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14.12.2006 Interview / Medien

"Handball-Magazin": Ich kann als Trainer alles ganz schnell kaputt machen

Was Camilla und Magnus Wislander über die EURO 06 der Frauen, Schwedens Männer und ihre Zukunft denken

Das Handball-Magazin.
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Derzeit läuft die Frauen-EM in Schweden. Das Handball-Magazin führte in seiner Ausgabe 11/2006 ein Doppelinterview mit Camilla und Magnus Wislander. Hier der Artikel mit freundlicher Genehmigung des Handball-Magazins.
Selbst im eigenen Land spielen die Männer nicht mit. Diesmal jedoch nicht aufgrund einer verpatzten Qualifikation. Sie dürfen einfach nicht, denn diese Europameisterschaft vom 7. bis zum 17. Dezember in Schweden ist Frauensache. Darüber ist zu reden mit Camilla und Magnus Wislander. Sie war Nationalspielerin, er gewann zwei Welt- und vier Europameisterschaften, war Ikone des THW Kiel und Welthandballer des Jahrhunderts. hm-Redakteur Tim Oliver Kalle traf die Wislanders in Göteborg.
Handball-Magazin:
Wie stolz sind Sie derzeit, Frau Wislander?
Camilla Wislander:
Worauf sollte ich stolz sein?
Handball-Magazin:
Schwedens Frauen stehen bald im Fokus.
Camilla Wislander:
Oh, ich glaube, das wird hier nicht so viele Leute interessieren, weil unsere Frauen noch nicht so erfolgreich sind. Sie müssen bei der Europameisterschaft erst gute Spiele zeigen, sonst wird dieses Turnier nicht so toll werden.
Handball-Magazin:
Was bedeutet die EURO der Frauen für den Handball in Schweden, Herr Wislander?
Magnus Wislander:
Ganz viel. Die Männer haben sich nicht für die WM 2007 qualifiziert. Alles, was über unseren Sport geschrieben wird, ist gut für uns. Wenn wir durch die Frauen ein paar Seiten in den Zeitungen und Zeitschriften bekommen, nutzt das auch den Männern und vor allem unserer Jugendarbeit.
Handball-Magazin:
Wie wird Frauenhandball in Schweden wahrgenommen?
Camilla Wislander:
Wahrscheinlich wie in Deutschland - es sind im Prinzip zwei verschiedene Sportarten. Die Männer spielen mehr mit Kraft, die Frauen mehr mit Kopf. Ganz anders eben. Aber das war immer so, und so wird es auch bleiben.
Handball-Magazin:
2002 erlebte Schweden eine große Männer-EM mit Ihrer Mannschaft im Finale. Ist solch eine Euphorie wieder möglich?
Magnus Wislander:
Nein, überhaupt nicht. Es wird sehr schwierig, dass die Hallen überhaupt ausverkauft sein werden. Man sollte zum Beispiel in Göteborg mit 5000 Zuschauern zufrieden sein (Das Scandinavium fasst 12000 Zuschauer, Anm.d.Red.). Ich hoffe, dass ich da falsch liege - aber es wird ein bisschen schwieriger als bei unserer EM. Und das Interesse für Frauenhandball ist hier nicht so groß wie in Norwegen und Dänemark. Für eine tolle Atmosphäre müssen auch diese Mannschaften weit kommen. Mit einem positiven Start hat auch Schweden viele Zuschauer - aber nur mit Lachen und schlechten Spielen geht das nicht.
Handball-Magazin:
Welchen Stellenwert hat der Frauenhandball in Schweden?
Camilla Wislander:
Wer selbst spielt, nimmt es ernst. Von den Frauen ist allerdings kaum etwas zu lesen oder im TV zu sehen.
Magnus Wislander:
Aber in diesem Jahr ist über sie viel mehr als bisher geschrieben worden. Und das liegt an der EM.
Handball-Magazin:
Über welche Stars lässt sich das Thema vermitteln?
Camilla Wislander:
Zum Beispiel über unsere Torfrau Madeleine Grundström, aber sie und fast alle anderen spielen in Dänemark oder Norwegen und sind in Schweden selten präsent.
Magnus Wislander:
Unsere Frauen sind keine Stars. Sie können hier alle unerkannt durch die Stadt laufen.
Handball-Magazin:
Die Leichtathletik-EM in Göteborg setzte im August ganz andere Maßstäbe.
Camilla Wislander:
Da waren ja auch die großen Stars.
Magnus Wislander:
Und wir hatten eine andere Jahreszeit. Die ganze Stadt hat getanzt.
Handball-Magazin:
Was können Schwedens Handballerinnen denn leisten?
Camilla Wislander:
Es ist die Frage, ob sie stark genug sind. Gute Mannschaften haben gute Individualisten - davon hat Schweden nicht so viele. Darum wird es schwierig.
Handball-Magazin:
Die Nationalmannschaft vertraut mit Ulf Schefvert auf einen Trainer, der bisher ausschließlich mit Männern gearbeitet hat.
Magnus Wislander:
Ich glaube, dass ist sehr gut. Ulf ist gewohnt, ein bisschen härter zu arbeiten, und setzt seinen Willen durch. Ich kenne die Frauen nicht so gut, aber ich denke, ab und zu gehen sie nicht über diese gewisse Schmerzgrenze. Vielleicht bekommt Ulf sie dort hin, dass sie ein bisschen mehr arbeiten. Sie werden von ihm nicht wie Frauen behandelt, sondern ein bisschen wie Männer.
Handball-Magazin:
Auch die Deutschen sind mit Armin Emrich einen ähnlichen Weg gegangen.
Magnus Wislander:
Es ist gut, dass die Frauen andere Luft schnuppern, und auch für die Männer ist es gut, mal in eine Frauenkabine zu kommen - zu lernen, sich zu ändern, vielleicht etwas weicher und dadurch besser zu werden.
Handball-Magazin:
Haben Sie auch ein Angebot als Frauen-Nationaltrainer bekommen?
Magnus Wislander:
Nein.
Handball-Magazin:
Hätte Ihr Mann das denn gekonnt?
Camilla Wislander:
Ich denke schon. Man muss ein bisschen mehr Geduld als bei Männern haben.
Handball-Magazin:
Wie ist insgesamt der Stellenwert des Frauensports?
Camilla Wislander:
Solange sie nicht besser sind als Männer, werden sie nicht ernst genommen. Bei Sportlerinnen wie zum Beispiel der Leichtathletin Kajsa Bergquist ist das anders. Du musst einfach zeigen, dass Du richtig gut bist.
Magnus Wislander:
Unsere Fußballerinnen und Eishockeyspielerinnen werden nach mehreren Medaillen ernst genommen. Mit Erfolgen kommt auch das Interesse. Erst dann gibt es keinen Unterschied. Und solange man Erfolg hat, schwebt man.
Handball-Magazin:
Unter Schefvert hat Schweden im Sommer bei den Scandinavian Open erst Olympiasieger Dänemark und dann Europameister Norwegen geschlagen.
Camilla Wislander:
Norwegen wird in anderer Form zur EM kommen. Diese Spielerinnen wissen schon, wann sie gut sein müssen.
Magnus Wislander:
Aber solche Ergebnisse sind wichtig für das Selbstvertrauen. Da zählt nicht die Aufstellung, sondern der Name der Nation, die man geschlagen hat. Unsere Frauen haben sich selbst gezeigt, was möglich ist.
Handball-Magazin:
Wie ist es in Schweden grundsätzlich um das Handball- Interesse bestellt? Fachbücher oder -zeitschriften sind kaum zu finden.
Magnus Wislander:
Das stimmt. Sie müssen da im Internet suchen. Es gibt kein spezielles Magazin, das man kaufen könnte. Man hat hier eher ein allgemeines Interesse an Sport. Und Handball hat in Schweden ein Problem: Die Leute, die nicht selbst spielen oder deren Kinder nicht aktiv sind, die gehen auch nicht zu den Spielen. Ihnen reicht das Fernsehen. Und für die Aktiven gibt es zu wenig Trainingsmöglichkeiten - da kannst Du Dir kein Spiel ansehen, wenn du selbst trainieren musst. Es gibt einfach viel zu wenig richtige Fans.
Camilla Wislander:
Dass sich Spieler andere Spiele angucken, funktioniert nur im Fußball.
Magnus Wislander:
Und so hast du Probleme, mehr Geld zu bekommen und damit gute Spieler und Trainer zu bezahlen. Leider ist das wirtschaftliche Niveau in Schweden im Vergleich zu den neunziger Jahren zwei, drei Schritte zurückgegangen. Dabei ist das Interesse an Handball eigentlich größer denn je, aber wir haben keine Zeit, selbst zuzuschauen.
Handball-Magazin:
Wie sind Sie in die EURO eingebunden?
Camilla Wislander:
Ich werde die deutsche Mannschaft betreuen. 1994 bei der EM und 1997 bei der WM in Deutschland habe ich Schweden und Norwegen begleitet.
Handball-Magazin:
Und Sie sind wie bei den Männern wieder als Co-Kommentator für das schwedische Fernsehen unterwegs?
Magnus Wislander:
Nein, vielleicht werde ich in der Hauptrunde etwas für das schwedische Radio tun und zudem an einigen Pressekonferenzen teilnehmen. Ich muss in dieser Zeit noch meine Jungs trainieren - wir haben mit Redbergslids während der EM keine Pause.
Handball-Magazin:
Wie ist die Lage in Ihrem Verein?
Magnus Wislander:
Wirtschaftlich nicht so gut, sportlich sehr gut - und mit 8:4 Punkten besser, als alle getippt haben.
Handball-Magazin:
Hat es dazu aus der alten Kieler Heimat auch lobende Worte von Zvonimir Serdarusic gegeben?
Magnus Wislander:
Nein, Noka hat mit seiner Mannschaft genug zu tun.
Handball-Magazin:
Der THW Kiel hat den großen Traum, mit dem nochmals verstärkten Kader die Champions League zu gewinnen.
Magnus Wislander:
Das kann man nur hoffen.
Handball-Magazin:
Sie waren ja 2000 gegen Barcelona ganz nah dran am Pokal.
Magnus Wislander:
Eigentlich dachte ich schon, wir hätten ihn. Es wird nicht einfach. Normal müssten Barcelona, Ciudad Real, Kiel und vielleicht Flensburg im Halbfinale sein. Aber dann hat man fast eine ganze Saison hinter sich, und da haben es die Spanier immer etwas einfacher. Sie können sich in ihrer Liga leichter auf die Champions League konzentrieren. In Deutschland muss man immer volle Pulle gehen. Meister zu werden hat deshalb vielleicht mehr Wert, als Champions League-Sieger zu sein. Aber das ist immer ein schwieriger Balanceakt. Vielleicht muss man sich für einen Wettbewerb entscheiden.
Handball-Magazin:
Aber gerade Serdarusic will jedes Spiel gewinnen.
Magnus Wislander:
Und dafür hatte er viele Jahre genau die richtigen Leute. Etwas anderes schaffen weder die Schweden noch die Deutschen. Dafür braucht man eine andere Mentalität. Vielleicht gelingt es ja den Südländern, mal ein oder zwei Spiele auszusetzen. Hier im Norden ist das schwieriger.
Handball-Magazin:
Wie sieht Ihr normaler Alltag aus?
Magnus Wislander:
Als Postbote habe ich verschiedene Bezirke, die ich ab viertel vor sechs abfahre. Ich arbeite bis 15 Uhr, komme nach Hause, esse mit den Kindern, fahre schnell zum Training.
Handball-Magazin:
Lieben Sie diesen Job?
Magnus Wislander:
Ja, ich stehe gern früh morgens auf.
Handball-Magazin:
Ein Jahrhundertfußballer lebte wahrscheinlich in südlicher Sonne und gäbe sich dem Müßiggang hin.
Magnus Wislander:
Vielleicht ist es ein Unterschied, was man verdient hat. Und ich hätte kein gutes Leben, wenn ich nur jeden Tag zuhause Däumchen drehte. Das ist nicht mein Ding. Irgendwas muss ich schon tun. Ich hätte auch Vollzeittrainer sein können, aber das will ich nicht. Ich habe zu viele Jahre nur für den Handball gelebt, und irgendwann muss man auch an andere Sachen denken. Vielleicht kann ich mich in ein paar Jahren wieder voll auf Handball konzentrieren.
Handball-Magazin:
Wäre dann die Bundesliga ein Traum, möglicherweise als Nokas Nachfolger?
Magnus Wislander:
Ich glaube, da muss man ganz vorsichtig sein. Was ich als Spieler geleistet habe, kann ich als Trainer ganz schnell wieder kaputt machen. In einem anderen Verein als Kiel wäre es dann vielleicht für mich einfacher.
Handball-Magazin:
In Flensburg?
Magnus Wislander:
(lacht)
Camilla Wislander:
Niemals.
Handball-Magazin:
Ein Thema gibt es noch, über das geredet werden muss. Was haben die schwedischen Jungs eigentlich falsch gemacht, dass sie nicht bei der WM 2007 mitspielen dürfen?
Camilla Wislander:
Die letzten zehn Minuten im Heimspiel gegen Island.
Handball-Magazin:
So leicht ist das zu erklären?
Magnus Wislander:
Ja. Wenn man kein Psychologe ist und nachforschen möchte. Gegen Island weiß man schon vorher, dass man zuhause nicht mit fünf Toren gewinnen muss. Auswärts spielt man nicht gegen 10000 fanatische Zuschauer. Man hätte also ruhig mit einem Tor verlieren dürfen. Aber auf einmal haben die Spieler Panik bekommen, auf die Uhr gesehen. Und dann gibt es selbst bei routinierten Weltklasseleuten Aktionen, die du nicht glauben kannst. Das hat nichts mit Können, sondern nur mit Nerven zu tun. Eigentlich war Schweden über die beiden Spiele das bessere Team, aber diese zehn Minuten haben uns alles gekostet.
Handball-Magazin:
Vor der WM 2007 spielt Deutschland dreimal gegen Schweden. Werden Ihre Nachfolger dann mit aller Macht zeigen, dass auch Sie ein WM-Teilnehmer hätten sein können?
Magnus Wislander:
Ich weiß nicht, ob man das unbedingt machen muss. Schweden muss sich auf die EM-Qualifikation vorbereiten, und da spielt die Mannschaft im Januar gegen Belgien und Bosnien-Herzegowina. Das Leben ist ab und zu etwas ungerecht und schwierig.
Handball-Magazin:
Und so wird weiter über die großen Alten wie Staffan Olsson und Magnus Wislander gesprochen.
Magnus Wislander:
Leider ist das wohl so. Wenn es schlecht läuft, reden die Leute über vergangene Zeiten. Die Jungs wie Kim Andersson und Jonas Larholm müssen Verantwortung übernehmen und einsehen, was sie machen und mit welcher Einstellung sie hingehen müssen. Es war nicht nur Glück, dass wir ganz gut waren - wir haben uns auch angestrengt, um ganz oben mitzuspielen.
Handball-Magazin:
Was fehlt Ihnen bei den neuen Schweden?
Magnus Wislander:
Es ist ganz einfach so, dass du dich nach jedem Ball schmeißen und um jedes Tor kämpfen musst. Bis jetzt waren die Jungen noch nicht zu hundert Prozent bereit und ab und zu ein bisschen zu bequem. Und der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ist sehr klein.

(Von Tim Oliver Kalle aus dem Handball-Magazin 11/2006)


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