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03.02.2007 WM 2007 / Nationalmannschaft

Kieler Nachrichten: Zwischen Euphorie und Erschöpfung

Fans wollten feiern, die Mannschaft nur noch schlafen - Tränen auf der Tribüne

Aus den Kieler Nachrichten vom 03.02.2007:

Köln - Direkt nach dem Schlusspfiff, der am Donnerstag den Finaleinzug gegen Polen perfekt machte, schnappte sich Henning Fritz den Spielball, riss ihn in die Höhe und präsentierte ihn der brodelnden Fan-Menge als wäre es bereits der Weltpokal. Dann startete Fritz losgelöst zu einer Runde um die Kölnarena. Er schaffte nur ein Viertel, der eigenen ihn hetzenden Spielermeute konnte der deutsche Torhüter nicht entkommen: Die Siegesparty nach dem Halbfinal-Triumph über die Franzosen war eröffnet.
Erst der gemeinsame Tanz auf dem Parkett, dann forschten die Helden nach Angehörigen und Freunden, die überall auf der Tribüne verstreut saßen. Sebastian Preiß bahnte sich den Weg zu den Spielerfrauen, die allesamt in den Trikots ihrer Männer Platz genommen hatten. "Ich musste nicht lange suchen, meine Frau trägt meine Rückennummer", scherzte der Lemgoer. Christian Schwarzer entdeckte Sohn Kian-Maurice auf dem Arm seiner Frau, rannte die 40 Stufen hinauf und drückte den Sechsjährigen, der heulte wie ein Schlosshund, an seine Brust. "Er hatte mich so lange nicht gesehen und mich sehr vermisst", sagte der 37-Jährige. "Das war ein bewegender Moment." Nur ein paar Meter weiter sank Holger Glandorf in die Arme seines Vaters. Er habe beinahe einen Herzinfarkt erlitten, schnappte Glandorf senior nach Luft, nahm einen Zug aus seiner Zigarette und schüttete Lob über das DHB-Team. "Tolle Jungs, eine großartige Mannschaft. Wo soll das nur hinführen?"

Erst einmal ins Finale morgen (16.30 Uhr, ARD) gegen Polen. Christian Zeitz ist für dieses Spiel wohl noch auf Kartensuche. Der Kieler schlich sich in der Mixed Zone erneut wortlos an den Journalisten vorbei, trug aber mit schelmischem Grinsen ein weißes Blatt Papier vor sich her: "Suche zwei Tickets fürs Finale". Nach dem Kampf auf Biegen und Brechen mit zweimaliger Verlängerung gegen die Franzosen blieb auch Florian Kehrmann zunächst sprachlos. Er habe sich noch nie in seiner Karriere so kaputt gefühlt wie in diesen Momenten, gestand er gestern. "Ich konnte den Körper nicht mehr bewegen, konnte nicht einmal mehr eine Wasserflasche halten oder den Stift führen, um Kindern die Autogrammwünsche zu erfüllen." Er habe einzig die Kabine vor Augen und im Sinn gehabt. "Das war mein Ziel, ich wollte mich nur noch hinlegen und ausruhen."

Ins Heiligtum der Männer fanden an diesem Freudentag ausnahmsweise auch die Spielerfrauen Einlass. Mit Karnevalslaune ging es dann per Bus zum Mannschaftshotel nach Wiehl, das gegen 23 Uhr angesteuert wurde. Dort erlebten Bundestrainer Heiner Brand und sein Team einen Vorgeschmack darauf, was geschehen könnte, wenn morgen der große Wurf gegen die Polen tatsächlich gelänge: Rund 800 Fans bevölkerten Parkplätze und Hotelanlage, zündeten ein Feuerwerk und wollten mit den Handballern feiern. "Wir mussten uns durch diese Traube von Menschen durchkämpfen, jeder hat uns angefasst, es war irre", beschreibt Dominik Klein den Menschenauflauf in jener Bergischen Gemeinde, die in diesen Tagen zum Nabel handballverrückter Deutscher geworden ist.

Die Party "ohne Bier" (Torsten Jansen) hielt noch bis gegen zwei Uhr morgens durch. Florian Kehrmann schwenkte eine riesige Deutschlandfahne aus dem Fenster, Dominik Klein spielte per Megaphon den Vorsänger für einen 800-Stimmen-Chor, und der Bundestrainer gab nach einiger Zeit den "Wir-wollen-Heiner-sehen-Rufen" nach und zeigte sich an einem Fenster. Dann kroch die Müdigkeit in alle Glieder. "Kein Problem für uns", erzählte HSV-Ass Torsten Jansen am Morgen danach. "Jeder durfte schlafen, so lange er wollte, außerdem hatten wir den Tag frei." Trotzdem will der Hamburger das Erlebte erst einmal komplett verdrängen. "Wenn ich jetzt über diese gewaltige Euphorie nachdenke, könnte ich am Sonntag gar nicht spielen."

(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 03.02.2007)


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