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27.08.2004 Olympia 2004

Kieler Nachrichten: Steht Lawrow den Handballern im Weg?

Russische Torwart-Legende mit 42 Jahren auf Jobsuche

Aus den Kieler Nachrichten vom 27.08.2004:

Wohin führt der Weg für Deutschland und Russland? Der Sieger des Handball-Halbfinales heute um 15.30 Uhr kämpft am Sonntag um Gold, der Verlierer läuft Gefahr, morgen im kleinen Finale Bronze zu verspielen. Wenn es einen Russen gibt, der die Deutschen auf den letzten Metern vor dem großen Ziel ins Straucheln bringen könnte, dann ist es Andrej Lawrow, die lebende Legende.
Der 42 Jahre alte Torhüter ist der erfolgreichste olympische Ballsportler aller Zeiten. Mit drei Nationen gewann er Gold: 1988 mit der UdSSR, 1992 mit der GUS und 2000 mit Russland. Vor vier Jahren, im Endspiel von Sydney, verzweifelten die Schweden mit Magnus Wislander und Staffan Olsson vor allem an - Lawrow. Kein Wunder, dass die Deutschen voller Hochachtung über den Mann mit dem schon schütter werdenden Haar reden. "Er ist ein Phänomen", sagt Henning Fritz, die deutsche Nummer eins vom THW Kiel. "Unsere Schützen haben vor einem solchen Klasse-Torhüter Respekt. Hoffentlich führt das nicht dazu, dass sie bei ihren Würfen zu lange überlegen", sagt Bundestrainer Heiner Brand. Im Viertelfinale gegen Frankreich zeigte Lawrow besonders in der Schlussphase, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Die Franzosen mögen variabler gespielt haben, doch die Russen konnten einmal mehr auf den Routinier zwischen den Pfosten bauen. Lawrow ist 1,97 m groß. Wenn er seine langen Arme ausfährt, scheint er die Bälle verschlingen zu wollen wie eine Krake ihre Beute. Henning Fritz bescheinigt seinem Kontrahenten einen speziellen Stil: "Er spielt defensiver als ich, be- sonders bei Würfen vom Kreis, da steht er eher auf der Linie." Die noch immer erstklassigen Reaktionen des rüstigen Russen sind das Ergebnis harter Arbeit. Im Olympischen Dorf wurde er dieser Tage beobachtet, wie er auf der Leichtathletik-Anlage seine Runden drehte. Lawrow spielt häufig Schach, um seine Konzentrationsfähigkeit zu steigern, und er angelt gerne, um den Kopf frei zu bekommen. Seit 1992 verdient der Sportlehrer seinen Lebensunterhalt, unterbrochen von einem Intermezzo bei Badel Zagreb, überwiegend in der Bundesliga, in Niederwürzbach, Lübbecke und zuletzt für vier Monate bei Absteiger Kronau-Östringen, ein Engagement, das darauf abzielte, die Form zu halten, um in Athen erneut die unbestrittene Nummer eins im russischen Gehäuse zu sein. Abends legte er Zuhause bei Saarbrücken Sonderschichten ein und ließ sich von seinem 17-jährigen Sohn Iwan Bälle um die Ohren werfen. Heiner Brand fasste am Donnerstag seine Anerkennung in fünf Worte: "Er ist ein absoluter Profi."

Am Abend zuvor, nach dem Triumph über Frankreich, hatte Lawrow schon mal auf das Duell mit den Deutschen voraus geblickt. "In einem Halbfinale gibt es keinen Favoriten, das ist wie im Pokal, die Chancen stehen 50:50", erklärte er in perfektem Deutsch, nachdem er zuvor in fließendem Französisch Rede und Antwort gestanden hatte. Dass Russland in der Olympia-Vorbereitung das Team von Heiner Brand zweimal schlagen konnte, sollten alle besser vergessen: "Diese Ergebnisse besagen gar nichts. Das waren Testspiele." Und überhaupt, Olympia sei ohnehin das Größte: "Welt- und Europameisterschaften gibt es jedes Jahr, darum sind die für mich auch nicht so viel wert."

In seiner Heimat ist der "Handball-Gott" längst unsterblich, was ihn nicht daran hindert, zum vierten Mal den Olymp zu erklimmen. Drei Versuche verliefen erfolgreich, nur in Atlanta 1996 endete der Aufstieg mit Platz fünf frühzeitig. Als Lawrow 1988 in Seoul siegte, saß der 13 Jahre alte Henning Fritz im Übrigen Zuhause vor dem Fernseher: "Und jetzt spiele ich gegen ihn, das ist schon außergewöhnlich." Fehlt nur noch, dass der Kieler dem Russen mit einer erneuten Gala-Vorstellung wie gegen Spanien die Schau stiehlt - und die Chance auf das vierte Gold. Und selbst die würde nicht das Ende der Karriere bedeuten. Per Zeitungsinserat sucht Lawrow, der nach dem Bundesliga-Abstieg der SG Kronau-Östringen keinen neuen Vertrag erhielt, nach Arbeit. Kurz und knackig, aber fordernd: Russischer Nationaltorwart will Team, das die Erfahrung des qualifizierten Handballers gebrauchen kann, heißt es da - Handynummer inklusive.

(Von Gerhard Müller, aus den Kieler Nachrichten vom 27.08.2004)


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