Aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2004:
- Kieler Nachrichten:
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Wie stehen die deutschen Chancen bei dieser
EM?
- Henning Fritz:
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Nach zweimal Silber bei der
EM in Schweden und der
WM von Portugal
sprechen in Deutschland fast alle nur von Gold und dem Titelgewinn.
Klar, wir wollen in Slowenien gerne gewinnen, aber die Spitze im
internationalen Handball ist noch enger zusammengerückt. Wenn wir
Pech haben, fliegen wir schon in der Vorrunde 'raus.
- Kieler Nachrichten:
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Am 25. Januar geht es gegen Frankreich. Unvergessen sind ihre
emotionsgeladenen Duelle bei der
WM 2003 mit Bertrand Gille. Wird
sich so etwas wiederholen?
- Henning Fritz:
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Das kann ich nicht voraussehen, es ist situationsbedingt. Früher
haben mich einige Leute als zu leise kritisiert. Die finden es jetzt
gut, wenn ich Emotionen zeige, andere verurteilen es. Wenn ich nach
Paraden Triumphgefühle zeige, will ich die Gegenspieler nicht
beleidigen. Es ist nicht gegen eine Person gerichtet, sondern nur
für mich wichtig. Solche emotionalen Gesten gehören dazu, um Erfolg
zu erlangen. Um zu einer guten Leistung zu finden, muss ich mich
hoch pushen. Später, auf dem Kabinengang gibt man sich die Hand.
- Kieler Nachrichten:
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Wie hat sich Ihre Wandlung vom stillen zum lauten
Henning Fritz
vollzogen?
- Henning Fritz:
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In Kiel "menschlich und sportlich reifer geworden":
Henning Fritz.
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Das ging nicht von heute auf morgen, das hat sich mit der Erfahrung
kontinuierlich verändert. Vielleicht hängt dieser Prozess auch mit
meinem Wechsel von Magdeburg nach Kiel zusammen. Ich bin menschlich
und sportlich reifer geworden.
- Kieler Nachrichten:
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Sie sind schon mit Fußball-Torhüter Oliver Kahn verglichen worden.
Wann beißen sie das erste Mal?
- Henning Fritz:
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Das kommt ganz sicher nicht vor. Man kann mich nicht mit Olli Kahn
vergleichen. Ehrgeizig bin ich genauso wie er. Spitzenfußballer
haben aber eine größere Öffentlichkeit und somit auch in ihren
Handlungen eine größere Wirkung. Wenn ihm einmal ein Ball durch die
"Hosenträger" geht, ist er der Dumme. Im Handballtor kann man sich
nach einem Fehler schnell wieder neu beweisen.
- Kieler Nachrichten:
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Bei der WM 2002 wandelte Kahn ständig am Limit. Nach dem verlorenen
Finale gegen Brasilien fiel er in ein tiefes Loch. Könnte Ihnen das
nach dem EM-Stress genau so ergehen? Muss sich THW-Trainer
Noka Serdarusic Sorgen machen?
- Henning Fritz:
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Nein, im Handball herrschen andere Bedingungen. Erstens sind wir es
gewohnt, viele wichtige Spiele in kurzer zeitlicher Abfolge zu
absolvieren, ob es uns passt oder nicht. Zweitens steht in fast
jeder Mannschaft ein zweiter guter Torhüter, der
Leistungsschwankungen des anderen ausbügeln kann. In Kiel wechsele
ich mich mit Mattias Andersson ab. Wir leben den Begriff vom Team im
Team. Der eine fängt den anderen auf.
- Kieler Nachrichten:
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Deutschland hat ein starkes Team, es fehlt nur der ganz große Wurf.
Breitet sich nach den zweiten Plätzen jetzt Angst aus, am Ende ohne
Titel dazustehen?
- Henning Fritz:
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An so etwas denken wir gar nicht. Wenn man darüber nachdenkt, dass
die Zeit weglaufen könnte, wird es erst recht nichts mit einem
Titel. Vielmehr ist es doch so, dass wir schon Einiges erreicht
haben, darauf dürfen wir stolz sein. Es gibt einige DHB-Auswahlen,
die nicht so erfolgreich waren wie wir.
- Kieler Nachrichten:
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Im Sommer folgt mit den Olympischen Spielen in Athen ein Top-Ereignis.
Ist es möglich, dass einige Spieler die
EM nur als
Durchgangsstation bewerten?
- Henning Fritz:
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Auf keinen Fall. Die Europameisterschaft ist mit den besten
Mannschaften des Welthandballs überhaupt besetzt und ist meiner
Meinung nach eine sehr große sportliche Herausforderung. Es ist gar
nicht möglich, dass wir für die
EM nur 97,5 Prozent Leistung
abrufen, um in Athen 100 Prozent zu bringen. Für uns zählt jetzt
ausschließlich die EM. Auf diese Karte setzen wir alles, in Athen
wird wieder neu gemischt.
(Von Reimer Plöhn, aus den Kieler Nachrichten vom 21.01.2004)