14.06.2010 | Bundesliga |
Jetzt will Alfred Gislason erstmal im Garten arbeiten und testen, wie lange er nicht an Handball denkt. Mit ausgeschaltetem Handy. "Viel zu viel", sagt er, sei er in den letzten Monaten in der Halle gewesen. Den Triumph über Großwallstadt, den 27:24-Sieg, der den Gewinn der 16. Meisterschaft und das Double endgültig perfekt machte, hatte er dennoch in vollen Zügen genossen - auch die rauschende Party auf dem Rathaus-Balkon. "Das war überwältigend."
Kiel hat seinen neuen Trainer längst ins Herz geschlossen, die Fans haben Gislason gefeiert mit "Alfred-Alfred"-Rufen, haben sich vor ihm verbeugt. Und sie haben zu dem Isländer ein ganz anderes Verhältnis als zu seinem Vorgänger Noka Serdarusic. Der hielt sich in den letzten Jahren seiner Regentschaft von der Bühne fern, die meisten seiner elf Meisterschaften feierte Serdarusic allein oder in ganz kleinem Kreise bei Bier oder Wein. Gislason war mittendrin, als seine Mannschaft umjubelt, frenetisch gefeiert wurde, er wurde von seinen Profis mit Weißbier überschüttet. Der Nord-Isländer ist selbst ein geselliger Mensch, mag die Gemeinschaft, empfindet sich als Teil der Mannschaft. Bezeichnend war, dass er nach dem Schlusspfiff in Aschaffenburg jeden seiner Spieler in den Arm nahm, sich bei jedem innigst bedankte.
Jetzt ist Alfred Gislason die klare Nummer eins in der Handballtrainergilde der Bundesliga, er ist Meister und Champions-League-Sieger mit zwei verschiedenen Clubs geworden. Viel wichtiger ist ihm aber, dass er 2008 erfolgreich und übergangslos eine neue Ära beim THW Kiel eingeleitet hat, einfach das Ruder des in 15 Jahren überaus erfolgreichen Serdarusic übernommen hatte. So als wäre es nichts Besonderes. "Es waren große Fußstapfen", sagte er, "aber auch eine Aufgabe, die mich sehr gereizt hat."
Gislason war quasi die letzte große Verpflichtung, die Manager Uwe Schwenker noch in die Wege leitete, bevor er in Folge der Manipulationsvorwürfe seinen Hut beim Rekordmeister nehmen musste. 700.000 Euro Ablöse haben die Kieler im Sommer 2008 nach Gummersbach für den Handballlehrer überwiesen. Eine Summe, die sich längst bezahlt gemacht hat. Eine wichtige Rolle spielte die freundschaftliche Beziehung zu Schwenker. Aus seiner weiter bestehenden Freundschaft zum ehemaligen Kieler Manager macht Gislason keinen Hehl. "Der THW war immer ein guter Club, Uwe hat ihn zu einem sehr guten gemacht", betont Gislason. Auch bei der Meisterfeier in einem Kieler Restaurant saß er mit Ehefrau Kara lange an der Seite Schwenkers.
In der Saison 2008/09 war es Gislason gelungen, die Debatten über das angeblich verschobene Champions-League-Finale von 2007 von der eigenen Mannschaft fernzuhalten. Vielmehr kanalisierte er die Wut über die Anschuldigungen in Leistungen. Nie war der THW klarer und früher Meister geworden als 2009. Vielleicht liegt das auch an dem neuen Stil, den er einführte, ein völlig anderer als der Balkangeprägte seines Vorgängers Serdarusic.
Für seine Spieler ist Gislason gleichermaßen verlässlicher Partner wie Respektsperson. Seine Trainingsarbeit ist sehr von wissenschaftlichen Aspekten geprägt. Gislason arbeitet eng mit der Christian-Albrechts-Universität zusammen. Alles wird analysiert und auf Verbesserungen überprüft. Außerdem führte er die Rotation ein, schonte so Kräfte der Leistungsträger und übertrug Verantwortung auf jene, die bei Serdarusic kaum zum Zuge gekommen wären. Die Spieler zahlten mit Leistung zurück. Wer aber geglaubt hatte, nach dem harten Hund Serdarusic würde es im Training bei Gislason geruhsamer zugehen, sah sich schnell getäuscht. "Pah", schüttelte Kapitän Marcus Ahlm schon nach wenigen Einheiten den Kopf, "unter Alfred ist es eher noch schwerer geworden."
Die Erfolge geben Gislason Recht. Gerade in der Schlussphase der Handballsaison legten die Kieler zu. Das erfuhr der HSV, das mussten die spanischen Spitzenclubs Ciüdad Real und Barcelona zur Kenntnis nehmen, als der bereits geschlagen geglaubte THW jeweils letzte Kräfte mobilisierte und nicht mehr für möglich gehaltene Aufholjagden anzettelte.
Manager Uli Derad zählt ebenfalls zu den Fans des THW-Trainers. "Alfred ist ein mehrdimensionaler Trainer", sagt er. Man könne mit ihm eine ganze Zeit nicht nur über Handball sprechen, sondern erfahre etwas über isländische Vulkane, über Fische oder über die Geschichte von Völkern. Sein größter Verdienst in der vergangenen Saison sei aber, so Derad, dass Gislason die Lücke der drei Leistungsträger Lövgren, Karabatic und Kavticnik geschlossen habe. Mit Narcisse, Ilic und Sprenger habe man zwar guten Ersatz bereitgestellt. "Aber es dauert, bis eine Mannschaft zusammengewachsen ist. Das hat bei uns schneller geklappt als zu erwarten war." Zu Beginn der Spielzeit, so erinnert sich Alfred Gislason, habe nach dem Umbruch noch die Konstanz gefehlt. Das aber sei inzwischen viel besser geworden.
Vor der Saison 2009/10 wich er der Frage, ob er sich darauf freue, nach dem Umbruch jetzt endlich das wahre Gislason-Team prägen zu dürfen, noch mit der Bemerkung aus: "Das gab es 2009 auch schon." Aber: Erst der Meister 2010 ist wirklich allein Gislasons und nicht mehr Serdarusic' Mannschaft.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 12.06.2010)
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