Derzeit läuft die
Frauen-EM in Schweden.
Das Handball-Magazin führte in seiner Ausgabe 11/2006 ein Doppelinterview mit
Camilla und
Magnus Wislander.
Hier der Artikel mit freundlicher Genehmigung des Handball-Magazins.
Selbst im eigenen Land spielen die Männer nicht mit. Diesmal
jedoch nicht aufgrund einer verpatzten Qualifikation. Sie
dürfen einfach nicht, denn diese Europameisterschaft vom 7.
bis zum 17. Dezember in Schweden ist Frauensache. Darüber ist
zu reden mit Camilla und Magnus Wislander. Sie war
Nationalspielerin, er gewann zwei Welt- und vier
Europameisterschaften, war Ikone des THW Kiel und
Welthandballer des Jahrhunderts. hm-Redakteur Tim Oliver Kalle
traf die Wislanders in Göteborg.
- Handball-Magazin:
-
Wie stolz sind Sie derzeit, Frau Wislander?
- Camilla Wislander:
-
Worauf sollte ich stolz sein?
- Handball-Magazin:
-
Schwedens Frauen stehen bald im Fokus.
- Camilla Wislander:
-
Oh, ich glaube, das wird hier nicht so
viele Leute interessieren, weil
unsere Frauen noch nicht so erfolgreich sind. Sie müssen bei
der Europameisterschaft erst gute Spiele zeigen, sonst wird
dieses Turnier nicht so toll werden.
- Handball-Magazin:
-
Was bedeutet die EURO der Frauen für den Handball in
Schweden, Herr Wislander?
- Magnus Wislander:
-
Ganz viel. Die Männer haben sich nicht für
die WM 2007 qualifiziert. Alles, was über unseren Sport
geschrieben wird, ist gut für uns. Wenn wir durch die
Frauen ein paar Seiten in den Zeitungen und Zeitschriften
bekommen, nutzt das auch den Männern und vor allem unserer
Jugendarbeit.
- Handball-Magazin:
-
Wie wird Frauenhandball in Schweden wahrgenommen?
- Camilla Wislander:
-
Wahrscheinlich wie in Deutschland - es sind
im Prinzip zwei verschiedene Sportarten. Die Männer spielen
mehr mit Kraft, die Frauen mehr mit Kopf. Ganz anders eben.
Aber das war immer so, und so wird es auch bleiben.
- Handball-Magazin:
-
2002 erlebte Schweden eine große Männer-EM mit Ihrer
Mannschaft im Finale. Ist solch eine Euphorie wieder möglich?
- Magnus Wislander:
-
Nein, überhaupt nicht. Es wird sehr
schwierig, dass die Hallen überhaupt ausverkauft sein werden.
Man sollte zum Beispiel in Göteborg mit 5000 Zuschauern
zufrieden sein (Das Scandinavium fasst 12000 Zuschauer,
Anm.d.Red.). Ich hoffe, dass ich da falsch liege - aber es
wird ein bisschen schwieriger als bei unserer EM. Und das
Interesse für Frauenhandball ist hier nicht so groß wie in
Norwegen und Dänemark. Für eine tolle Atmosphäre müssen auch
diese Mannschaften weit kommen. Mit einem positiven Start hat
auch Schweden viele Zuschauer - aber nur mit Lachen und
schlechten Spielen geht das nicht.
- Handball-Magazin:
-
Welchen Stellenwert hat der Frauenhandball in Schweden?
- Camilla Wislander:
-
Wer selbst spielt, nimmt es ernst. Von den
Frauen ist allerdings kaum etwas zu lesen oder im TV zu sehen.
- Magnus Wislander:
-
Aber in diesem Jahr ist über sie viel mehr
als bisher geschrieben worden. Und das liegt an der EM.
- Handball-Magazin:
-
Über welche Stars lässt sich das Thema vermitteln?
- Camilla Wislander:
-
Zum Beispiel über unsere Torfrau Madeleine
Grundström, aber sie und fast alle anderen spielen in Dänemark
oder Norwegen und sind in Schweden selten präsent.
- Magnus Wislander:
-
Unsere Frauen sind
keine Stars. Sie können hier alle unerkannt durch die Stadt
laufen.
- Handball-Magazin:
-
Die Leichtathletik-EM in Göteborg setzte im August ganz
andere Maßstäbe.
- Camilla Wislander:
-
Da waren ja auch die großen Stars.
- Magnus Wislander:
-
Und wir hatten eine andere Jahreszeit. Die
ganze Stadt hat getanzt.
- Handball-Magazin:
-
Was können Schwedens Handballerinnen denn leisten?
- Camilla Wislander:
-
Es ist die Frage, ob sie stark genug sind.
Gute Mannschaften haben gute Individualisten - davon hat
Schweden nicht so viele. Darum wird es schwierig.
- Handball-Magazin:
-
Die Nationalmannschaft vertraut mit Ulf Schefvert auf
einen Trainer, der bisher ausschließlich mit Männern
gearbeitet hat.
- Magnus Wislander:
-
Ich glaube, dass ist sehr gut. Ulf ist
gewohnt, ein bisschen härter zu
arbeiten, und setzt seinen Willen durch. Ich kenne die Frauen
nicht so gut, aber ich denke, ab und zu gehen sie nicht über
diese gewisse Schmerzgrenze. Vielleicht bekommt Ulf sie dort
hin, dass sie ein bisschen mehr arbeiten. Sie werden von ihm
nicht wie Frauen behandelt, sondern ein bisschen wie Männer.
- Handball-Magazin:
-
Auch die Deutschen sind mit Armin Emrich einen ähnlichen
Weg gegangen.
- Magnus Wislander:
-
Es ist gut, dass die Frauen andere Luft
schnuppern, und auch für die Männer ist es gut, mal in eine
Frauenkabine zu kommen - zu lernen, sich zu ändern, vielleicht
etwas weicher und dadurch besser zu werden.
- Handball-Magazin:
-
Haben Sie auch ein Angebot als Frauen-Nationaltrainer
bekommen?
- Magnus Wislander:
-
Nein.
- Handball-Magazin:
-
Hätte Ihr Mann das denn gekonnt?
- Camilla Wislander:
-
Ich denke schon. Man muss ein bisschen mehr
Geduld als bei Männern haben.
- Handball-Magazin:
-
Wie ist insgesamt der Stellenwert des Frauensports?
- Camilla Wislander:
-
Solange sie nicht besser sind als Männer,
werden sie nicht ernst genommen. Bei Sportlerinnen wie zum
Beispiel der Leichtathletin Kajsa Bergquist ist das anders. Du
musst einfach zeigen, dass Du richtig gut bist.
- Magnus Wislander:
-
Unsere Fußballerinnen und
Eishockeyspielerinnen werden nach mehreren Medaillen ernst
genommen. Mit Erfolgen kommt auch das Interesse. Erst dann
gibt es keinen Unterschied. Und solange man Erfolg hat,
schwebt man.
- Handball-Magazin:
-
Unter Schefvert hat Schweden im Sommer bei den
Scandinavian Open erst Olympiasieger Dänemark und dann
Europameister Norwegen geschlagen.
- Camilla Wislander:
-
Norwegen wird in anderer Form zur EM
kommen. Diese Spielerinnen wissen schon, wann sie gut sein
müssen.
- Magnus Wislander:
-
Aber solche Ergebnisse sind wichtig für das
Selbstvertrauen. Da zählt nicht die Aufstellung, sondern der
Name der Nation, die man geschlagen hat. Unsere Frauen haben
sich selbst gezeigt, was möglich ist.
- Handball-Magazin:
-
Wie ist es in Schweden grundsätzlich um das Handball-
Interesse bestellt? Fachbücher oder -zeitschriften sind kaum
zu finden.
- Magnus Wislander:
-
Das stimmt. Sie müssen da im Internet
suchen. Es gibt kein spezielles Magazin, das man kaufen
könnte. Man hat hier eher ein allgemeines Interesse an Sport.
Und Handball hat in Schweden ein Problem: Die Leute, die nicht
selbst spielen oder deren Kinder nicht aktiv sind, die gehen
auch nicht zu den Spielen. Ihnen reicht das Fernsehen. Und für
die Aktiven gibt es zu wenig Trainingsmöglichkeiten - da
kannst Du Dir kein Spiel ansehen, wenn du selbst trainieren
musst. Es gibt einfach viel zu wenig richtige Fans.
- Camilla Wislander:
-
Dass sich Spieler andere Spiele angucken,
funktioniert nur im Fußball.
- Magnus Wislander:
-
Und so hast du Probleme, mehr Geld zu
bekommen und damit gute Spieler und Trainer zu bezahlen.
Leider ist das wirtschaftliche Niveau in Schweden im Vergleich
zu den neunziger Jahren zwei, drei Schritte zurückgegangen.
Dabei ist das Interesse an Handball eigentlich größer denn je,
aber wir haben keine Zeit, selbst zuzuschauen.
- Handball-Magazin:
-
Wie sind Sie in die EURO eingebunden?
- Camilla Wislander:
-
Ich werde die deutsche Mannschaft betreuen.
1994 bei der EM und 1997 bei der WM in Deutschland habe ich
Schweden und Norwegen begleitet.
- Handball-Magazin:
-
Und Sie sind wie bei den Männern wieder als Co-Kommentator
für das schwedische Fernsehen unterwegs?
- Magnus Wislander:
-
Nein, vielleicht werde ich in der Hauptrunde
etwas für das schwedische Radio tun und zudem an einigen
Pressekonferenzen teilnehmen. Ich muss in dieser Zeit noch
meine Jungs trainieren - wir haben mit Redbergslids während
der EM keine Pause.
- Handball-Magazin:
-
Wie ist die Lage in Ihrem Verein?
- Magnus Wislander:
-
Wirtschaftlich nicht so gut, sportlich sehr
gut - und mit 8:4 Punkten besser, als alle getippt haben.
- Handball-Magazin:
-
Hat es dazu aus der alten Kieler Heimat auch lobende Worte
von Zvonimir Serdarusic gegeben?
- Magnus Wislander:
-
Nein, Noka hat mit seiner Mannschaft genug
zu tun.
- Handball-Magazin:
-
Der THW Kiel hat den großen Traum, mit dem nochmals
verstärkten Kader die Champions League zu gewinnen.
- Magnus Wislander:
-
Das kann man nur hoffen.
- Handball-Magazin:
-
Sie waren ja 2000 gegen Barcelona ganz nah dran am Pokal.
- Magnus Wislander:
-
Eigentlich dachte ich schon, wir hätten ihn.
Es wird nicht einfach. Normal müssten Barcelona, Ciudad Real,
Kiel und vielleicht Flensburg im Halbfinale sein. Aber dann
hat man fast eine ganze Saison hinter sich, und da haben es
die Spanier immer etwas einfacher. Sie können sich in ihrer
Liga leichter auf die Champions League konzentrieren. In
Deutschland muss man immer volle Pulle gehen. Meister zu
werden hat deshalb vielleicht mehr Wert, als Champions League-Sieger
zu sein. Aber das ist immer ein schwieriger Balanceakt.
Vielleicht muss man sich für einen Wettbewerb entscheiden.
- Handball-Magazin:
-
Aber gerade Serdarusic will jedes Spiel gewinnen.
- Magnus Wislander:
-
Und dafür hatte er viele Jahre genau die
richtigen Leute. Etwas anderes schaffen weder die Schweden
noch die Deutschen. Dafür braucht man eine andere Mentalität.
Vielleicht gelingt es ja den Südländern, mal ein oder zwei
Spiele auszusetzen. Hier im Norden ist das schwieriger.
- Handball-Magazin:
-
Wie sieht Ihr normaler Alltag aus?
- Magnus Wislander:
-
Als Postbote habe ich verschiedene Bezirke,
die ich ab viertel vor sechs abfahre. Ich arbeite bis 15 Uhr,
komme nach Hause, esse mit den Kindern, fahre schnell zum
Training.
- Handball-Magazin:
-
Lieben Sie diesen Job?
- Magnus Wislander:
-
Ja, ich stehe gern früh morgens auf.
- Handball-Magazin:
-
Ein Jahrhundertfußballer lebte wahrscheinlich in südlicher
Sonne und gäbe sich dem Müßiggang hin.
- Magnus Wislander:
-
Vielleicht ist es ein Unterschied, was man
verdient hat. Und ich hätte kein gutes Leben, wenn ich nur
jeden Tag zuhause Däumchen drehte. Das ist nicht mein Ding.
Irgendwas muss ich schon tun. Ich hätte auch Vollzeittrainer
sein können, aber das will ich nicht. Ich habe zu viele Jahre
nur für den Handball gelebt, und irgendwann muss man auch an
andere Sachen denken. Vielleicht kann ich mich in ein paar
Jahren wieder voll auf Handball konzentrieren.
- Handball-Magazin:
-
Wäre dann die Bundesliga ein Traum, möglicherweise als
Nokas Nachfolger?
- Magnus Wislander:
-
Ich glaube, da muss man ganz vorsichtig
sein. Was ich als Spieler geleistet habe, kann ich als Trainer
ganz schnell wieder kaputt machen. In einem anderen Verein als
Kiel wäre es dann vielleicht für mich einfacher.
- Handball-Magazin:
-
In Flensburg?
- Magnus Wislander:
-
(lacht)
- Camilla Wislander:
-
Niemals.
- Handball-Magazin:
-
Ein Thema gibt es noch, über das geredet werden muss. Was
haben die schwedischen Jungs eigentlich falsch gemacht, dass
sie nicht bei der WM 2007 mitspielen dürfen?
- Camilla Wislander:
-
Die letzten zehn Minuten im Heimspiel gegen
Island.
- Handball-Magazin:
-
So leicht ist das zu erklären?
- Magnus Wislander:
-
Ja. Wenn man kein Psychologe ist und
nachforschen möchte. Gegen Island weiß man schon vorher, dass
man zuhause nicht mit fünf Toren gewinnen muss. Auswärts
spielt man nicht gegen 10000 fanatische Zuschauer. Man hätte
also ruhig mit einem Tor verlieren dürfen. Aber auf einmal
haben die Spieler Panik bekommen, auf die Uhr gesehen. Und
dann gibt es selbst bei routinierten Weltklasseleuten
Aktionen, die du nicht glauben kannst. Das hat nichts mit
Können, sondern nur mit Nerven zu tun. Eigentlich war Schweden
über die beiden Spiele das bessere Team, aber diese zehn
Minuten haben uns alles gekostet.
- Handball-Magazin:
-
Vor der WM 2007 spielt Deutschland dreimal gegen Schweden.
Werden Ihre Nachfolger dann mit aller Macht zeigen, dass auch
Sie ein WM-Teilnehmer hätten sein können?
- Magnus Wislander:
-
Ich weiß nicht, ob man das unbedingt machen
muss. Schweden muss sich auf die EM-Qualifikation vorbereiten,
und da spielt die Mannschaft im Januar gegen Belgien und
Bosnien-Herzegowina. Das Leben ist ab und zu etwas ungerecht
und schwierig.
- Handball-Magazin:
-
Und so wird weiter über die großen Alten wie Staffan Olsson
und Magnus Wislander gesprochen.
- Magnus Wislander:
-
Leider ist das wohl so. Wenn es schlecht
läuft, reden die Leute über vergangene Zeiten. Die Jungs wie
Kim Andersson und Jonas Larholm müssen Verantwortung
übernehmen und einsehen, was sie machen und mit welcher
Einstellung sie hingehen müssen. Es war nicht nur Glück, dass
wir ganz gut waren - wir haben uns auch angestrengt, um ganz
oben mitzuspielen.
- Handball-Magazin:
-
Was fehlt Ihnen bei den neuen Schweden?
- Magnus Wislander:
-
Es ist ganz einfach so, dass du dich nach
jedem Ball schmeißen und um jedes Tor kämpfen musst. Bis jetzt
waren die Jungen noch nicht zu hundert Prozent bereit und ab
und zu ein bisschen zu bequem. Und der Unterschied zwischen
Erfolg und Misserfolg ist sehr klein.
(Von Tim Oliver Kalle aus dem Handball-Magazin 11/2006)