02.07.2010 | Mannschaft / Medien |
Tobias Reichmann. |
Inzwischen erfüllen sich die Träume des jungen Mannes, der als kleiner Steppke selig ein Trikot des Kieler Stars Magnus Wislander trug. Nach sieben Monaten Rekonvaleszenz und mit dem Juniorteam in der Regionalliga als Integrationshilfe hat er seinen Platz bei Trainer Alfred Gislason gefunden: Er soll auf dem rechten Flügel den Nationalspieler Christian Sprenger gelegentlich entlasten. Seit dem 29. November ist er ein Bundesligaspieler und hat dank des sportlichen Aufstiegs auch die private Kasse entlastet. "Wir können mit Tobias noch viel Spaß haben", glaubt THW-Geschäftsführer Uli Derad. Der Lehrling der Kieler Meister redet bescheiden über seine Ziele. "Sprengi", sagt er, "kann ich nicht komplett ersetzen. Ich bin jung und muss mich in die Mannschaft arbeiten. Ich bin stolz, hier in so jungen Jahren spielen zu dürfen."
Kiel und die jungen deutschen Spieler - das ist eine noch immer schwierige und belastete Geschichte: Der hochbegabte Nico Kibat (1998 bis 2000) galt als neuer Wislander, Christoph Schindler (2004 bis 2006) packte den Sprung in die 1. Liga erst mit Dormagen, und U21-Weltmeister Daniel Wessig (seit 2007) wird sich im Sommer verabschieden, ohne große Spuren hinterlassen zu haben. "Ich hoffe, dass mir das nicht passiert", sagt Reichmann, der einen Teil dieser Biografien kennt, doch als Außen hat er einen leichteren Weg in die stärkste Liga der Welt vor sich als die in Kiel gescheiterten Rückraumtalente. "Wenn ich gesund bleibe und mich entwickele, kann ich hier längere Zeit spielen", sagt er und hat sich bereits mit dem Freizeitprogramm der alteingesessenen Kieler vertraut gemacht - und golft. "Dabei dachte ich erst, dass sei nur etwas für ältere Leute."
Wie die meisten seiner Mitspieler lebt Reichmann acht Kilometer vor den Toren der Landeshauptstadt in Melsdorf. Dass er überhaupt in Kiel landete, war lange klar - und trotzdem eine kuriose Geschichte. Auf dem Weg nach oben parkte der Schüler der Lausitzer Sportschule Cottbus nämlich ein Jahr lang beim SC Magdeburg, obwohl bereits Anfang 2008 der Kontakt mit Kiel hergestellt war. Klaus-Dieter Petersen, damals noch Co-Trainer der Zebras und zugleich in Diensten des DHB, hatte gefragt, ob er sich den Wechsel nach Kiel vorstellen könne. Nach monatelanger Funkstille unterschrieb Reichmann jedoch in Magdeburg - erst dann folgte das Probetraining in Kiel. Doch dorthin konnte er erst im vergangenen Sommer weiterziehen.
Einen Spielerberater brauchte Reichmann auf seinem bisherigen Weg übrigens nicht. Sein Stiefvater, ein selbstständiger Kaufmann, half beim Aushandeln des Vertrages. Das Detail passt ins Bild, das Derad zeichnet: "Tobias ist ruhig, zurückhaltend und ein strukturierter Typ. Auf dem Feld müsste er mehr aus sich heraus gehen, aber privat darf er ruhig so bleiben." Sein Vormann Sprenger, der etablierte Rechtsaußen, ist ein permanent ausbrechender Vulkan, der junge Reichmann ("Ich bin nicht der Typ, der große Emotionen zeigt") beißt sich lieber leise durch. Er hat das schmerzhaft lernen müssen. Als er 15 war, raste auf einer Schneepiste ein Skifahrer in ihn hinein und brach ihm Schien- und Wadenbein. Auch solche Schläge haben den kleinen Steppke im viel zu großen Wislander-Trikot geprägt.
Das sagt Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel, über Tobias Reichmann: "Momentan steht Tobias hinter Christian Sprenger, aber er besitzt ein sehr großes Potenzial und hat alle Möglichkeiten, ein Großer zu werden. Seine Sprungkraft ist unglaublich, er muss jedoch mehr Druck hinter seine Würfe aus dem Rückraum bringen. Und Tobias muss besser in unsere Taktik finden und ein bisschen mehr Biss zeigen - manchmal wirkt er noch zu unsicher. Mich um junge Spieler zu kümmern, mache ich ganz allgemein sehr gern. Und von den Rechtsaußen der Liga sind viele bei mir gewesen: zum Beispiel Christian Sprenger, Christian Schöne und Markus Richwien. Es wäre schön, wenn es auch Tobias packt."
(Aus dem "Handball-Magazin" 06/2010)
(02.07.2010) | Ihre Meinung im Fan-Forum? |