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29.08.2012 Bundesliga / Schiedsrichter

Zebra-Journal: Schiedsrichter-Branche in Not

So wenig waren es noch nie: In der neuen Saison pfeifen nur 13 Gespanne

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012:

Christoph Immel hat immer einen Plan. Der 32-Jährige aus Erkelenz kann nicht ohne leben - er muss Leidenschaft und Beruf klug koordinieren. Alles steht unter dem Diktat der Zeitökonomie. Sein System: Der Außendienstmitarbeiter Immel legt Termine rund um Einsätze des Schiedsrichters Immel, wann immer dies möglich ist. Berlin oder Hamburg sind gute Spielorte, aber Immels Pläne sind immer in Gefahr. Der Bundesligaspielplan ist keine verlässliche Größe, und jede kurzfristig verlegte Partie erschüttert das Terminkartenhaus von Immel und seinen Kollegen.
Peter Rauchfuß weiß um diese Nöte. Der 67-jährige Sachse ist Schiedsrichterwart des Deutschen Handballbundes. Als solcher gibt er die Wege vor, auf denen sich seine Zunft bewegen soll. Rauchfuß predigt einerseits ein rigoroses Leistungsprinzip für den Elitekader: "Ausruhen bedeutet Rückschritt, und wer stehen bleibt, fällt zurück." Andererseits ordnet er den maximalen Anspruch der Realität unter und sagt: "Wir befinden uns in einer Phase, in der Erfolg nur auf Kompromissen beruht." Immels Zeitplan ist nur ein Beispiel für das kreative Zeitmanagement der Schiedsrichter. Sind Gespanne zu Auswärtsspielen unterwegs, ist der Beifahrer mit Laptop auf dem Schoß oft noch in der Arbeit versunken. Optimale Spielvorbereitung sieht anders aus.

Zur Saison 2012/13 umfasst der Elitekader nur 13 Gespanne. Noch nie mussten weniger Schiedsrichter eine Saison bewältigen. Als Aufsteiger boten sich lediglich Philipp Dinges und Daniel Kirsch an, der Platz der im November tödlich verunglückten Bernd und Reiner Methe ist noch nicht vergeben worden. Im Juli trat Sebastian Wutzler (mit seinem Partner Lars Schaller eines der bis dahin drei IHF-Gespanne) aus beruflichen Gründen zurück. Einer der deutschen, auch international beschäftigten Spitzenschiedsrichter bezeichnet das Programm als ein "gnadenloses", das nur mit großen Zielen vor Augen zu kompensieren sei. Immer mehr junge Schiedsrichter stellen sich die Frage: "Ist das noch erstrebenswert?" Zur Erinnerung: Die meisten Handball-Referees sind in anspruchsvollen Berufen gefordert, für Profis an der Pfeife steckt - anders als im Fußball - nicht genug Geld im System. Trotz der schwierigen Umstände gehören Rauchfuß' Referees auch international weiter zu den Besten. Lars Geipel und Marcus Helbig haben nach WM und EM ihre ersten Olympischen Spielen absolviert, Robert Schulze und Tobias Tönnies drängen in den Kader des Weltverbandes IHF, Hanspeter Brodbeck und Simon Reich sowie Maike und Tanja Schilha sind bei Nachwuchsmeisterschaften auf internationalen Kurs gebracht worden. Erfahrene Gespanne wie Damian/Wenz stehen für Top-Niveau, doch das Fundament ist zierlich. Im Zuge der eingleisigen 2. Liga ist der B-Kader gestrafft worden. Rauchfuß sortierte sein Team nach einer einfachen Leitlinie: "Wer keinen Ehrgeiz entwickelt, hat es auch nicht verdient, DHB-Schiedsrichter zu sein." Heißt in der Konsequenz: Wer will, muss mehr pfeifen und soll so wettkampfhärter werden.

Halberstadt ist das Zentrum der deutschen Schiedsrichterei. Seine Kader lädt Rauchfuß regelmäßig ins Tagungshotel Spiegelsberge ein. Dort hängt auch ein Bild der Methe-Zwillinge. Für deren Familien haben Schiedsrichter und Delegierte 21.000 Euro gesammelt; sie hoffen für weitere Hilfen auf ein Benefizspiel im Herbst. Der Tod der Methes hat in der vergangenen Saison lange nachgewirkt, er tut dies noch immer. Auch deshalb kämpft Rauchfuß an allen Fronten - er setzte sich unter anderem mit Sport1-Vertretern zusammen, um mehr Respekt einzufordern und das Umfeld nicht nur für seine Schützlinge zu verbessern. "Wie kann ich junge Leute gewinnen, wenn die Woche für Woche im Fernsehen hören, dass Schiedsrichter das Letzte seien?", fragt er empört. "Und wenn wir uns nur schlecht machen, stellen wir die gesamte Sportart in Frage." Peter Rauchfuß geht möglicherweise in seine letzte Saison. Mit Thorsten Zacharias (Chef-Beobachter) und Jürgen Rieber (Lehrwart) hat er die nächste Generation bereits in Position gebracht. Um die Fitness zu verbessern, kooperieren die Schiedsrichter auch mit dem Institut für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig und der Universität Freiburg. Rauchfuß' Nachfolger könnte der noch aktive Eliteschiedsrichter Frank Wenz werden. "Ich stehe zur Verfügung, solange ich gebraucht werde", sagt der DHB-Schiedsrichterwart, der selbst bei drei Olympischen Spielen pfiff.

Doch solche Personalpläne sind noch weit weg - in diesem Sommer muss er wieder Kompromisse finden, um den Erfolg seiner Schiedsrichter zu sichern. So haben Lars Geipel und Marcus Helbig nach den Olympischen Spielen eine (kleine) Pause bekommen, zudem kollidiert der frühe Bundesliga-Beginn mit den Sommerferien in einigen Bundesländern und der Verfügbarkeit der Familienväter unter den Schiedsrichtern. Außerdem verlangen auch die erst im September startenden Frauen-Bundesligisten für ihre Tests Top-Gespanne. Rauchfuß tüftelt, wie er den Ansprüchen gerecht werden kann: "Es wird wieder eine Kunst, in den ersten Wochen alle Spiele ordentlich zu besetzen."

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012)

"Maulkorb" abgenommen

Schiri-Diskussionen nicht mehr tabu - Dritte Auszeit ist beschlossen

Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012:

Den "Maulkorb" haben sie nach einem Jahr wieder weggelegt. So wurde jene Durchführungsbestimmung für die deutsche Handball-Bundesliga (HBL) genannt, die seit Juli 2011 "Spielern, Offiziellen sowie Mitarbeitern oder Mandatsträgern eines Vereins" verboten hatte, sich in den 48 Stunden nach Schlusspfiff über die Schiedsrichter zu äußern.

"Es hat keinen einzigen Fall gegeben, der sanktioniert wurde", sagt Andreas Wäschenberg, der neue HBL-Spielleiter. Man habe den Paragraphen nun wieder weiter gefasst, allgemeiner gehalten. Verantwortlich dafür zeichnen Wäschenbach zufolge Andreas Thiel, HBL-Justiziar, Wäschenbach-Vorgänger Uwe Stemberg und er selbst. Anlass für die Einführung des vielkritisierten "Maulkorb-Erlasses" waren bekanntlich die rhetorischen Ausfälle von Frank Steffel, Füchse-Präsident und als CDU-Politiker Mitglied im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Nach dem Pokalviertelfinale der Füchse gegen den THW Kiel hatte Steffel das Schiedsrichter-Duo Fleisch/Rieber der Parteilichkeit bezichtigt, als er vor der anschließenden Pressekonferenz vermutete, dass "die Kieler noch in der Kabine mit den Schiedsrichtern feiern". Es habe viele Vorfälle dieser Art gegeben, berichtet HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann vor einem Jahr. "Aber das hat das Fass zum Überlaufen gebracht." Dennoch war die Liga von vielen Seiten für den "Maulkorb-Erlass" kritisiert worden.

Größere Auswirkungen auf das Spiel hat sicher die Neuerung, dass jedem Trainer nun eine weitere Auszeit zur Verfügung steht. "Der Weltverband IHF hat dies für seine Veranstaltungen umgesetzt und jedem Verband anheimgestellt, selbst darüber zu entscheiden", erklärt Wäschenbach. Der Deutsche Handballbund (DHB) folgte der IHF hier. Die dritte Auszeit darf wahlweise in der ersten oder zweiten Halbzeit genommen werden, mit einer Einschränkung: "In den letzten fünf Minuten dürfen nicht zwei Auszeiten durch ein Team genommen werden", erklärt Manfred Prause, der Chef der IHFRegelkommission, auf Anfrage. Damit solle verhindert werden, dass der Spielfluss unterbrochen werde.

Die Idee dazu sei auf einem IHF-Symposium in Herzogenaurach entwickelt worden, erzählt der Offenburger Spitzenfunktionär. "Die erste Anregung dazu kam von den Trainern, weil sich dadurch neue Möglichkeiten für das Coaching ergeben", sagt Prause. "Aber auch die Medienvertreter und die Leute aus dem Sportmarketing waren sofort dafür, weil sich so neue wirtschaftliche Möglichkeiten ergeben." Denn so gibt es noch mehr Raum für Werbung.

Prause selbst hat Zweifel, ob der Schritt richtig ist. Denn so verlängern sich die Spielzeiten noch einmal; auch die Pause ist bekanntlich auf 15 Minuten ausgebaut worden. Er hat für die Frauen-WM in Brasilien ermittelt, wie lang ein Spiel im Schnitt braucht. "40 Minuten für die erste Halbzeit, 15 Minuten Pause, 43 Minuten für die zweite Halbzeit." Macht 98 Minuten. Und diese verlängerten Spielzeiten wirkten sich auch auf den Amateurbetrieb für die Hallenzeiten aus. "Die Spielzeit wird immer länger, das ist mit Problemen verbunden", sagt Prause. Die Trainer wird es trotzdem freuen.

(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 25.08.2012)


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