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Alfred Gislason:
"Wir haben ganz sicher einen kleinen Umbruch zu verkraften, aber das
hat der THW in den vergangenen Jahren schon des Öfteren erfolgreich
hinbekommen."
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Auch wenn er Isländer ist:
Alfred Gislason
muss als Kind der Bundesliga gelten. Schon als Spieler gewann er in
den achtziger Jahren deutsche Meistertitel mit TUSEM Essen und war
später als Trainer des SC Magdeburg Meister (2001) und Champions-League-Sieger
(2002). Im vergangenen Sommer trat er in Kiel die Nachfolge von
Zvonimir "Noka" Serdarusic an und gewann
mit dem THW auf Anhieb das Double und führte das Starensemble in der
Champions League bis ins Finale gegen Ciudad Real. Heuer steht ihm die
schwere Aufgabe ins Haus, den THW nach den Abgängen von
Karabatic,
Kavticnik
und
Lövgren auf das Unternehmen Titelverteidigung
vorzubereiten. Wie das gehen soll, erläuterte er in einem ausführlichen Gespräch.
- HBL:
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Fühlen Sie sich nach den Abgängen von
Stefan Lövgren, Nikola Karabatic
und Vid Kavticnik für das Unternehmen
Titelverteidigung gut gerüstet?
- Alfred Gislason:
-
Das ist schwer zu sagen. Ganz sicher haben wir für die Spieler, die
gegangen sind, gute Leute bekommen. Aber ebenso sicher ist, dass wir
die Neuen erst einmal integrieren müssen. Zudem haben die Konkurrenten
- damit meine ich vor allem die Rhein-Neckar Löwen und den HSV Hamburg -
personell zugelegt. Und das gar nicht schlecht. Ich erwarte darüber
hinaus vom TBV Lemgo eine Riesensaison, da Trainer Markus Baur auf ein
eingespieltes Team zurückgreifen kann. Und auch die Flensburger darf man
nicht abschreiben.
- HBL:
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Aron Palmarsson, Christian Sprenger,
Momir Ilic und Peter Gentzel
heißen die neuen Gesichter beim THW. Klingt durchaus vielversprechend.
- Alfred Gislason:
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Zu Gentzel erübrigt sich jeglicher Kommentar.
Der gehört schon seit vielen Jahren zur absoluten Weltspitze unter den
Keepern. Ein wirklich guter Ersatz für den Langzeitverletzten
Palicka. Ilic ist
zwar kein Mittelmann wie Karabatic ihn spielen
konnte, gehört aber auf Halblinks zu den Besten seiner Zunft. Zusammen mit
Filip Jicha werden wir auf dieser Position sehr
gut besetzt sein. Palmarsson ist eines der
vielversprechendsten Talente weltweit. Aber er ist auch erst 19 Jahre alt.
Da darf man nicht erwarten, dass er auf Anhieb die Liga aufmischt. Aber er
ist ein ähnlicher Spielertyp wie der vom HSV verpflichtete Kroate Domagoj
Duvnjak. Und natürlich Christian Sprenger, den
ich schon seit seiner Jugendzeit beim SC Magdeburg kenne. Der hat wirklich
eine Super-Entwicklung hinter sich. Wenn einer Kavticnik
auf Rechtsaußen ersetzen kann, dann er.
- HBL:
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Ein anderes neues Gesicht trägt den Namen
Tobias Reichmann. Wer ist das?
- Alfred Gislason:
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Reichmann ist ein junger Spieler, der eigentlich
schon im vergangenen Jahr zu uns stoßen sollte. Wie Patrick Groetzki hat er
sich über seine Leistungen in der Junioren-Auswahl einen Namen gemacht.
Gegenwärtig aber laboriert er noch an den Folgen eines Kreuzbandrisses,
sodass wir wohl noch bis November auf ihn warten müssen.
- HBL:
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Die 2. Mannschaft des THW ist in die Regionalliga aufgestiegen. Auch das
bringt sicher Vorteile, oder?
- Alfred Gislason:
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Das Team ist ja fast gleichzusetzen mit der A-Jugend des THW. Insofern hat
der THW schon in den vergangenen Jahren im Verborgenen gute Arbeit geleistet,
was dieser Aufstieg in die Regionalliga nun endgültig dokumentiert.
- HBL:
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Überhaupt hat der THW seinem Ruf, er täte nichts für den Nachwuchs, mit
Nachdruck ein paar Dinge entgegengesetzt. So wurde beispielsweise die
Zusammenarbeit mit dem TSV Altenholz aufgekündigt. Was steckt dahinter?
- Alfred Gislason:
-
Was zunächst einmal schlecht klingt - nämlich die Aufkündigung der
Kooperation mit dem Zweitligisten aus Altenholz - hat durchaus viele
positive Ansätze. Auf diese Weise habe ich die Talente und den
Nachwuchs permanent in Kiel und unter meiner Beobachtung. Der THW
kann seine Jugendlichen so weit besser fördern und ganz einfach näher
an das A-Team heranrücken. Mein Traum ist es, den einen oder anderen
Spieler aus diesem Nachwuchsteam so auszubilden, dass er künftig in
der Bundesliga mithalten kann.
- HBL:
-
Nennen Sie doch mal ein paar Namen mit Perspektive, die im Orbit
rund um den Bundesligakader kreisen.
- Alfred Gislason:
-
Da ist zum einen Torhüter Morten Michelsen,
aber auch Kreisläufer Hendrik Pekeler verfügt
über viel Potenzial. Da ich den anderen Jungs sofort Spitznamen gegeben
habe, muss ich, was andere Namen angeht, passen (lacht).
- HBL:
-
Haben diese Leute angesichts der Masse an Stars und der Erwartungen
des Umfelds wirklich eine Chance?
- Alfred Gislason:
-
Das ist natürlich äußerst schwierig, aus einer Jugendmannschaft in das
Bundesligateam des THW Kiel zu springen. Neben ein oder zwei anderen
Kandidaten traue ich diesen Sprung am ehesten Hendrik Pekeler
zu. Hendrik ist gerade 18 Jahre alt geworden
und trainiert schon fest bei uns mit. Er spielt zwar weiterhin in unserer
2. Mannschaft, aber ich glaube, dass ihm das Training, in dem er sich mit
Marcus Ahlm und Igor Anic
messen kann, weit mehr bringt als das Spielen in der 2. Liga beim TSV Altenholz.
- HBL:
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Die Veränderungen in der Mannschaft, im Umfeld des Klubs und in der
Philosophie sind angesichts der jahrelangen Kontinuität beim THW gravierend.
Soll damit auch nach außen ein Neuanfang demonstriert werden?
- Alfred Gislason:
-
Was die Bundesligamannschaft angeht, halten sich die Veränderungen in
Grenzen. Und auch die dahinter stehende Philosophie bleibt unverändert.
Hier definiert sich alles nur über die Leistung. Und auch die Unterstützung
für die 2. Mannschaft ist nicht wirklich neu. Dass ich mich nun da reinhänge,
ist für mich selbstverständlich. Wenn ich helfen kann, dann tue ich das
auch. Auf der Führungsebene gibt es sicherlich sehr viele Veränderungen,
die den Willen zu einem Neuanfang dokumentieren. Dort arbeiten - wie schon
in der Vergangenheit - sehr kompetente Leute, weshalb wir in der Addition
aller Dinge sehr optimistisch in die Zukunft blicken dürfen.
- HBL:
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Ist der THW tatsächlich so stark wie in den Jahren zuvor und damit
ein ernsthafter Titelkandidat?
- Alfred Gislason:
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Wir haben ganz sicher einen kleinen Umbruch zu verkraften, aber das
hat der THW in den vergangenen Jahren schon des Öfteren erfolgreich
hinbekommen. Insofern ist Kiel sicher wieder ein ernsthafter
Meisterschaftskandidat. Aber nur einer von vielen, schließlich haben
die Konkurrenten ordentlich nachgelegt. Bleibt abzuwarten, wie die
mit der Drucksituation umgehen.
(Das Interview führte die HBL)