Von Olaf Bruchmann, aus der "Handball-Woche" 33/2007:
KIEL - Es ist nicht leicht,
hinter das Geheimnis
des Kieler Erfolges zu
kommen. Undurchdringlich
wirkt das
Geflecht beim
Turnverein Hassee-Winterbek Kiel
zuerst. Wer macht
was? Wer hat
das Sagen? Ein
wenig unüberschaubar
das Ganze.
Zunächst. Denn
sehr viele kleine
Puzzleteilchen
fügen sich zum
erfolgreichsten
deutschen
Handball-Club zusammen.
Es
ist nicht
so leicht
nachzuvollziehen,
was
den unglaublichen
Erfolg ausmacht. Ist
ja auch klar. Sonst könnte
das ja jeder: Immer gewinnen,
nie verlieren, so viele Titel feiern.
Das Geheimnis des THW Kiel,
des Branchenführers der Liga, des
deutschen Rekordmeisters scheint
nicht so einfach zu erklären. Es ist
vielschichtig, wirkt enorm komplex,
fast so wie das Spiel selber.
Die Spieler, die im schwarz-weißen
Dress der Zebras auflaufen, wissen es
auch nicht so recht, haben Schwierigkeiten
es zu formulieren. Linksaußen
Dominik Klein, erst seit einem
Jahr ein Kieler, komprimiert
seine persönliche Meinung
über den unglaublichen
Erfolg
an der Förde in
nur zwei Worte:
"Respekt untereinander".
Frankreichs Superstar Nikola
Karabatic, der beste Spieler dieser so
unglaublichen Saison 2006/07, in
der Kiel den deutschen Pokal, die
Meisterschaft und auch noch den
Champions League-Pokal gewann,
formuliert es ähnlich knapp: "Wir
haben einfach Spaß!"
Respekt und Spaß - als ob das so
einfach wäre. Und als ob das reichen
würde, sich von der Konkurrenz so
abzusetzen.
Es gibt sicher viel mehr Gründe für
den Erfolg: Die Ostseehalle, ständig
ausverkauft mit über 10.000 Zuschauern,
eine riesige Fangemeinde, volle
Aufmerksamkeit in der Stadt, weil
wenig sportliche Konkurrenz, eine
große Anzahl an potenten Sponsoren,
eine Einkaufspolitik, die ganz selten
verfehlt, eine starkes Management, beispielhafte
Pressearbeit und natürlich:
Weltklasse- Spieler. Die Liste ließe sich
lange fortführen ...
Auf einer Wellenlänge
Eine Konstante scheint es aber zu
geben seit 1994, seit der THW Kiel
24 nationale und internationale Titel
gewonnen hat. Spieler kamen und
gingen über diese Zeit. Zwei Personen
blieben. Manager
Uwe Schwenker und
Trainer
Zvonimir "Noka" Serdarusic.
Diese beiden positiv Handballverrückten
haben den THW zum FC Bayern
München des Handballs gemacht.
Sie "ticken auf gleicher Wellenlänge",
wie
Schwenker verrät. Sie wissen um
das Erfolgsgeheimnis ihres "Lebenswerks"
(
Schwenker). Doch sie haben
es wohl im Safe der THW-Geschäftsstelle
eingeschlossen, damit es keiner
aus Hamburg - oder schlimmer noch
aus Flensburg - erfährt.
"Es gibt eine klare Aufgabenteilung
im Verein. Keiner spielt sich in den Vordergrund
oder versucht Alleingänge",
sagt Serdarusic, der jüngst einen Blick
hinter seine harte Schale gewährte und
zugab: "Ich liebe diese Mannschaft!"
Liebe zum Detail
Liebe ist es also! Liebe zum Detail
auf jeden Fall. Denn diese Aufgabenverteilung,
von der
Serdarusic
spricht, beschränkt sich nicht nur auf
die Club-Gremien, nicht nur auf Aufsichtsrat,
Wirtschaftsrat, Beirat. Nein,
die Verteilung aller zu erledigenden
Dinge erstreckt sich bis in die Mannschaft,
bis zu jedem einzelnen Spieler.
Hier hat jeder das Gefühl, ein wichtiger
Baustein eines großen Ganzen
zu sein. "Bei uns im Team hat jeder
ein richtiges Amt", erklärt
Karabatic.
Neuzugang
Filip Jicha zum Beispiel
wurde sofort zum Frühstückswart
ernannt. "Er ist für die Brötchen verantwortlich.
Henrik Lundström für
den Rest - Marmelade, Aufschnitt und
so", ergänzt
Karabatic.
Marcus Ahlm
verwaltet demnach die Mannschaftskasse,
Christian Zeitz treibt dafür die
Gelder ein und ist zudem noch für den
Koffein-Nachschub verantwortlich.
Der Nationalspieler ist THW-Kaffeewart.
Viktor Szilagy besorgt für
die langen Busfahrten DVDs. Seine
Bezeichnung: Videothekar. "Das
wichtigste Amt aber hat unser Neuer,
Börge Lund", verrät
Dominik Klein,
"er ist unser Fußballwart."
Gut, das alles sind nicht wirklich
weltbewegende Aufgaben und doch
tragen sie ihren Teil zum THW-Erfolg
bei. "Egal, ob du neu bist oder schon seit
Jahren dabei. Wir sind alle auf Augenhöhe
und haben enormen Respekt vor
einander. In Kiel würde niemals der
Jüngste niedere Aufgaben wie Bälle
schleppen bekommen", erklärt Klein.
Und Karabatic, dieser Kraftprotz aus
Frankreich, der mit seinen 23 Jahren
zum derzeit vielleicht besten Handballer
der Welt aufstieg, gibt zu: "Den
Posten eines Fest- und Vergnügungsausschusses
gibt es bei uns nicht. Zum
Feiern haben wir während der Saison
keine Lust und auch keine Zeit!"
So gleichberechtigt die THW-Spieler
aber auch sind, einer steht doch
über allen. Er ist einer der Väter des
Erfolges, "Vorbild für uns alle" (Karabatic)
und "der beste Team-Kapitän,
den man sich wünschen kann", sagt
Serdarusic: Stefan Lövgren. Er ist -
zumindest auf dem Feld - die Stammzelle
für dieses Sieger-Gen, das jeder
Spieler eingepflanzt bekommt, gleich
bei Vertragsunterschrift. Und er ist der
einzige Spieler im Mannschaftsbus, der
einen Tisch hat ...
(Von Olaf Bruchmann, aus der "Handball-Woche" 33/2007)