Aus den Kieler Nachrichten vom 17.12.2010:
Lübbecke. Als die Spieler des THW Kiel nach dem
Pokal-Achtelfinale beim TuS N-Lübbecke
in die Kabine verschwanden, sahen sie nicht wie Sieger aus.
Zwar hatten sie durch einen mühsamen 30:29 (15:14)-Erfolg
das
Viertelfinale erreicht,
doch Minuten nach dem Handball-Drama stand den "Zebras"
noch der Schock über die packenden Schlussminuten in die
Gesichter geschrieben.
26:28 lagen die Kieler am Mittwochabend in der Merkur-Arena
zurück, der starke TuS-Kreisläufer Frank Löke hatte gerade
wieder einen Siebenmeter erkämpft. Die 54. Minute brach an,
Tomasz Tluczynski sollte werfen. Der Pole, der zuvor viermal
gegen
Thierry Omeyer keine Nerven gezeigt
hatte. Die Kieler wirkten wie angeschlagene Boxer, sie hatten
eine 15:11-Führung verspielt und längst den Faden verloren. Einen
Drei-Tore-Rückstand, so viel war klar, würde dieser THW nicht mehr
aufholen. "Unsere Köpfe sind angeschlagen, sie sind voll mit
Handball, zu voll", sollte der achtfache Torschütze
Filip Jicha später sagen. Nicht die
körperliche Belastung wäre derzeit zu viel, sondern die mentale.
Auf den Tschechen traf das sicher nicht zu, auf die starken
Christian Zeitz und
Henrik Lundström auch nicht.
Aber
Momir Ilic, dessen Akku
seit Wochen leer ist, stand neben sich, dem jungen
Aron Palmarsson erging es nicht
besser. Kreisläufer
Milutin Dragicevic
scheint für Trainer
Alfred Gislason
derzeit keine Option zu sein, auch
Kim Andersson
und
Tobias Reichmann waren es in Lübbecke
nicht.
Gislason hatte sich zwar bis zum
Ende offen gelassen, welchen der beiden er als 14. Spieler melden wollte.
Er entschied sich nicht. Für
Andersson kam die
Partie gegen die stahlharte Deckung der Ostwestfalen zu früh. Den soliden
Christian Sprenger durch
Reichmann
zu ersetzen, wäre kein Weckruf gewesen.
Aber der THW brauchte in dieser 54. Minute einen Impuls. Also
Andreas Palicka.
"Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht", sagte der THW-Torhüter. "Dann
halte ich immer am besten." Deshalb hätte er sich nicht bewegt, als
Tluczynski werfen wollte. "Ich hatte keinen Druck, schließlich bin ich
eingewechselt worden, als es um alles oder nichts ging. Aber er hatte
Stress." Weil
Palicka das Standbild gab,
änderte der Pole seinen Ablauf, wählte eine Variante, die er,
Palicka, vom Videostudium in Erinnerung
behalten hatte. Der 24-Jährige parierte anschließend auch den Strafwurf
von Stephan Just ("da hatte ich einfach Glück") und vier weitere Bälle.
"Für mich war das sehr wichtig", sagte
Palicka.
"Schließlich ist meine Situation nicht einfach." Im Schatten von
Omeyer kann er wenig glänzen, seine Nominierung
für die WM in Schweden steht auf der Kippe. Fünf Torhüter stehen im
vorläufigen 28er-Kader, nur drei werden erleben dürfen, wie ein ganzes
Land seine Handballer feiert.
Palicka hat
gehört, dass die Ab- und Zusagen am 23. Dezember telefonisch übermittelt
werden. "Wahrscheinlich werde ich kein schönes Weihnachten haben", sagte
der 18-malige Nationalspieler, der vor einer Woche bei einem Testspiel-Sieg
in Halmstad gegen Island (31:26) glänzte und 18 Bälle parierte. "Vielleicht
war das meine letzte Chance, mich zeigen zu können." Möglich, dass seine
Nationaltrainer
Staffan Olsson und Ola Lindgren
inzwischen aber auch ein Video von seinem famosen Auftritt in Lübbecke
gesehen haben.
Während die Kieler auf der Heimfahrt im Bus auch noch den 27. Geburtstag
von Dominik Klein zu feiern hatten, blieb in
Lübbecke die Tristesse zurück. "Das war nicht der normale THW", ärgerte sich
Löke. "Wir haben unsere große Chance verpasst, Kiel zu schlagen." Bereits am
Mittwoch gibt es die nächste, dann tritt der THW in der Bundesliga beim TuS an.
(von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 17.12.2010)