Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 08.06.2006:
Seit dreizehn Jahren ist
Noka Serdarusic nun Trainer
des THW. In dieser Zeit gewannen seine Mannschaften neun Meisterschaften. Was
der 55-Jährige, der gerade zum Trainer der Saison gewählt wurde, von seinem
aktuellen Team hält, erzählt er im Zebra-Journal.
- Kieler Nachrichten:
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Ihre Mannschaft ist mit nur sechs Minuspunkten Meister geworden, in
der Champions League im Viertelfinale und im Final Four gegen die
SG Kronau ausgeschieden. Sind Sie mit der Saisonbilanz zufrieden?
- Noka Serdarusic:
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Es ist wohl Utopie zu glauben, dass in einer Saison alles klappen
kann. Das, was schief gelaufen ist, bleibt hängen. Wir haben dreimal
schlecht gespielt. In Minden,
im DHB-Pokal gegen Kronau und im
Heimspiel der Champions League gegen Flensburg.
Drei schlechte Spiele - das wird sich wohl auch in Zukunft nicht vermeiden
lassen. Ich bin auf jeden Fall zufrieden mit der Art und Weise, wie meine
Mannschaft gespielt hat. Schließlich haben wir fünf neue Spieler
integriert und drei davon standen oft gleichzeitig zusammen auf der
Platte.
- Kieler Nachrichten:
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Drei der fünf Neuzugänge sprachen kaum ein Wort Deutsch als sie zum THW
kamen. Darunter hat auch die Vorbereitung gelitten. Hätten Sie gedacht,
dass sich die Mannschaft so schnell findet?
- Noka Serdarusic:
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Ich war überrascht, wie schnell es geklappt hat. Die meisten der Jungs
waren zum ersten Mal von zu Hause weg, mussten eine neue Sprache lernen.
Dabei haben wir allerdings auch Druck ausgeübt und kontrolliert, ob die
Jungs tatsächlich den Sprachunterricht besucht haben. Wenn nicht, dann
gab es auch eine Reaktion von unserer Seite.
- Kieler Nachrichten:
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Lässt sich diese Meistermannschaft mit dem Team vergleichen, das 1994
erstmals nach 30 Jahren wieder die Schale gewann?
- Noka Serdarusic:
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Nein. Inzwischen hat sich die ganze Handball-Welt geändert. Die Art
und Weise des Spiels, das Tempo - das lässt sich nicht vergleichen.
Damals haben wir mit unserer überlegenen Fitness Mannschaften geschlagen,
die einen besseren Handball spielten als wir. Als ich damals das
Training übernahm, mussten die Jungs so hart arbeiten wie noch nie
zuvor in ihrer Karriere. Inzwischen haben die anderen Klubs in diesem
Bereich aufgeholt. Einige haben sogar ein noch umfangreicheres Pensum
als wir. Eindeutig ist, dass die aktuelle Mannschaft eine deutlich
höhere Qualität hat als das Team von 1994.
- Kieler Nachrichten:
-
Was zeichnet die Zebras im Jahr 2006 aus?
- Noka Serdarusic:
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Das ist eine junge und hungrige Truppe mit einer intakten Kameradschaft.
Die suchen sich auch im Privatleben. Bis auf wenige Ausnahmen war
während meiner Amtszeit beim THW die Kameradschaft allerdings immer
intakt. Besonders imponiert mir, dass die Jungs immer bis zum Umfallen
kämpfen und bis zum Schlusspfiff ein unglaubliches Tempo gehen. Es gab
THW-Mannschaften, die bei einer Zehn-Tore-Führung gleich zwei Gänge
rausgenommen haben. Die Lust, einen Gegner richtig unter die Räder zu
nehmen, war nur selten da. Das ist jetzt anders. Außerdem ist die
aktuelle Mannschaft nur schwer auszurechnen. Wir spielen zwei Spiele
mit hohem Tempo und ein drittes dann wieder ganz anders.
- Kieler Nachrichten:
-
Welche Spieler haben den größten Sprung gemacht?
- Noka Serdarusic:
-
Auf jeden Fall Nikola Karabatic. Ich hätte
nie gedacht, dass er in Angriff und Abwehr so schnell eine solche Rolle
spielen könnte. Eigentlich dauert es Jahre, um gerade auf der
Mittelposition in der Abwehr so zu spielen wie er es macht. Positiv
überrascht haben mich auch Viktor Szilagyi und
Kim Andersson. Szilagyi
hat einige Male überzeugend gespielt und unseren Tempohandball noch einmal
um einige Prozentpunkte gesteigert. Andersson
hat gezeigt, was er einmal für diese Mannschaft wert sein könnte.
- Kieler Nachrichten:
-
Was fehlt einem Kim Andersson noch?
- Noka Serdarusic:
-
Er ist noch nicht so weit wie Nikola. Manchmal spielt er zu wild, dann
fehlt ihm in anderen Spielen die nötige Aggressivität. Aber er hat in
dieser Saison einen großen Schritt gemacht und wird, davon bin ich
überzeugt, sich in der nächsten Saison noch einmal deutlich verbessern.
Ich habe ihn in seinen letzten beiden Jahren, die er in Schweden
gespielt hat, beobachtet. Da hatte ich fast den Eindruck gewonnen,
er wollte sich nicht mehr quälen. Aber er will.
- Kieler Nachrichten:
-
Wird Nikola Karabatic eines Tages
Stefan Lövgren als Mittelmann beim
THW Kiel beerben?
- Noka Serdarusic:
-
Wenn ihn die Mannschaft auf dieser Position braucht, wird er dort auch
spielen. Er kann diese Rolle sicherlich problemlos ausfüllen. Aber durch
seinen starken Willen, seine Kämpfernatur und die Fähigkeit, Unerwartetes
zu machen, ist er eigentlich als Halblinker für die Mannschaft noch
wertvoller. Da ist er schon jetzt, obwohl erst 22 Jahre alt, einer der
besten der Welt.
- Kieler Nachrichten:
-
Mit Lars Krogh Jeppesen vom FC Barcelona
verstärkt sich der THW in der nächsten Saison mit einem weiteren
Weltklasse-Spieler. Was erwarten Sie von ihm?
- Noka Serdarusic:
-
Das Problem ist, dass er seit einem halben Jahr verletzungsbedingt
kaum gespielt hat. Es ist also fraglich, in welcher Verfassung er
sein wird. Geholt haben wir ihn, weil er im Mittelblock stehen kann.
Dann muss ich nicht mehr zittern, wenn Marcus Ahlm
oder Nikola Karabatic einmal ausfallen.
Außerdem kann ich Nikola so einige Pausen gönnen, um mit noch mehr
Power spielen zu lassen. Er hat in der letzten Saison einige Male zu
lange auf dem Feld gestanden. Außerdem werden wir im Angriff mit
Jeppesen noch variabler.
- Kieler Nachrichten:
-
Weil Sie in der Abwehr auf Ahlm setzen
mussten, gab es für Pelle Linders in
dieser Saison nur wenig Spielanteile. Wird sich daran etwas ändern?
- Noka Serdarusic:
-
Die Chance besteht. In der Abwehr hat Pelle nicht das Niveau eines
Marcus Ahlm. Aber wenn Jeppesen
und Karabatic im Mittelblock stehen, kann
ich ihn hier auch auf einer anderen Position "verstecken". Im Angriff
kommt er fast an ihn heran. Dabei muss man aber bedenken, dass
Ahlm von vielen meiner Kollegen als bester
Kreisläufer der Welt bezeichnet wird. Außerdem hat Pelle in der
dänischen Liga die Rolle als Kreisläufer ganz anders ausgeübt. Er war
immer in Bewegung, ist viel gelaufen. In Kiel ist das taktische Konzept
aber so ausgerichtet, dass jeder immer genau weiß, an welcher Stelle der
Kreisläufer steht. Noch ist Pelle dafür zu zappelig, aber langsam fügt
er sich in diese Rolle ein.
- Kieler Nachrichten:
-
Auf der Zielgeraden erwies sich die Torhüterposition als Sorgenkind.
Was müsste passieren, um hier Abhilfe zu schaffen?
- Noka Serdarusic:
-
Wir müssen über einen weiteren Torhüter nachdenken. Das muss nicht
der dritte Mann hinter Henning Fritz und
Mattias Andersson sein. Das kann auch die
Nummer eins oder zwei sein. Mattias hat in dieser Saison sicherlich
gut gehalten. Aber nach seiner jüngsten Verletzung haben wir alle
gezittert, dass er zum dritten Mal einen Bandscheibenvorfall hat. Die
Verletzungen, die er bereits hatte, waren schwer. Hinzu kam, dass
Henning in dieser Phase nicht in Form war. Unsere Ziele sollten nicht
an den Torhütern scheitern. Aber beim THW Kiel wird nach dem Motto
verfahren, lieber Zweiter zu werden und schwarze Zahlen schreiben, als
Erster mit roten Zahlen. Da beide Torhüter laufende Verträge haben,
wird es also schwierig, einen weiteren zu verpflichten, der uns auch
wirklich hilft.
- Kieler Nachrichten:
-
Sie werden in den nächsten Tagen einen neuen Drei-Jahres-Vertrag beim
THW Kiel unterzeichen. Wenn der abgelaufen ist, sind sie fast 59 Jahre
alt. Ist das ein Alter, um das Traineramt an den Nagel zu hängen?
- Noka Serdarusic:
-
Klar ist bis jetzt nur, dass ich nicht von Hartz IV leben möchte.
Wenn sich keine anderen Optionen ergeben, arbeite ich eben weiter
als Trainer. Ob mir das gefällt oder nicht, spielt gar keine Rolle.
Ich habe schließlich eine Familie, und die muss ich ernähren. Die
Idee, einmal als Sportdirektor beim THW zu arbeiten, ist
Spekulation. Es heißt ja, Direktoren haben nichts zu tun. Das wäre
nichts für mich.
- Kieler Nachrichten:
-
Sie haben mit dem THW Kiel inzwischen 15 Titel gewonnen. Wäre
Ihre Karriere dennoch unvollendet, wenn Sie nie die Champions League
gewonnen hätten?
- Noka Serdarusic:
-
Der Gedanke, diesen Titel nicht gewonnen zu haben, obwohl ich die
richtige Mannschaft dafür gehabt habe, würde mich sicherlich ewig
ärgern. Das Leben ginge aber trotzdem weiter.
- Kieler Nachrichten:
-
Die härtesten Konkurrenten in der Königsklasse kommen aus Spanien.
Die Klubs haben den Vorteil, sich im Ligaalltag schonen zu können,
weil die Gegner dort deutlich schwächer sind als hier. Wäre es
deshalb eine Strategie, die Meisterschaft zu "verschenken", um
sich ganz auf die Champions League zu konzentrieren?
- Noka Serdarusic:
-
Das geht nicht. Ich kann mich nicht als Trainer vor junge Sportler
stellen und erzählen, dass das nächste Spiel unwichtig ist, sie in
drei Tagen aber unbedingt gewinnen müssen. Hätte mir ein Trainer in
meiner aktiven Zeit als Spieler so etwas erzählt, hätte ich ihm
nichts mehr geglaubt. Eine solche Strategie wird es mit mir als
Trainer nicht geben.
- Kieler Nachrichten:
-
Die meisten Ihrer Spieler sind bereits an diesem Wochenende schon
wieder mit ihren Nationalmannschaften gefordert. Ist die Belastung
zu hoch?
- Noka Serdarusic:
-
Ja. Ich hätte sie gerne noch bis Mitte Juli betreut. In den nächsten
beiden Wochen hätte ich sie nach dieser langen Saison vernünftig
abtrainiert, danach für vier Wochen in den Urlaub geschickt. Mit
einem Fitnessplan, den sie in dieser Zeit einhalten müssen. Das
ist leider nicht möglich. Die Regenerationsphase für die
Nationalspieler ist viel zu kurz.
- Kieler Nachrichten:
-
Morgen beginnt die Fußball-WM. Interessiert Sie als Handballer
dieses Ereignis?
- Noka Serdarusic:
-
Sicher. Aber mir ist inzwischen der Trubel bei solchen Spielen zu
viel geworden. In ein Stadion gehe ich deshalb nicht. Aber zu Hause
werde ich die Spiele verfolgen. Ich denke, Brasilien, Deutschland
und Italien haben die besten Chancen, Weltmeister zu werden. Die
Brasilianer sind uns zwar in technischer Hinsicht überlegen. Aber
es gewinnt nicht immer das Team mit der besten Technik. Zumal, wenn
die WM im eigenen Land stattfindet. Die Deutschen werden so noch
einmal 100 Prozent mehr geben und dann ist alles möglich.
(Aus dem Zebra-Journal der Kieler Nachrichten vom 08.06.2006)