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11.09.2008 Historie

Zebra-Journal: Der Mann mit dem Wecker

Gute Erfahrungen mit Isländern: Einst trainierte Johann-Ingi Gunnarsson in Kiel

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008:

"Der Mann mit dem Wecker" ist ein Auszug aus dem Buch  "Schwarz und weiß. Die Geschichte des THW Kiel",  das Mitte November im Werkstatt-Verlag erscheinen wird.
Klicken Sie für weitere Infos! "Der Mann mit dem Wecker" ist ein Auszug aus dem Buch "Schwarz und weiß. Die Geschichte des THW Kiel", das Mitte November im Werkstatt-Verlag erscheinen wird.

Am 10. Mai 1986 führte der THW Kiel zwar zur Pause gegen Grün-Weiß Dankersen mit 8:5, aber in den Partien zuvor hatten die Handballer den Start in die zweiten 30 Minuten stets gründlich verschlafen. Also versuchte Trainer Johann-Ingi Gunnarsson seine Spieler aufzurütteln - mit diesem kuriosen Wecker aus dem Jahre 1957, der in der Kabine einen Höllenlärm machte, als er anschlug. Nach dem Sieg gegen Dankersen (23:14) war Gunnarsson zufrieden mit seinem Coup. "Der Wecker hat geholfen", grinste der Isländer.
Eine Geschichte, die den großen Einfallsreichtum des blutjungen Coaches dokumentiert. "Ich habe damals viele neue Ideen mit nach Kiel genommen", resümiert der Mann, der 1982 mit zarten 27 Jahren die Verantwortung übernahm. Aktiv bei Valur Reykjavik, war er 1975 nach dem Abitur in das damalige Handball-Dorado Jugoslawien gegangen, um als Trainer beim späteren Nationalcoach Prokajac zu hospitieren. 1976 trainierte er Fram Reykjavik, 1977 mit großem Erfolg die isländische Junioren-Nationalmannschaft, ab 1978 das A-Team seines Heimatlandes, das er bei der B-WM 1979 auf den vierten Platz führte. Mit 23 Jahren war er damals der jüngste Nationaltrainer in der Geschichte der Internationalen Handball-Föderation. Als im Frühjahr 1982 die Anfrage von THW-Manager Heinz Jacobsen kam, arbeitete er an einer dänischen Handballschule und schlug das Angebot, dänischer Nationaltrainer zu werden, zugunsten des THW aus.

Johann-Ingi Gunnarsson damals.
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Neben seinem Job als Trainer studierte er in Kiel weiterhin Psychologie, und Jacobsen hatte auch nichts dagegen, dass der Geschäftsmann Gunnarsson auf seinem Trikot in dicken Lettern für die Iceland Air oder das "Island Ferienland" warb, wodurch er billigere Flüge in die Heimat bekam. Gunnarsson führte ein, dass das Team nun mit dem Mannschaftsbus zu den Auswärtsspielen reiste ("vorher waren die mit PKWs dahin gefahren"). Er legte ihnen auch Fragebögen vor, um Ziele zu formulieren. Und er intensivierte das Training. "Wir spielen anders als alle anderen Bundesligisten. Wir spielen ein bisschen jugoslawisch und auch ein wenig wie Weltmeister UdSSR", erklärte Gunnarsson seinen Stil.

Als Kiel 1983 erstmals in der Bundesliga Vize-Meister wurde, nur knapp hinter Gummersbach, da erklärte Gunnarsson dies damit, dass er beim Videostudium im Sommer 1982 keine Mannschaft vorgefunden habe: "Ich habe eine Truppe von Einzelkämpfern gesehen." Er selbst arbeitete wie besessen: "Ich bin ein Rennpferd. Ich muss zehn Stunden am Tag arbeiten, dann fühle ich mich wohl." Freilich profitierten der neue Trainer und der THW auch von den großen Spielmacher-Künsten des Marek Panas, der im Herbst 1982 gekommen war. Panas und Gunnarsson, dieses Duo harmonierte aber nicht immer. Wenn Gunnarsson, der Stratege, wieder mal einen seiner vielen Spielzüge ansagte, dann änderte dies Panas manchmal eigenmächtig. Und als der THW 1984 im Europapokal der Landesmeister in Sabac ausgeschieden war, warf Panas dem Coach überzogenes Training vor. Zu den intensivsten Erlebnissen zählt Gunnarsson die letzten Minuten der Saison 1984/85, als Kiel nur um wenige Sekunden die Meisterschaft verpasste. "Oh, oh", stöhnt er noch heute. "Damals hat Thiel in Düsseldorf den letzten Wurf mit der Hacke in die falsche Richtung abgewehrt. Wir haben das am Radio verfolgt, auf der Bank, ich hatte schon alle Stammspieler ausgewechselt, weil wir unser Spiel gegen Wallau hoch gewannen. Bei dem Gedanken bekomme ich immer noch eine Gänsehaut."

Johann-Ingi Gunnarsson heute.
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Als der THW ihm im Dezember 1985 eröffnete, ab 1986 mit Panas als Trainer weiterarbeiten zu wollen, floss kein böses Blut. "Die Handballstadt Kiel ist für mich zur zweiten Heimat geworden, hier gibt es keine Langeweile. Für mich liegen Kiel und Island von der Mentalität her nicht weit auseinander; das bedeutet für mich: mit kühlem Kopf und zugleich mit Herz." Er wäre, bekannte er offenherzig, "gern noch ein fünftes Jahr geblieben". Gunnarsson ging nach Essen, wurde dort Meister, gemeinsam mit seinem Landsmann Alfred Gislason. Aber der Kontakt mit Leuten wie Dirk Sommerfeld, Gerd Welz, Uwe Schwenker blieb bestehen. "Ich wäre lieber mit Kiel Meister geworden als in Essen", sagt er heute. Und dass er seine Erfolge beim THW höher einschätze als die in Essen. "Weil ich in Essen einfach bessere finanzielle Möglichkeiten hatte."

Heute ist Gunnarsson als Tausendsassa unterwegs. Er arbeitet für eine große Importfirma, die er mit seinen Geschwistern besitzt. Er berät weltweit große Konzerne ("Denen erkläre ich, wie man ein Team aufbaut"). Und er berät immer noch die isländische Nationalmannschaft, zuletzt bei der erfolgreichen Olympia-Qualifikation 2008 in Breslau. Und vor allem freut er sich über die vielen Titel, die der THW gewinnt: "Kiel hat das alles verdient!"

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 29.08.2008)


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