Interview mit Nenad Perunicic:
Bereits in seinem ersten Jahr in Kiel präsentierte er sich in
überragender Form.
Mit Nenad Perunicic gewann der THW Kiel in der Saison
97/98 erstmals das Triple. Seitdem beeindruckt der sympathische
Montenegriner zumeist mit gewaltigen Krachern und trickreichen Anspielen
aus dem linken Rückraum.
Nenad Perunicic ist Kiels Mann für die
"einfachen" Tore.
Dennoch - bei keinem anderen Spieler fallen dem Zuschauer die
Formschwankungen derart auf wie bei dem jugoslawischen Nationalspieler.
Meist trifft er reihenweise wie zuletzt gegen Nordhorn dreizehnmal
oder Essen neunmal, doch es gab auch Zeiten, da traf er gar nicht.
Zebra fragte nach dem
Hinspiel gegen Barcelona bei
Nenad Perunicic nach, wie er sich selbst mit
dieser schwierigen Situation auseinandersetzt.
Sein Fazit: Hauptsache, die Mannschaft gewinnt am Ende doch und morgen
ist sowieso ein neuer Tag.
- Zebra:
-
Nenad,
hast Du Deine Formkrise gerade rechtzeitig zum großen
Saisonfinale wieder überwunden?
- Nenad Perunicic:
-
Das war keine Krise. Es kommt immer eine Zeit, da hast du viele Würfe,
und es gibt immer eine schwächere Zeit, da hast du etwas weniger - so
wie Nikolaj zurzeit.
Nikolaj ist zwar seit Jahren extraklasse, aber dann
kommt irgendwann ein Moment, da hast du mit deinen Würfen keine Chance.
Aber deswegen möchte ich nicht von einer Krise sprechen. Normalerweise
ist es für mich nur wichtig, dass wir unsere Spiele gewinnen. Natürlich
ist es unmöglich, in jedem Spiel eine hundertprozentige Treffergarantie
zu haben, das gelingt keinem Spieler der Welt.
- Zebra:
-
Sagen wir es mal so, Du hast im April wieder richtig gute Spiele
gemacht.
- Nenad Perunicic:
-
In meiner ganzen Handball-Karriere habe ich nach Silvester immer gut
gespielt. Ab Januar und dann die letzten drei, vier Monate einer Saison,
wenn es wichtig war, war ich eigentlich immer gut in Form.
- Zebra:
-
Steht man auf Deiner Position, der "Königsposition", unter besonderer
Beobachtung? Du wurdest schon vor Deinem Wechsel nach Kiel als
vermeintlich "bester Halblinker der Welt" bezeichnet - gesteht man Dir
weniger Fehler zu als anderen?
- Nenad Perunicic:
-
Das ist schwer zu sagen. Das wissen Außenstehende besser als ich. Die
können während des Spiels schauen, was ich spiele. Die Zuschauer können
beurteilen, wieviele Fehler ich gemacht habe oder wieviele Würfe ich
verschossen habe. Die Journalisten oder der Trainer zählen mit, aber ich
weiß nicht einmal, wieviele Bälle ich heute im Spiel verschossen habe.
Stefan Lövgren
ist für mich auch ein Weltklasse-Halblinker. Und wenn er
auf der Mittelposition spielt, dann liegt er mir dort gegenüber sicher
bei 130 Prozent. Aber ich denke, das ist eine Sache des Trainers. Wenn
er sagt, Stefan soll auf der halblinken und
Nenad auf der Mittelposition
spielen, dann tue ich es. Für mich ist das egal, selbst wenn ich
halbrechts spielen müsste.
- Zebra:
-
Machst Du Dir während des Spiels überhaupt viele Gedanken über vergebene
Würfe oder suchst Du jedes Mal aufs neue Deine nächste Chance - frei
nach dem Motto "immer geradeaus und nur nach vorne"?
- Nenad Perunicic:
-
Ja, natürlich. Das ist eine Eigenschaft, die ich aus Jugoslawien
mitgenommen habe. Das ist ein anderer Charakter, das ist aber nichts
schlechtes. Wenn du verloren hast, dann bist du natürlich etwas traurig
und denkst darüber nach, was gerade passiert ist. Du siehst deine Fehler
viele Male auf Video, fragst dich, was war gut und was war schlecht. Ich
bin vielleicht ein bisschen mehr besessen. Aber meine Kollegen sagen mir
immer so schön:
"Morgen ist ein neuer Tag." Du musst immer nach vorn schauen - das ist
eine gute Lösung. Und so spiele ich auch.
- Zebra:
-
Nach vorne schauen ist ein schönes Stichwort.
Noka Serdarusic sagte in
der Pressekonferenz vorhin, er habe sich in dieser Saison bereits schon
sechsmal von der Deutschen Meisterschaft verabschiedet. Zuletzt haben
alle Mannschaften für den THW Kiel gespielt und Ihr seid wieder dran,
könnt den Titel erneut aus eigener Kraft gewinnen. Durchlebt Ihr als
Spieler momentan auch so ein Wechselbad der Gefühle?
- Nenad Perunicic:
-
In dieser Liga ist alles möglich. Nach unserer Niederlage gegen Nordhorn
habe ich gedacht, jetzt sei alles vorbei, wir hätten keine Chance mehr,
weil Flensburg nur noch gegen leichte Gegner spielen muss. Aber jetzt
schau, sie spielen gegen Nettelstedt und kassieren noch im letzten
Moment zwei Tore zum Ausgleich. Überraschungen sind also jederzeit
möglich. Nordhorn hat hier in der Ostseehalle gewonnen und verliert zwei
Tage später in Schwartau. Diese Bundesliga ist die beste Liga der Welt,
es gibt keine leichten Gegner. Man muss immer voll konzentriert und
motiviert spielen. In dieser Liga ist wirklich alles möglich.
- Zebra:
-
Was wird entscheidend sein, wer Deutscher Meister wird?
- Nenad Perunicic:
-
Das ist eine schwere Frage. Wir haben noch sechs oder sieben Spiele.
- Zebra:
-
Ist es nun eine rein mentale Frage?
- Nenad Perunicic:
-
Wir haben gegen Flensburg mit dieser mentalen Stärke gewonnen.
Wir haben eine richtige psychische Kraft. Unsere Mannschaft ist sehr
stark im Kopf. Wenn wir in diesen wichtigen Spielen gegen Flensburg oder
Lemgo antreten - ich glaube, unsere Gegner haben im letzten Moment
Angst. Wenn wir gewinnen müssen, dann spielen wir besser gegen diese
Gegner.
- Zebra:
-
Wie sehr ist die körperliche Stärke am Ende der Saison entscheidend?
Wieviel Kraft steckt nach dieser langen Saison noch in Dir?
- Nenad Perunicic:
-
Ich war zuvor in Spanien und spielte dort auch lange Zeit verletzt mit
Rückenproblemen. Dann kam ich hierher, und es war eine völlig andere
Welt. Es ist die beste Liga mit vielen starken Mannschaften, man muss
ein bisschen mehr trainieren - ich war weniger gewohnt. Ich habe eine
lange Zeit ohne Pause gespielt. Und dann kommt normalerweise irgendwann
eine Zeit mit vielen Verletzungen und so weiter. Ich habe diese Probleme
schon viele Jahre, aber ich habe immer gespielt. Ich hatte nie diesen
psychischen Moment, in dem ich gesagt habe: Noka, ich kann heute nicht
spielen, da ich verletzt bin. Ich will immer spielen. Natürlich ist es
mit Verletzungen immer ein bisschen schlecht, weil man nicht fit ist.
Momentan habe ich allerdings keine Probleme. Außer natürlich die
Adduktoren, das ist ein chronisches Problem, ebenso wie die Schulter
auch - aber das war es die letzten sechs, sieben Jahre auch. Das ist
wohl unser Sport.
- Zebra:
-
Was erhoffst Du Dir noch für die Zukunft?
- Nenad Perunicic:
-
Diese Frage kommt wohl noch zu früh. Ich habe hier in Kiel meinen
Vertrag noch um drei weitere Jahre verlängert. Ich denke, ich möchte
noch spielen, bis ich 34 oder 35 Jahre alt bin. Natürlich darf ich mich
nicht verletzen, ein wenig Glück gehört immer dazu.
Ich möchte Touristik studieren, ich spreche ein paar verschiedene
Sprachen, und dann wäre ein Reisebüro oder etwas in der Richtung nicht
verkehrt - ich denke darüber nach.
- Zebra:
-
Wie wohl fühlst Du Dich hier in Kiel?
- Nenad Perunicic:
-
Wir haben in Wellsee ein großes Haus und einen großen Garten. Ich habe
einen "Godzilla" von Hund, und der braucht sehr viel Platz zum Spielen.
Ich bin sehr zufrieden, es ist ganz ruhig dort, und wir haben keine
Problem mit den Leuten.
- Zebra:
-
Du lernst immer besser Deutsch. Wie wichtig war das?
- Nenad Perunicic:
-
Ich hatte große Probleme, als Goran Stojanovic noch hier war. Bei allen
Fragen meiner Kollegen habe ich immer Goran nach der Übersetzung
gefragt, und er musste für mich antworten. Jetzt spielt er nicht mehr
bei uns, und ich muss alleine klarkommen. Michael Menzel hat mir in
unserem Trainingslager im August letzten Jahres sehr geholfen. Wir waren
zehn Tage zusammen auf einem Zimmer, und jede Stunde hat er mich
abgefragt: Was ist das, was ist das, was ist das... Das war eine sehr
große Hilfe. Es ist noch nicht super, aber es ist gegenüber dem letzten
Jahr eine deutliche Steigerung. Vielleicht muss ich noch mal ein paar
Kurse belegen.
- Zebra:
-
Abschließende Frage: Ihr seid nach der EM-Pause mit Jugoslawien jetzt wieder bei den Olympischen Spielen im September in Sydney
dabei. Was erhoffst Du Dir dort?
- Nenad Perunicic:
-
In der Qualifikation zur Europameisterschaft hat unsere Mannschaft gegen
Portugal eine ganz schlechte Vorstellung abgegeben. Erst haben wir gegen
Portugal verloren und waren dann bei der Weltmeisterschaft in Ägypten
die große Überraschung, als wir die Bronzemedaille gewannen. So etwas
passiert eben auch. Ich glaube, wir haben eine große Mannschaft. Unser
größtes Problem ist unsere junge Mannschaft, das zweite Problem ist,
dass wir alle halbe Jahr einen neuen Trainer bekommen. Und ein neuer
Trainer kommt immer mit neuen taktischen Sachen, und wir müssen wieder
ganz von vorn anfangen. Ich glaube, das ist die Mannschaft schon
ziemlich leid.
Nichtsdestotrotz bin ich optimistisch wie immer, aber wir haben eine
schwere Gruppe. Für mich sind Russland und Deutschland die großen
Favoriten in unserer Gruppe. Natürlich ist die Goldmedaille oder
vielleicht auch die silberne ein Traum. Zunächst einmal müssen wir aber
gegen Russland und Deutschland gut spielen. Die jugoslawische Mannschaft
hat keine Angst.
(07.05.2000)
Interview: Sascha Klahn, entnommen dem THW-Hallenheft "Zebra".
Mehr Infos über Nenad Perunicic unter
Spielerporträt Nenad Perunicic.