Aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports:
Seit dieser Saison schwingt
Alfred Gislason an der Seitenlinie
des THW Kiel das Zepter. Grund genug für den Journalisten und
Buch-Autoren Frank Schneller, für den Kicker und ZEBRA ein
Interview mit ihm zu führen.
- Zebra:
-
Die gute Nachricht vorweg, Herr
Gislason: Keine Fragen
und Vergleiche zu Ihrem Vorgänger Noka Serdarusic ...
- Alfred Gislason:
-
... den ich sehr schätze, wir sind ja
befreundet. Aber tatsächlich ist mir das recht, denn die
ständigen Fragen zu ihm nerven schon. Ich will mich nicht mit
ihm vergleichen. Und ich kann auch auf diese Fragen keine
Antworten geben. Er wird mit seinen Erfolgen für immer mit dem
THW Kiel in Verbindung gebracht werden. Aber ich war ja nie
Spieler unter ihm und kenne sein Training nicht. Er ist ein
ganz Großer, aber ich habe meinen persönlichen Stil, mache
mein eigenes Ding, kann und will nicht seine Kopie sein.
- Zebra:
-
Zumal es ja auch so nahezu perfekt für den THW läuft. Der
Übergang von ihm zu Ihnen scheint reibungslos ...
- Alfred Gislason:
-
Ja, ich wäre ja auch falsch beraten gewesen, hätte ich alles
umkrempeln wollen in Kiel. Man hat mich von Anfang an toll
unterstützt - von Vereins- und Spielerseite. Ich habe hier
eine Topmannschaft vorgefunden, perfekt zusammengestellt von -
Kompliment an beide - Noka und
Uwe Schwenker. Alle Jungs sind
hochprofessionell. Als Trainer kann man sich solche
Voraussetzungen nur wünschen. Nimmt man Umfeld und Halle samt
Zuschauer dazu, muss ich schon sagen: Kiel ist einmalig!
- Zebra:
-
Ist dieses Team noch stärker als der von Ihnen 2002 zum
Champions League-Titel geführte SC Magdeburg?
- Alfred Gislason:
-
Insgesamt ja. Individuell konnte das damalige Magdeburger Team
mit meinem heutigen THW nahezu mithalten, aber Kiel hat das
noch viel homogenere Mannschaftsgefüge. Der Zusammenhalt der
Jungs ist fantastisch ...
- Zebra:
-
... sicher auch ein Verdienst von Kapitän
Stefan Lövgren, der
auch außerhalb des Spielfelds Chef Ihres Teams ist.
- Alfred Gislason:
-
Stimmt. Wenn er nach der Saison aufhört, wird das ein
ziemlicher Einschnitt, nicht nur, weil er ein brillanter
Spielmacher ist, sondern vor allem außerhalb der Halle die
Leitfigur.
- Zebra:
-
Wird es erst wenn nach Serdarusic
auch Lövgren fort ist, in
Kiel den großen Umbruch geben, wird vor allem auch Ihre
Handschrift dann erst deutlich?
- Alfred Gislason:
-
Die verbleibenden Spieler werden Lövgrens Rolle Stück für
Stück ausfüllen. Ich will ihnen schon jetzt vermitteln, den
Kopf noch mehr einzuschalten, versuche, die Spieler gedanklich
mehr einzubinden. Sicher: Es wird einige Zeit dauern, aber der
THW wird die Lücke schließen - wie einst nach dem Abschied
Magnus Wislanders auch.
- Zebra:
-
Denken Sie da primär an
Nikola Karabatic, der
Lövgren ja sein
großes Vorbild nennt?
- Alfred Gislason:
-
Auch. Er kann das Spiel durchaus leiten.
Nikola begreift
gerade, dass er mit seiner aufwendigen Spielweise bei der
hohen Belastung zu viel Tribut zollt. Als Mittelmann kann er
ökonomischer spielen, wird sich nicht ganz so aufreiben.
- Zebra:
-
Von Kiel zur Liga: Die Finanzprobleme einiger Klubs belasten
das Image des Handballs. Wie sehr?
- Alfred Gislason:
-
Viele Vereine riskieren vor allem in Sachen Personalkosten
viel. Einige zu viel. Die Topleute spielen ihr Gehalt zwar
wieder ein. Vor allem die durchschnittlichen Spieler aber
haben die Preise sehr in die Höhe getrieben - und die Vereine
haben es leider mitgemacht. Deutsche Spieler sind dabei auch
noch deutlich teurer als ausländische. Jeder, der Heiner Brand
heutzutage mal die Hand geschüttelt hat, will gleich das
Dreifache.
- Zebra:
-
Also ist die Preisspirale das Hauptproblem der derzeitigen
Situation, in der vom
WM-Boom 2007 nicht viel bleibt ...
- Alfred Gislason:
-
Ja. Aber ich würde die Krise nicht zu groß reden. Es gibt auch
viele Klubs, die den Schub der
WM 2007 genutzt haben, sich
weiterzuentwickeln. Und auch die TV-Präsenz ist stärker.
- Zebra:
-
Sie waren selbst einer der besten Bundesligaspieler in Ihrer
Essener Zeit. Wären Sie bei all den Verdienstmöglichkeiten
lieber heutzutage aktiv als früher?
- Alfred Gislason:
-
(lacht:) Ich will so sagen: Ich würde mindestens ein
Monatsgehalt dafür geben, noch mal 30 zu sein und noch einmal
spielen zu können. Es ist noch aufregender als früher. Der
Handball hat sich so toll entwickelt, in jeder Hinsicht:
Tempo, Technik - und auch in punkto Internationalität. Die
vielen ausländischen Spieler und Trainer haben den Handball
hier schon nach vorn gebracht.
- Zebra:
-
Wollen sie eines Tages nach Island zurück oder in Deutschland
bleiben?
- Alfred Gislason:
-
Wir wollen in Deutschland bleiben. Auch nach meiner Zeit als
Vereinstrainer, die bis 60 dauern soll, dann will ich noch mal
als Nationaltrainer arbeiten. Unser Lebensmittelpunkt aber
wird später wieder in der Nähe von Magdeburg sein.
- Zebra:
-
Haben Sie von Kiel eigentlich schon etwas gesehen?
- Alfred Gislason:
-
Nein, wir sind ja dauernd unterwegs. Wenn ich da noch den Rest
Freizeit hernehmen würde, um Kiel zu entdecken - da würde
meine Familie ausziehen.
- Zebra:
-
Sie sind studierter Historiker. Mit Berufserfahrung?
- Alfred Gislason:
-
Nein. Ich wusste damals in Island nicht, was ich werden sollte
außer Handballer - und da ich mich schon immer für Geschichte
interessierte, habe ich das eben studiert. Ich weiß ja bis
heute nicht, was ich mal werden soll (lacht), aber meine
Geschichtsausbildung kommt mir als Trainer durchaus entgegen.
- Zebra:
-
Bitte?
- Alfred Gislason:
-
Ja, ernsthaft. Als Trainer ist es doch wichtig, dass man weiß,
welche Nationen gut zusammen passen, wenn man Spieler aus dem
Ausland integrieren will. Ein Bundesligateam zusammenzubauen
ist für einen Trainer damit vergleichbar, nach welchen
Kriterien Napoleon seine Armeen zusammengestellt hat. Wenn man
so will ...
(Das Gespräch führte Frank Schneller, aus dem offiziellen THW-Bundesliga-Magazin "zebra", von living sports)