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27.10.2006 WM 2007

Kieler Nachrichten: Nationalmannschaft als Therapie

Die Fans lieben ihn: Henning Fritz tankt im Tor der deutschen Handball-Auswahl Selbstvertrauen

Aus den Kieler Nachrichten vom 27.10.2006:

Hannover - Die 27:30-Niederlage gegen die Kroaten ist eine Stunde alt. Auf den Tribünen wandert Plastik in Mülltüten, der Hallenboden verschwindet auf Rollen aus der mächtigen TUI-Arena. Es riecht nach Klebstoff. An Handball erinnert nur noch Henning Fritz, der über seine Zukunft in der Nationalmannschaft spricht. Über seine Gegenwart beim THW Kiel.
Geduldig hat der 32-Jährige sich zuvor um die Fans gekümmert, die nach dem Abpfiff zu Hunderten das Feld stürmten. Die es der deutschen Nationalmannschaft unmöglich machten, den traditionellen Kreis zu bilden. Ihren eigenen Schlusspunkt zu setzen. Fritz hatte den längsten Weg, um in diesem Kinderschwarm den Kreis zu finden.

Das Kölner Institut "Sport + Markt" hat herausgefunden, dass der Kieler der sympathischste deutsche Handballer ist. Das sagen 75 Prozent der Fans. Ein Spitzenwert, den nur die Fußballer Lukas Podolski und Michael Ballack übertreffen. Nachrichten wie diese sind Balsam für Fritz. "Das liegt wohl daran, dass ich nicht mehr so viel meckere." Sagt er und lacht dabei. "Aber ist es für mich gut, sympathisch zu sein und wenig Bälle zu halten?"

Er weiß, dass die Emotionen der Gradmesser für sein Spiel sind. Pulsiert das Adrenalin, dann verdichtet sich Fritz zur Idealform des Torhüters, zu einer Wand. Einer, die ständig schimpft. So wie im olympischen Viertelfinale in Athen, als er im Siebenmeterwerfen alle fünf Strafwürfe hielt.

Von diesen Emotionen ist Fritz, der in Kiel klar im Schatten des Franzosen Thierry Omeyer steht, derzeit weit entfernt. Doch die Flamme brennt wieder. So wie beim 14:15 der Kroaten kurz vor der Pause, als der Europameister zu spät in die rechte Ecke abtauchte. Er schimpfte, er ärgerte sich, er taute auf.

Anders als beim THW Kiel steht Fritz beim World Cup fast immer in der ersten Sieben. Er beginnt. "Das ist sehr wichtig für mich, um mein Selbstvertrauen wieder zu finden", sagt der gebürtige Magdeburger. "Mit meiner Leistung bin ich zwar noch nicht zufrieden. Aber ich mache hier bei jedem Spiel einen Schritt nach vorne."

Fritz, der sich das Tor mit Carsten Lichtlein (TBV Lemgo) und Johannes Bitter (SC Magdeburg) teilt, denkt nur noch in kleinen Schritten. Die Leitfigur, an der sich die jüngeren Kollegen festhalten können, ist er nicht. "Im Moment bin ich dafür noch zu sehr mit mir selbst beschäftigt." Er leidet darunter, dass er in Kiel ein Ersatzspieler geworden ist. Einer, der manchmal nur bei einem Siebenmeter mitmachen darf. "Das ist eine undankbare Situation für jemanden, der lange Zeit ein Leistungsträger in dieser Mannschaft gewesen ist."

Für ihn ist die Nationalmannschaft auch Therapie. Hier ein Klaps, da ein nettes Wort, Nestwärme - die Kollegen wissen, dass sie Fritz bei der WM brauchen. "Er ist unsere klare Nummer eins", sagt Bitter, der in seinem Club ein ähnliches Schicksal erleidet. Seit der 24-Jährige seinen Wechsel nach Hamburg bekannt gab, sitzt er auf der Bank. Die Nationaltorhüter nennt Bitter, der gestern in der Sartaufstellung stand, eine "Dreier-Combo". Ein Team im Team. Im Wissen vereint, dass sie gemeinsam zur WM zu fahren. "Carsten und ich müssen Henning unterstützen, weil wir wissen, was er kann." Bitter ist überzeugt, dass Fritz seine Form findet. Dass er sich beim THW durchsetzt, mit dem ihn noch ein Vertrag bis zum Saisonende verbindet. "Ich glaube, dass er in Kiel bleiben wird. Da hat er eine neue Heimat gefunden." Die nötige Energie dafür sammelt Fritz in der Nationalmannschaft.

(Von Wolf Paarmann, aus den Kieler Nachrichten vom 27.10.2006)


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