in die
richtigen Bahnen zu leiten. Manchmal kam es dazu, dass ich
alleine zum Tor durchbrach, den Ball aber nicht bekam, mit
der Begründung, ich sei noch nicht im Spielzug drin.
- Zebra:
-
Und wie stehen Sie zu dem THW-Maskottchen "Hein Daddel"?
- Hein Dahlinger:
-
Das find' ich toll! Es ist doch witzig und animiert die
Zuschauer vielleicht ein wenig, noch mehr aus sich heraus zu
gehen. Der Junge unter dem Kostüm hat wirklich keinen
leichten Job, darunter ist es ja bestimmt wahnsinnig heiß.
Außerdem hat das Zebra die schwarz-weißen Streifen, die ich
heute ein bisschen bei den Trikots vermisse.
- Zebra:
-
Wie steht es um das Handball-Erbgut der Familie Dahlinger?
Ist davon noch etwas erhalten geblieben?
- Hein Dahlinger:
-
Ja, ich denke schon. Meine Söhne waren beide sehr gute
Handballer und haben es bis in die Bundesliga geschafft. Uwe
hat damals für Flensburg am Kreis gespielt, Peter in
Süddeutschland als "Schlitzohr" im Rückraum. Jeder hat so
vielleicht ein bisschen von mir abbekommen. Der letzte aktiv
spielende Dahlinger ist heute mein Enkel Marcus, der in der
Oberliga für Mönkeberg spielt. Soweit es mir möglich ist,
schaue ich mir jedes seiner Heimspiele an und fühle mich
dabei manchmal in meine eigene Jugend zurückversetzt, wenn
man mal von der heutigen Härte des Handballs absieht. Ich bin
eigentlich immer dabei gewesen, wenn meine Jungs gespielt
haben, das macht mir Spaß und gehört sich meiner Meinung nach
auch so. Ich möchte gar nicht weg vom Sportplatz.
(Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", das Interview führte Thomas Fischer (living sports))