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03.01.2012 Bundesliga / Interview

KN-Interview mit Andreas Thiel: "Kann einen Neidfaktor nicht leugnen"

Der "Hexer" über Geld, Spaß und Skandale

Aus den Kieler Nachrichten vom 03.01.2012:

In der Serie "Verdammt lang her" veröffentlichen die Kieler Nachrichten Interviews, die die KN-Autoren mit Größen früherer Tage geführt haben. Diese sprechen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Heute: Handball-Torhüter-Legende Andreas Thiel.
Mit Andreas Thiel sprach KN-Redakteur Reimer Plöhn.
Kieler Nachrichten:
Herr Thiel, vor zehn Jahren haben Sie Ihre große Handball-Karriere beendet, halten Kontakt zur Sportart "nur" noch als Torwarttrainer der Frauen in Leverkusen. Im Hauptberuf sind Sie als Anwalt für Familienrecht und DHB-Justiziar tätig, Vermissen Sie nicht das Kribbeln nach 20 Jahren Spitzensport?
Andreas Thiel:
Nein, schon lange nicht mehr. Ich bin im richtigen Leben komplett angekommen. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Soweit Handball in meinem Leben noch eine Rolle spielt, ist das emotionale Interesse von mir durch die Trainer-Tätigkeit in Leverkusen und jetzt seit vier Jahren durch die offizielle Justiziar-Arbeit bei der HBL vollumfänglich abgedeckt. Da ist man noch ein bisschen im Boot, am Puls des Handballs. Dass das wöchentliche Highlight, das Spiel am Wochenende, nicht mehr da ist, damit kann ich nicht nur leben - das muss auch nicht mehr sein. Alles hat seine Zeit.
Kieler Nachrichten:
Emotional müssen Sie also nichts mehr kompensieren?
Andreas Thiel:
Nein. Ich war lange zweimal die Woche bei den Leverkusener Mädels dabei, hab das jetzt auf einmal wöchentliches Training zurückgeschraubt. Hinzu kommt, dass ich seit April Abteilungsleiter im TSV Bayer Leverkusen bin. Grund war die Weihnachtsfeier ein paar Monate zuvor. Da hatten mich die Damen beschwatzt, da war ich blitzeblau. Also die Funktionen ändern sich altersgemäß.
Kieler Nachrichten:
Der Beiname "Hexer" klebt an Ihnen, wann haben Sie diesen Ritterschlag bekommen, und wer hat Ihnen den Namen verpasst?
Andreas Thiel:
Den habe ich in der Saison 82/83 bekommen. Gummersbach hat in Großwallstadt gespielt, wir haben mit einem Tor gewonnen, ich habe fünf oder sechs Siebenmeter gehalten. Da hieß es dann, der Nachfolger des Hexers sei in dessen Heimat gefunden worden. Der Ursprungshexer ist ja Manfred Hofmann. Das ist der mit der legendären Siebenmeterparade 1976 in Karl-Marx-Stadt gegen die damalige DDR.
Kieler Nachrichten:
Ihr zweiter Spitzname, nicht so bekannt, ist Grummel Griesgram.
Andreas Thiel:
Heiner Brand ist dafür verantwortlich. Grummel Griesgram ist der Gegenspieler von Regina Regenbogen, einer Figur aus einem Kinderbuch.
Kieler Nachrichten:
Und passt der Name zu Ihnen?
Andreas Thiel:
Der passt, zweifellos. Jedenfalls für das offizielle Auftreten mit Leuten, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen. Die mögen mich gelegentlich durchaus als Stoffel oder Griesgram wahrnehmen.
Kieler Nachrichten:
Ihr größten Erfolge haben Sie mit Gummersbach gefeiert, zwölf Jahre standen Sie beim VfL im Tor. Wie sehr bewegt Sie der schon länger währende Niedergang dieses Traditionsclubs?
Andreas Thiel:
Es trifft mich emotional gar nicht mehr. Das liegt wohl auch daran, dass dort niemand eine Rolle spielt, mit dem ich gemeinsame Emotionen aus der Vergangenheit verbinde. Als konservativer Traditionalist fände ich es aber schade, wenn der VfL aus der Ersten Liga verschwinden sollte. Ich habe ein großes Faible für Traditionsvereine.
Kieler Nachrichten:
Das Gummersbacher Problem ist fehlendes Geld.
Andreas Thiel:
Das ist das Problem aller Mannschaften aus dem unteren Mittelfeld, sie versuchen wettbewerbsfähig zu bleiben, verpflichten Spieler, die viel Geld kosten, die ihnen dann aber auch nicht wirklich weiterhelfen. So einen wie Jicha oder Narcisse können sie nicht verpflichten. Und irgendwann wird es dann schwer, die Personalkosten zu refinanzieren.
Kieler Nachrichten:
Können Sie selbst mit Geld umgehen, haben Sie das, was Sie als Handball-Star verdient haben, sinnvoll angelegt?
Andreas Thiel:
Oje! (Thiel lacht) Das waren früher andere Zeiten mit dem Verdienst. Aber ich bin ein eher defensiver Wirtschafter. Das Geld ist insoweit gut angelegt, dass die Familie Thiel in Köln in einem bezahlten Reihenhaus wohnen kann.
Kieler Nachrichten:
Was hat der siebenmalige deutsche Handballer des Jahres damals denn so verdient?
Andreas Thiel:
Bis 1989 habe ich in Gummersbach 5000 Mark im Monat bekommen, die letzten beiden Jahre 10 000 Mark. Das war für die damalige Zeit sicherlich in der Spitze, in Dormagen habe ich dann das gleiche bekommen. Die letzten vier Jahre gab es dort 6000 Mark. Das war, ohne dass ich jetzt aufschneiden möchte, für einen Mann mit meinem Namen unterdurchschnittlich. Aber ich habe damals, weil ich schon Rechtsanwalt war und einen vollen Arbeitstag zu bewältigen hatte, Privilegien eingefordert. Die sahen so aus, dass ich morgens nicht mehr trainiert und Spiele am Mittwoch durch Eigenanreise gelöst habe.
Kieler Nachrichten:
Wenn Sie auf die aktuellen Gehaltslisten schauen und feststellen, dass ein zweiter Torhüter bei einem x-beliebigen Bundesligisten wesentlich mehr bekommt als Sie früher - kommt dann Neid auf?
Andreas Thiel:
Ich kann einen gewissen Neidfaktor nicht leugnen. Aber wenn ich Leute wie Thierry Omeyer vom THW sehe, wie der kämpft, wie der sich von anderen abhebt, weil er eben in den entscheidenden Minuten entscheidende Bälle hält, wirklich Weltklasse ist, dann hat einer wie er auch das große Geld verdient. Kein Verständnis habe ich für Leute, die jammern, weil sie an Weihnachten spielen müssen. Die sollen mal auf ihre Gehälter schauen, dafür hätte ich am Heiligenabend zweimal Handball gespielt. Morgens und nachmittags.
Kieler Nachrichten:
Sie hatten das Pech, dass zu Ihrer Zeit die Nationalmannschaft lange in einem Leistungsloch zubrachte.
Andreas Thiel:
Stimmt. Meine Karriere blieb von großen internationalen Erfolgen verschont. Das ist allerdings ein Zitat der Süddeutschen Zeitung, nicht von mir, aber es trifft den Kern.
Kieler Nachrichten:
Was hat sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren verändert, was ist anders geworden in Ihrer Sportart?
Andreas Thiel:
Es spielt deutlich mehr Geld eine Rolle als früher. Das Spiel selbst hat sich durch deutlich verbesserte Trainingsmethoden mit einer unglaublichen Athletik von allen nach vorne verändert. Damals waren Ergebnisse wie 17:16 normal, so steht es heute bei Halbzeit. Die Fitness der Jungs fällt mir auf, wenn ich mir die Nationalspieler unter der Dusche angucke, da sehe ich nur "Ahmed-Schachbrett", während es zu unserer Zeit Leute gab, die ein kleines Bäuchlein vor sich herschoben. Aber alles hat seine Zeit. Damals waren eben Spieler wie Jo Deckarm, Heiner Brand oder Erhard Wunderlich das Nonplusultra.
Kieler Nachrichten:
Welches Team würden Sie heute als Ihre Lieblingsmannschaft bezeichnen?
Andreas Thiel:
Der THW in der derzeitigen Besetzung - das ist schon ein ganz besonderes Kaliber. Das ist das eine. Respekt habe ich aber nach wie vor vor Mannschaften wie Wetzlar oder Balingen. Das sind Teams, die es seit Jahren verstehen, mit bescheidenen Mitteln die Klasse zu halten. Davor habe ich ganz hohen Respekt. Im VIP-Raum müssen das nicht immer Kaviar und Garnelen sein, da reichen auch mal ein Handkäs mit ein paar Bier.
Kieler Nachrichten:
Wie zum Beispiel vor Jahren in Dutenhofen?
Andreas Thiel:
Ja genau, da wurden die Tische gleich nach dem Spiel aufs Feld gerollt - und los ging es. Das hatte diesen typischen Charme. Auch wenn der Playboy mal von den "Dorftrotteln" geschrieben hat. Wir müssen mit diesen typischen Dingen in unserem Sport viel offensiver umgehen. Ich finde so was nach wie vor klasse. 19 000 in der Lanxess-Arena mögen toll sein, alles super. Aber die 2000 in Balingen, die sind auch super. Unsere Sportart ist traditionell verwurzelt in kleineren Orten, das sind auch angesichts des Premium-Produkts Toyota-Bundesliga positive Werte.
Kieler Nachrichten:
Es gibt nicht nur die schönen Seiten, den Handball begleiten auch Schatten. Sie haben früher schon Dinge über Schiedsrichter bei internationalen Spielen erzählt, die Ihre Sportart in ein schlechtes Licht rückten.
Andreas Thiel:
Dass es damals so war mit Schiedsrichtern, die im leeren Lada aus dem Ostblock angerollt und mit einem bis unters Dach gefüllten Lada voller Geschenke wieder weg sind - das habe ich erzählt, das kann ich nicht in Abrede stellen. Ob das heute noch so ist, das weiß ich nicht. Das wird auch mit bestimmten Vorschriften nicht mehr so einfach sein. Deswegen gehe ich mal davon aus, dass sich die Zeiten verändert haben.
Kieler Nachrichten:
In Ihrer Eigenschaft als HBL-Justiziar waren Sie Gast beim Manipulations-Prozess gegen Uwe Schwenker und Noka Serdarusic. Was bedeutet dieser Prozess für das Image der Sportart?
Andreas Thiel:
Außerordentlich schädlich ist diese Sache, unabhängig vom Ausgang. Das tut weder den beiden, die sich da auf der Anklagebank befinden, gut, noch allen anderen, die an diesem Spiel hängen. Die Kammer, so habe ich sie erlebt, macht ihren Job, so gut sie kann. Ich bin gespannt, was rauskommt.
Kieler Nachrichten:
Sollten die Verantwortlichen im Handball sich nicht endlich zusammensetzen und intern einen Selbstreinigungsprozess in Gang setzen?
Andreas Thiel:
Ich kann dazu nur sagen, dass der Handballbund und die Bundesliga, was Schiedsrichter angeht im nationalen Bereich, gute Regelungen gefunden haben. Dass Korruption in der Bundesliga eine Rolle spielt, da habe ich noch nie etwas von gehört. Das schließen auch alle Beteiligten mit Überzeugung aus. Ob die internationalen Verbände noch Handlungsbedarf haben, müssen diese selbst beurteilen. Ganz auszuschließen ist es nicht. Ganz vorsichtig formuliert.
Kieler Nachrichten:
Ein echtes Handballerherz bleibt trotzdem immer bei seinem Sport, oder wie ist es bei Ihnen?
Andreas Thiel:
Ja, sicher. Was 20 bis 25 Jahre wichtiger Bestandteil meines Lebens war, das ist auch jetzt - zwar nicht mehr mit erster Priorität - ein wichtiger Teil meines Lebens.
(Das Gespräch führte Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 03.01.2012)


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