THW-Logo
01.10.2003 Interview / Geschichte

Ein Idol im "Ruhestand"

Hein Dahlinger über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des THW Kiel

Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:

Er wurde gefeiert, geehrt und niemals vergessen. Heinrich "Hein" Dahlinger blickt heute mit fast 81 Jahren auf ein aufregendes Leben und eine großartige Handball-Karriere zurück. Er ist in Kiel jedem Handball-Fan ein Begriff, und auch weit über die Stadtgrenze hinaus ist der frühere Weltklassespieler noch bekannt. Damals gehörte er zum berühmten "Hasseer Wirbel" unter seinem damaligen Trainer und nach eigener Aussage eigentlichen Macher des THW, Fritz Westheider.
Heute sei er allerdings eher froh, die Spiele von der Tribüne aus zu sehen: "Der Handball hat an Kraft und Dynamik enorm zugenommen. Die Jungs würden unsere damalige Truppe wahrscheinlich über den Haufen rennen", gesteht Hein Dahlinger ganz ehrlich. "Ich wurde in meiner gesamten Spielzeit kein einziges Mal verwarnt oder vom Platz gestellt", sagt er und fügt lächelnd hinzu: "Es waren halt andere Zeiten". Und noch andere Veränderungen beschreibt der ehemalige Rückraumspieler mit ein wenig Belustigung. Während heutzutage die Spielergehälter stetig steigen und für Spielerwechsel teilweise hohe Ablösesummen fällig sind, war man früher bescheidener: "Ich bekam als junger Mann bei meinem Wechsel von Dietrichsdorf zum THW vom Verein ein altes Fahrrad gestellt, damit ich zweimal die Woche zum Training fahren konnte. Bus und Bahn oder dergleichen gab es damals noch nicht."

Mit einem nach wie vor kräftigen Händedruck, einem klaren Handball-Sachverstand und dem gewissen Funkeln in seinen Augen, wenn er darüber spricht, stellt Hein Dahlinger heute eine lebende Legende dar. Lebendige Zeitgeschichte wird einem hingegen auch beim Betrachten von den eingerahmten schwarz-weiß Fotos an der Wand seiner Wohnung und seiner persönlichen Archivierung der Zeitungsartikel und Fotos sämtlicher THW- und Nationalmannschaftsspiele bewusst. Besonderes Highlight darunter vielleicht eine persönliche Ehrung mit dem Lorbeerblatt durch den ersten Bundespräsidenten Nachkriegsdeutschlands, Theodor Heuss, nach der gewonnenen Weltmeisterschaft in Bern. "Ein sehr netter Mensch", erinnert sich "Hein". Am 6. März 1997 kam Hein Dahlinger auch die gebührende Ehre der Landeshauptstadt Kiel entgegen. Die neue Sporthalle im Kieler Stadtteil Gaarden wurde nach dem Kieler Handball-Idol benannt. Dies kam für ihn selbst zwar "überraschend", stellt für ihn und besonders auch den THW eine große Ehre dar.

Hein Dahlinger: Erfolge ohne Ende.
Klicken Sie für weitere Infos! Hein Dahlinger: Erfolge ohne Ende.
Diese Ehre hat er sich wahrlich verdient: 1922 geboren, gewann der "Jung vom Ostufer" in den 50er und 60er Jahren mit dem THW Kiel fünf Deutsche Meisterschaften und mit der Nationalmannschaft zwei WM-Titel. Dahlinger, dem seine Mitspieler den Spitznamen "Hein Daddel" gaben, spielte vom 14. Lebensjahr an beim THW Kiel und erzielte in 1871 Handballspielen insgesamt 5423 Tore. Den THW führte er zu Meisterschaften im Feldhandball 1948 und 1950, sowie in der Halle 1957, 1962 und 1963. In 38 Länderspielen warf er 110 Tore, wurde 1952 und 1954 Weltmeister auf dem Feld. Erst mit 44 Jahren hängte er die Handballschuhe an den Nagel und fungierte später noch als Trainer der Kieler Zebras. Bis heute sitzt Hein Dahlinger bei jedem THW-Heimspiel mit seiner Frau in der Ostseehalle auf der Tribüne.

Bis vor relativ kurzer Zeit hielt sich das Idol im "Ruhestand" sogar noch sportlich fit. "Segeln und Tennis sind heute gesundheitlich leider nicht mehr drin", bedauert er und fügt mit einem schmunzelnden Blick zu seiner Frau hinzu: "Und Spazieren gehen find' ich nun wirklich zu langweilig...". So begnügt sich Dahlinger des öfteren mit Besuchen in seinem Betrieb "Holz Dahlinger", den zwar mittlerweile seine Söhne Uwe und Peter Dahlinger führen, für den er aber immer noch einige Kontakte unterhält. "Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Man kennt sich und hin und wieder spricht man natürlich auch über den Sport. Diese Kontakte sind für mich heute wahrscheinlich von noch größerem Wert als damals - und das meine ich weniger geschäftlich als vielleicht eher freundschaftlich. Es macht mir Spaß und ich brauche das einfach", sagt Hein Dahlinger. Thomas Fischer (living sports) traf sich mit dem Altstar Hein Dahlinger und tauchte mit diesem für eine kurze Zeit tief ab in die Vergangenheit, sprach mit ihm über Meisterschaften und Misserfolge, über Vereins-Treue und Veränderungen - bis hin zurück in die Zukunft.

Zebra:
Was denken Sie über die neu zusammengesetzte Mannschaft des THW? Ist die Auswahl Ihrer Meinung nach geglückt?
Hein Dahlinger:
Es ist heutzutage ja eigentlich nicht ungewöhnlich, dass Spieler kommen und gehen, selbst in der großen Anzahl, wie es beim THW dieses Jahr geschah. Ich denke, es war notwendig, man muss nur aufpassen, dass die Spieler auch zueinander passen und das tun sie in diesem Fall allemal. Gerade die beiden Schweden Boquist und Ahlm haben bereits gezeigt, dass sie eine gute Rolle spielen können, auch Wagner und Pungartnik gefallen mir immer besser. Besonders angetan bin ich aber von Christian Zeitz, der auf Deutsch gesagt ein "frecher Hund" ist. Er ist einer, der seinen eigenen Kopf hat und ein Spiel schon mal alleine entscheiden kann. Aber auch er wird natürlich noch lernen müssen, sich unterzuordnen. Wichtig für die Mannschaft ist allerdings eine baldige Rückkehr von Stefan Lövgren, der als Kapitän und mit seiner Erfahrung in der Lage ist, das Spiel und die jüngeren Leute zu leiten.
Zebra:
Trauen Sie Ihm eine ähnliche Rolle zu wie damals Magnus Wislander?
Hein Dahlinger:
Ja, absolut!
Zebra:
Die Saisonziele sind ja allgemein in dieser Saison auf Platz 3 oder zumindest einen der ersten 5 Plätze abgesteckt. Wann glauben Sie an den nächsten Meistertitel des THW?
Hein Dahlinger:
Also, ich habe Uwe Schwenker bereits prognostiziert: "Ihr holt dieses Jahr den Titel." Die anderen Topteams der Liga haben sich zwar auch unterschiedlich stark verstärkt, meiner Meinung aber nicht so gut wie der THW. Und mit der starken Unterstützung der Ostseehalle ist einiges drin.
Zebra:
Andererseits sind andere Teams auch besser eingespielt und die Flensburger wären theoretisch ja auch mal dran...
Hein Dahlinger:
Natürlich, ich würde es ihnen ja sogar mal gönnen. Ich bin jedoch in allererster Linie Zebra und ich glaube an die Mannschaft!
Zebra:
Sie sind dem THW Kiel ja über Ihre gesamte Handball-Karriere treu geblieben. Haben Sie jemals daran gedacht, den Verein zu wechseln?
Hein Dahlinger:
Nein, nie! Ich kam damals als junger Mann vom NDTV aus Neumühlen-Dietrichsdorf zum THW und war somit quasi der einzige sogenannte "Ausländer", denn alle anderen Spieler waren Hasseer Jungs. In diesem Verein bin ich gewachsen und möchte diese Zeit auch auf gar keinen Fall missen.
Zebra:
Es wurde damals also generell wenig von einem Verein zum anderen gewechselt?
Hein Dahlinger:
Ja, warum auch? Es fehlte natürlich auch die finanzielle Attraktivität für einen solchen Wechsel, welcher bedeutet hätte, dass man seine Heimat aufgibt und neue Arbeit finden muss. Wir bekamen damals beispielsweise pro Spiel einen Betrag von 5 DM bezahlt, für eine Deutsche Meisterschaft gab es vielleicht 25 DM. Dafür waren wir eine tolle Gemeinschaft, woraus echte, ehrliche Freundschaften entstanden, die soweit möglich, noch bis heute anhalten. Die größeren Spielerwechsel entstanden erst, als Gummersbach Anfang der 70er herum mehr und mehr versuchte, andere Spieler an den Verein zu binden. Ich persönlich habe noch damals als Trainer immer versucht, die Mannschaft aus Kieler Jungs zusammenzusetzen, einzige Ausnahme war damals Hartwig Moll, der aus Bordesholm zu uns kam. Es wurde mehr Wert auf Jugendarbeit gesetzt, so mussten z.B. die Spieler aus der ersten Mannschaft auch das Training der Jugendmannschaften übernehmen. Dieses Prinzip lief sehr erfolgreich.
Zebra:
Wie kamen Sie eigentlich zum Handball?
Hein Dahlinger:
Das hat sehr viel mit der Nachkriegsgeschichte Deutschlands zu tun. Wir hatten damals kein Kino, nichts zum Tanzen oder dergleichen - also gingen wir auf den Sportplatz. Allerdings haben wir nur zweimal die Woche trainiert, das Spiel ist wesentlich härter geworden. Bevor ich zum THW kam, wurde ich in eine norddeutsche Auswahl berufen, in der ich fast der einzige Nicht-Hasseer war. Als ich dann wenig später zum THW ging, wurde mir erst richtig beigebracht, wie man Handball spielt. Ich konnte ja im Prinzip nur schießen und geradeaus laufen. Erst mein Trainer Fritz Westheider hat aus mir das gemacht, was aus mir handballerisch geworden ist. Dieser Mann wird leider viel zu oft vergessen, denn eigentlich müsste es nicht heißen: "Dahlinger ist der THW", sondern "Westheider ist der THW".
Zebra:
Sie haben damals mit Feldhandball angefangen. Was war für Sie persönlich attraktiver - Feld- oder Hallenhandball?
Hein Dahlinger:
Noch heute in der Ostseehalle dabei: Hein Dahlinger.
Klicken Sie für weitere Infos! Noch heute in der Ostseehalle dabei: Hein Dahlinger.
Ganz klar der Feldhandball! Bei Länderspielen hatten wir teilweise 40000 Zuschauer, das waren riesige Ereignisse. Es gab logischerweise wesentlich größere Freiräume, man konnte auslaufen und das Spiel wurde mehr von der Taktik und Technik bestimmt als von Kraft und Kondition. Ähnlich haben wir natürlich versucht, diese Eigenschaften später auf die Halle zu übertragen. Wir legten dabei wesentlich mehr Konzentration auf die Deckungsarbeit als heute, denn wenn hinten kein Tor fällt, läuft es vorne umso besser, weil der Gegner unsicherer wird. Dadurch verlief ein Spiel aber auch langsamer und dennoch spielerischer als heute.
Zebra:
Wie kamen Sie zu Ihrem Spitznamen "Hein Daddel"?
Hein Dahlinger:
Den Namen hat man mir gegeben, wenn das Spiel nicht so gut lief. Meine Mitspieler riefen mir dann zu: "Hein Daddel, los!", was so viel heißt, dass ich irgendetwas gemacht habe, was aus der Reihe lief. Ich war "Instinkt-Handballer", deshalb war es anfangs wohl auch sehr schwer, mich in die richtigen Bahnen zu leiten. Manchmal kam es dazu, dass ich alleine zum Tor durchbrach, den Ball aber nicht bekam, mit der Begründung, ich sei noch nicht im Spielzug drin.
Zebra:
Und wie stehen Sie zu dem THW-Maskottchen "Hein Daddel"?
Hein Dahlinger:
Das find' ich toll! Es ist doch witzig und animiert die Zuschauer vielleicht ein wenig, noch mehr aus sich heraus zu gehen. Der Junge unter dem Kostüm hat wirklich keinen leichten Job, darunter ist es ja bestimmt wahnsinnig heiß. Außerdem hat das Zebra die schwarz-weißen Streifen, die ich heute ein bisschen bei den Trikots vermisse.
Zebra:
Wie steht es um das Handball-Erbgut der Familie Dahlinger? Ist davon noch etwas erhalten geblieben?
Hein Dahlinger:
Ja, ich denke schon. Meine Söhne waren beide sehr gute Handballer und haben es bis in die Bundesliga geschafft. Uwe hat damals für Flensburg am Kreis gespielt, Peter in Süddeutschland als "Schlitzohr" im Rückraum. Jeder hat so vielleicht ein bisschen von mir abbekommen. Der letzte aktiv spielende Dahlinger ist heute mein Enkel Marcus, der in der Oberliga für Mönkeberg spielt. Soweit es mir möglich ist, schaue ich mir jedes seiner Heimspiele an und fühle mich dabei manchmal in meine eigene Jugend zurückversetzt, wenn man mal von der heutigen Härte des Handballs absieht. Ich bin eigentlich immer dabei gewesen, wenn meine Jungs gespielt haben, das macht mir Spaß und gehört sich meiner Meinung nach auch so. Ich möchte gar nicht weg vom Sportplatz.
(Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", das Interview führte Thomas Fischer (living sports))


(01.10.2003) Ihre Meinung im Fan-Forum? Zur Newsübersicht Zur Hauptseite